Ein misanthropisches Lustspiel: Lanthimos’ The Favourite

von Mer­cy Ferrars

Sie war die let­zte britis­che Köni­gin des Haus­es Stu­art: Queen Anne. Ich sah sie auf der großen Lein­wand im ehe­ma­li­gen DDR-Pre­mierenk­i­no Kino Inter­na­tion­al in der von Regis­seur Yor­gos Lan­thi­mos pro­duzierten und von Schaus­pielerin Olivia Col­man inter­pretierten Fas­sung in der absurd-mitreißen­den Tragikkomödie „The Favourite“. Lan­thi­mos, der uns schon mit Fil­men wie „The Lob­ster“ (gese­hen im Roll­berg-Kino in Neukölln) in ent­fremdete Wel­ten ent­führt hat, zeigt auch bei „The Favourite“ Hingabe zum eige­nen Stil und insze­niert eine son­der­bare Welt inmit­ten der zeit­geschichtlich ver­ankerten Gemäch­er von Queen Anne. „The Favourite“ zeigt die Inter­pre­ta­tion ein­er Köni­gin im 18. Jahrhun­dert, deren poli­tis­che und per­sön­liche Entschei­dun­gen von ihren „Favouriten“ schw­er bee­in­flusst wer­den – erst durch Kind­heits­fre­undin Sarah Churchill und anschließend durch deren Cou­sine Abi­gail Hill, Kam­mer­frauen der Köni­gin, mit welchen sie zeitlich getren­nte Affären führt. Lan­thi­mos spielt in „The Favourite“ mit den bere­its etablierten Regeln und Machen­schaften des Adels am Hof, anstatt, wie beispiel­sweise in „The Lob­ster“, eine eigene Gesellschaft mit eige­nen Regeln zu entwerfen.

Lust­spiel oder Trauerspiel?

Was im Stile ein­er his­torischen Komödie – oder grob über­set­zt einem „Lust­spiel“ – mit dur­chaus komisch begabten Schaus­piel­ern wie Nicholas Hoult und Emma Stone begin­nt, ver­wan­delt sich über die Kapi­tel hin­weg zu einem immer dun­kler wer­den­den His­to­rien­dra­ma, das auf das Prinzip „zeigen, nicht erzählen“ set­zt. Jedes Kapi­tel trägt eine mak­abere Über­schrift, was als einziger Meta-Kom­men­tar des Filmes über sich selb­st gele­sen wer­den kann und gle­ichzeit­ig Zitat des Dialogs darstellt. Sich selb­st zu erk­lären ver­sucht der Film jedoch durch die Inter­pre­ta­tion dreier stark charak­ter­is­tis­ch­er Fig­uren, die sich mehr und mehr in sich selb­st verstricken.

Die Köni­gin, gespielt von Olivia Col­man, ist chro­nisch krank, man­isch-depres­siv und zeigt sich als kindis­che, bee­in­fluss­bare und impul­sive Per­sön­lichkeit; eine Aura des milden Wahnsinns und hil­flosen Chaos ausstrahlend; gespickt mit weni­gen Momenten der aufrichti­gen, ern­sten Real­ität, die sie umgibt – wie ihre unzäh­li­gen Kinder, die sie entwed­er tot gebar oder kurz nach ihrer Geburt ver­lor und kurz­er­hand durch Häschen ersetzte.

Ihre eng­ste Ver­traute und Kind­heits­fre­undin Sarah Churchill (gespielt von Rachel Weisz), Her­zo­gin von Marl­bor­ough, zeigt eine starke und innige Verbindung zur Köni­gin, die fre­und­schaftlich­er, bera­ten­der und auch sex­ueller Natur ist. Sie hat ihre eigene Vorstel­lung der Innen- und Außen­poli­tik des Lan­des und ver­sucht die Köni­gin geschickt zu manip­ulieren. Sie neckt die Köni­gin, sie spielt mit ihr.

Außer­dem fol­gen wir Emma Stone als Abi­gail Hill, einst eine Lady, dann tief gefall­en; vor Queen Annes Res­i­denz anreisend und mit dem Gesicht voran in den Schlamm fal­l­end; ein ach so komis­ches Indiz ihres sozialen Standes. Wir fol­gen ihr in die Res­i­denz, in welch­er sie für die unter­sten Tätigkeit­en angestellt wird, und langsam ihren Weg zur Köni­gin und ihren Gemäch­ern erar­beit­et. Abi­gail besitzt einen starken Willen, zeigt Biss, Geschick und Intri­g­anz. Mit ihrem Charme arbeit­et sie sich zum per­sön­lichen Kam­mer­mäd­chen der Köni­gin vor, zu ihrer Ver­traut­en und ihrer Lieb­haberin – der stärk­sten Konkur­renz Sarah Churchills.

Strate­gis­che Sympathien

Die Beziehung der Fig­uren zueinan­der ist sehr unter­schiedlich. Abi­gail wählt ihre Sym­pa­thien strate­gisch aus und wird nicht nur Queen Annes Ver­traute, nach­dem sie Sarah Churchill geschickt ins Verder­ben reit­en lässt; son­dern heiratet auch in den hohen Adel und holt sich ihren sozialen Stand als Dame zurück. Die Beziehung zwis­chen Sarah und der Köni­gin ist bedeu­tend vielschichtiger. Sarah zeigt sich als fast schon bevor­munden­des Eltern­teil in Bezug auf die kindliche, impul­sive Köni­gin. Auf der einen Seite liegt ihr der Schutz und das Woh­lerge­hen der Köni­gin am Herzen, auf der anderen Seite präsen­tiert sie der Köni­gin unverblümt die bru­tale Wahrheit ihrer Umstände, bezweifelt ihre Zurech­nungs­fähigkeit und ver­sucht sie entsprechend ihrer eige­nen, poli­tis­chen Vorstel­lun­gen zu lenken. Queen Anne wiederum scheint hin und herg­eris­sen zwis­chen ihrer eige­nen Autonomie – sowohl als Herrscherin als auch als pri­vate Per­son – und ihrer chro­nis­chen sowohl kör­per­lichen als auch men­tal­en Krankheit­en, die sie von Sarah und Abi­gail abhängig machen.

In diesem Netz von Abhängigkeit, Strate­gie, Intrige und Manie präsen­tieren uns die Fig­uren einen skur­rilen, präzise geze­ich­neten Tanz über eine weitläu­fige, prunk­volle Bühne in einem ausverkauften The­ater vor fasziniertem Pub­likum, welch­es hin und wieder nicht recht weiß, wie und weshalb die Dinge auf der Lein­wand sich ger­ade abspie­len. Ein Tanz, der auch den Fig­uren in den Neben­rollen, insze­niert durch Nicholas Hoult oder Joe Alwyn, eine man­is­che Freude bere­it­et, welche sich allerd­ings auss­chließlich an der Ober­fläche abspielt. Lan­thi­mos‘ Werk „The Favourite“ ist unglaublich ästhetisch, zutief­st mis­an­thropisch, und eine skur­rile, sich stel­len­weise äußerst bek­lem­mend-befremdlich anfüh­lende tragis­che Komödie. Als der Vorhang fällt und sich der Saal des Kino Inter­na­tion­al langsam erleuchtet, fällt es einige Augen­blicke lang schw­er, wieder in eine reale Welt einzutauchen.


Yor­gos Lan­thi­mos, “The Favourite” (2019) GB, Irland, USA

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