Die Frage, ob wir einer der größten Rockbands der 2000er noch immer vertrauen

Papa Roach – eine Band, deren Song Last Resort wed­er auf guten 2000er Pop-Punk-Playlists noch auf stan­dar­d­isierten Rock­par­ties fehlen darf. Und wenn er es tut, geht eine gute Hälfte aller Besuch­er geknickt nach Hause. Ja, die Par­ty war gut – aber es wäre schon schön­er gewe­sen, wenn sie Last Resort gespielt hät­ten. Ein Phänomen, welch­es man plaka­tiv als das 2000er-Phänomen beze­ich­nen kann: Eine Samm­lung großer Rock­bands der 2000er Jahre, welche heutzu­tage stets mit dem­sel­ben Song auf der­sel­ben Par­ty vertreten sind.
Mit ihrem Album Infest aus dem Jahre 2000 haben Papa Roach ihren Sound definiert – und auch Last Resort ist dort zu find­en. Ein Sound, welch­er sich durch für seine Zeit dur­chaus typ­is­che Merk­male des Nu Metal/ Nu Rocks ausze­ich­net, und diesen gemein­sam mit Bands wie Emil Bulls, Rage Against The Machine, Limp Bizk­it und, natür­lich, Linkin Park definierte. Der Sound ein­er Ära um die späten 90er und frühen 2000er Jahre, der sich stark am Heavy Met­al ori­en­tiert und sich gle­ichzeit­ig anderen Gen­res gegenüber öffnet – viele Bands über­nah­men Ele­mente des Hip-Hops; sowohl Sprechge­sang als auch eine generelle Rhyth­misierung und Dynamisierung der Songstruk­tur; mit über­wiegend cleanem Gesang, doch auch akzen­tu­iert einge­set­zten Screams. The­ma­tisch ori­en­tierten sich die Songs an den Prob­le­men der Jugend und Tabuthe­men wie Depres­sion, Suizid und men­taler Krankheit. Auch auf Infest find­en sich diese Merkmale.

Über die Jahre und unter Ein­fluss ver­schieden­ster, sich neu entwick­el­nder Musik­stile verän­derten sich die meis­ten der in den frühen 2000ern bekan­nten Bands hin zu weicheren Sounds, an Popele­mente angelehnte Songele­mente und ein­schlägigeren Klän­gen. Am 18. Jan­u­ar 2019 veröf­fentlicht­en Papa Roach ihr zehntes Stu­dioal­bum, Who Do You Trust? unter Eleven Sev­en Music. In Anbe­tra­cht der mod­er­nen Ban­den­twick­lung fieberten Fans dem Album unter gemis­cht­en Gefühlen ent­ge­gen. Auf der einen Seite steigt die Aufre­gung auf ein neues Album der Lieblings­band expo­nen­tiell, je näher dessen Veröf­fentlichungs­da­tum rückt – ander­er­seits hat man auch oft das Gefühl, man kann nicht darauf ver­trauen, dass einem dieselbe Musik, das­selbe Gefühl, dieselbe Atmo­sphäre ver­mit­telt wer­den wird. Bei Bands wie Linkin Park oder Bring Me The Hori­zon änderten sich Musik­stile der­ar­tig drastisch, dass die musikalis­che Kon­stante, die Fans an Bands band, oft­mals schwand – obgle­ich diese Bands auf andere Art und Weise eine Bindung zu ihren Fans aufrecht erhal­ten konnten.

Kön­nen wir Who Do You Trust? nun also ver­trauen? Während sich das 2017 erschienene Album Crooked Teeth noch zweifel­los nach Papa Roach anhörte, wagt sich Who Do You Trust? dur­chaus weit­er fort vom tra­di­tionellen Sound der Amerikan­er. Tat­säch­lich zeigt sich auf dem Album ein Phänomen, welch­es bere­its von neueren Alben ander­er Bands bekan­nt ist: Eine Ten­denz hin zu einem weicheren, radio­tauglichen Stil; Songs, die all­ge­mein recht unter­schiedlichen Gen­res zuge­ord­net wer­den kön­nten und eini­gen härteren Stück­en, die alteinge­sessene Papa Roach Fans voll und ganz abholen. Who Do You Trust? traut sich und zeigt Mut zu weicheren Stück­en wie dem fast schon akustis­chen Come Around. Auch Prob­lems behan­delt ein inhaltlich schw­eres, emo­tionales The­ma auf eine melodisch fast leicht­füßige Art und Weise. Beson­ders verblüf­fend: ein emo­lastiges Stück wie Feel Like Home, nicht nur wegen des Inhalts, son­dern vor allem durch seine musikalis­che Gestal­tung und klaren Ele­menten der Emo-Welle der frühen 2000er. Müh­e­los zeit­gle­ich zeigen Papa Roach Extreme der anderen Sorte: Har­ter Punk in Form von I Suf­fer Well oder solid­er Rock im Titel­track Who Do You Trust.

Fast schon leise und unbe­merkt schle­ichen sich elek­tro­n­is­che Ein­flüsse ein, beispiel­sweise in Mani­ac, welch­es an M83 erin­nert und den­noch so deut­lich nach Papa Roach klingt – mein per­sön­lich­er Favorit auf dem Album, gemein­sam mit dem Titel­song – , sich unver­gle­ich­lich per­sön­lich, offen, ver­let­zlich präsen­tiert; ein nicht zulet­zt einzi­gar­tiger Song, der vorantreibt und einen gle­ichzeit­ig im Gefühl eines Augen­blicks ver­har­ren lässt. Ein Stück, das uns ganz nah zu Frontsänger Jaco­by Shad­dix bringt und uns den­noch weit weg trans­portiert.
Das neue Papa Roach Album ist ein Album der Extreme. Es set­zt sich aus ver­schiede­nen musikalis­chen Ein­flüssen zusam­men, wie ein Spielplatz, auf dem die Band sich der Welt öff­nen kann. Die Frage, ob man dem neuen Album also ver­trauen kann, ist dur­chaus sub­jek­tiv zu beant­worten. Wer ein Album voll durchge­hen­der „Papa Roach Sounds“ erwartet, mag hier nicht ganz bedi­ent wer­den. Nichts­destotrotz erschüt­tert das neue Album das Ver­trauen in die Band kaum bis gar nicht. Im Gegen­teil, eher ermöglicht die Band einem viel größeren und vielfältigeren Pub­likum, Zuflucht und Zugang in und zu ihrer Musik zu find­en – und, natür­lich, Vertrauen.


Who Do You Trust, Papa Roach, 18/01/2019
Eleven Sev­en Music
Favouri­ten­tracks: Mani­ac, Who Do You Trust, Come Around, Feel Like Home

Bildquelle: Frank Schwicht­en­berg CC BY-SA 4.0

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