Karl Lagerfelds kulturelles Erbe: Wie wir Identitäten nach dem Tod konstruieren

von Adrien Fields

Tot­ge­sagte leben bekan­ntlich länger. Chanels Cre­ative Direc­tor Karl Lager­feld starb Mitte des Monats im Alter von 85 Jahren in Frankre­ich. Sein Tod wurde von vie­len – unter anderem Mari­ah Carey, Dua Lipa und Diane Kruger – bedauert. Mit dem erneuten Aufkom­men äußern jedoch auch viele Kri­tik an dem Mod­e­schöpfer und sein­er öffentlichen Kom­mem­o­ra­tion. Es stellt sich die Frage: Wie disku­tieren wir den Tod öffentlich­er Personen?

“Warum gibt es so viele unschöne Tweets zum Tod von Karl Lager­feld?”, fragt sich unter anderem Twit­ter-Userin @mequoh. Auf die iro­nis­che Bemerkung von Mod­er­a­tor und Come­di­an Mick­ey Beisen­herz, dass Lager­feld “die meis­ten von euch nicht gemocht [hätte]”, kommt prompt die Antwort “Na jut [sic], den­noch kann man ein biss­chen Respekt vor dem Tod haben”. Lager­feld war für viele ein Sym­bol für die schein­bar unerr­e­ich­bare, mys­ter­iöse Welt der Haute Cou­ture. Vielle­icht ist es dieses Mys­teri­um, diese Sym­bol­haftigkeit, die Men­schen, die Lager­feld nie kan­nten, dazu inspiri­eren ihn zu vertei­di­gen, wenn es jemand wagen sollte, unan­genehme Dinge aus seinem Leben zu erwähnen.

Eine ähn­liche Diskus­sion brach nach dem Tod von George Bush Sr. im ver­gan­genen Dezem­ber aus. Nach Bushs Tod gab es zahlre­iche Artikel, die post-mortem darauf aufmerk­sam macht­en, dass er die AIDS-Krise der 1980ger tot­geschwiegen habe und somit Tausenden von homo­sex­uellen Män­nern das Leben kostete. Viele dieser Artikel kamen aus der LGBTQ-Community.

Diejeni­gen, die nun Lager­felds öffentliche Kom­mem­o­ra­tion kri­tisieren, sind auch diejeni­gen, denen Lager­feld sich gegenüber abfäl­lig äußerte. Kurz ist diese Liste nicht. Viele Fem­i­nistin­nen wie Sibel Schick hebten seine xeno­phoben Äußerun­gen über Flüch­t­ende, die in Europa Asy­lum und Schutz suchen, her­vor. Für sel­bige Aus­sagen wurde er von Alt-Right-Per­sön­lichkeit Paul Joseph Wat­son auf Twit­ter geehrt.

Let­ztes Jahr, im Rah­men der öffentlichen Debat­te um die Häu­figkeit sex­ueller Gewalt, riet Lager­feld jenen Mod­els, die sich unter #metoo zu Arbeits­be­din­gun­gen der Mode­branche äußerten, sich doch einem Non­nenkon­vent anzuschließen. Des Weit­eren äußerte er sich abfäl­lig gegenüber Plus-Size-Mod­els auf Modenschauen.

Sollte man den Tod von Karl Lager­feld also lieber feiern? Nein. Trauer und der Umgang mit dem Tod sind eine hochgr­a­dig indi­vidu­elle Angele­gen­heit. Genau genom­men ist dies auch nicht die wichtige Frage, die dieser öffentliche Diskurs stellt. Vielmehr geht es aber­mals darum, wer die hochrangi­gen Posi­tio­nen der Gesellschaft bekommt und diese Posi­tio­nen trotz Fehlver­hal­ten behal­ten kann. Karl Lager­feld durfte seinen Ein­fluss und seinen Titel als “Mode-Zar” noch nach groteskem Fehlver­hal­ten beibehal­ten. Dabei schützte ihn sein Priv­i­leg und sein Reichtum.

Es ist valide, dass einige den Tod von Karl Lager­feld nicht bedauern und das auch so aus­drück­en. Die Ange­höri­gen – obgle­ich das Erbe noch umstrit­ten ist – erben rund 400 Mil­lio­nen Euro. Viele der Gründe, warum die öffentliche Kom­mem­o­ra­tion Lager­felds kri­tisiert wird, basieren auf Aus­sagen, die Lager­feld in den let­zten paar Jahren seines Lebens gemacht hat. Man kann nicht von Frauen, Peo­ple of Colour und Men­schen mit dick­en Kör­pern erwarten, dass sie einen Men­schen betrauern, der sie wieder­holt in der Öffentlichkeit als Men­schen zweit­er Klasse beschrieben hat.


Bildquelle: Sieb­bi / Wikicommons

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