Avengers: Das Endgame des Blockbusters

Was Marvels Avengers-Finale zum größten Popcorn-Spektakel der Filmgeschichte macht

ACHTUNG: DIESER ARTIKEL ENTHÄLT SPOILER FÜR AVENGERS: INFINITY WAR UND AVENGERS: ENDGAME!

von Ralph Mönius 

Es sind drei gegen einen. Eigentlich unfair, würde man denken, doch in diesem Fall haben die drei trotz ihrer Überzahl keine Chance: Thanos ist ein­fach zu stark. Auch ohne Infin­i­ty Stones wider­ste­ht er Thors Blitzen, Iron Mans Anzug und prügelt Cap­tain Amer­i­c­as als unz­er­stör­bar gel­tenden Schild in Stücke. Die drei zen­tralen und vielle­icht mächtig­sten Helden der Avengers sind chan­cen­los. Ein let­ztes Mal kämpft sich Cap­tain Amer­i­ca noch auf die Füße, seine Mit­stre­it­er bleiben geschockt von Thanos’ Über­ma­cht liegen. Und während der erste Avenger noch einen fes­ten Stand sucht, schart Thanos seine riesige, furchte­in­flößende Armee um sich. Alles, was zwis­chen dem Tita­nen und der total­en Ver­nich­tung der Welt, des gesamten Uni­ver­sums ste­ht, ist ein wank­ender Mann mit zer­broch­en­em Schild, aus dessen Blick der let­zte Rest von Hoff­nung schwindet. Alles ist ver­loren. Und dann öff­nen sich auf ein­mal Por­tale an alle Eck­en der Galax­ie und der Armee des Bösen ste­ht nicht nur die volle Riege der Super­helden, son­dern ein ganzes Uni­ver­sum gegenüber, fest entschlossen, sich nicht aus­löschen zu lassen. 

Es ist in all seinem Pathos und all seinem Kitsch der vielle­icht großar­tig­ste Moment, den ich je im Kino erlebt habe. Weil er etwas ganz Neues ist? Nein. Weil die Mach­er des Mar­vel Cin­e­mat­ic Uni­verse ihn sich ver­di­ent haben, mit ein­er Vorar­beit aus 21 Fil­men in über 10 Jahren. 

Und mit ein­er Dra­maturgie, die mich als gel­ern­ten Drehbuchau­toren ein­fach nur glück­lich macht.

Denn die Autor*innen und Regisseur*innen hin­ter den Mar­vel-Fil­men ver­ste­hen es wie kaum jemand Anderes, mit einem der zen­tralen Begriffe des Drehbuch­schreibens zu spie­len: Der Fall­höhe, auf Englisch “stakes” genan­nt. Damit ist das gemeint, was auf dem Spiel ste­ht, sollte die Protagonist*in des Films ihr Ziel nicht erre­ichen. Es ist der Mech­a­nis­mus, der großes Dra­ma entste­hen lässt. Grund­sät­zlich gilt: Je höher die Fall­höhe, desto größer die Span­nung. Wenn das Schick­sal der Welt davon abhängt, kann es auch span­nend sein, eine Tasse Kaf­fee zuzu­bere­it­en. Denn ist der Kaf­fee zu stark oder zu schwach, wird die Wel­tenz­er­störerin wütend und schluckt nicht den Inhalt der Tasse, son­dern den gesamten Erd­ball. So wird plöt­zlich das Füllen eines Mess­bech­ers zum drama­tis­chen Akt, das Aufkochen des Wassers treibt uns Schweißperlen auf die Stirn und als die Wel­tenz­er­störerin schließlich an dem Kaf­fee nippt, hal­ten wir den Atem an. 

Das Spiel mit dieser Mechanik ist ein­er der wichtig­sten Bestandteile des Geschicht­en­erzäh­lens im All­ge­meinen und hat bei der Kon­struk­tion eines Block­busters noch ein­mal mehr Gewicht. 

Unsere Held*innen müssen uns nicht nur sym­pa­thisch sein, damit wir uns mit ihnen iden­ti­fizieren und uns auf ihre Seite schla­gen, sie müssen auch etwas zu ver­lieren haben. Etwas, das ihnen wichtig ist. 

Nur so spüren wir, das Pub­likum, am Ende ihren Tri­umph, reißen die Arme in die Luft und jubeln, weil ent­ge­gen aller Erwartun­gen ein schein­bar unüber­windlich­es Hin­der­nis bezwun­gen wurde. 

In Mar­vels Super­helden-Fil­men ist es meis­tens die Welt (oder doch zumin­d­est eine Stadt oder ein Land), die auf dem Spiel ste­ht und von unseren Held*innen gerettet wer­den muss, oder wie in Infin­i­ty War und Endgame dann eben das ganze Uni­ver­sum. Das ist aber nicht der sprin­gende Punkt, da die Größe des bedro­ht­en Ter­ri­to­ri­ums oder die Zahl der auf dem Spiel ste­hen­den Leben ab einem gewis­sen Punkt nichts mehr verän­dern. Es bleibt ein bekan­ntes Szenario, von Mar­vel in beina­he jedem einzel­nen Film angewen­det, das die Mach­er der Filme jedoch auf ein ganz neues Lev­el heben. Wie? Nun, der Grund­stein dafür wurde mit den vie­len einzel­nen Super­helden-Fil­men gelegt. Denn wer Infin­i­ty War genau ansieht merkt, dass kein Super­held jemals einge­führt wird, da Mar­vel davon aus­ge­hen kann, dass wir sie alle ken­nen, aus 20 Fil­men, die sie über 10 Jahre her­aus­ge­bracht haben. Und selb­st die Aus­gangslage unter den Super­helden bezieht sich am Anfang von Infin­i­ty War noch auf den drit­ten Cap­tain-Amer­i­ca-Film Civ­il War, seit dem Cap­tain Amer­i­ca und Iron Man zer­strit­ten sind. Deshalb starten sie am Anfang des Avenger-Finales getren­nt in den Kampf gegen Thanos, zer­split­tert, in kleinen Grup­pen, aber nie zusammen.

Und an dieser Stelle kommt der zweite dra­matur­gis­che Trick der Mar­vel-Autoren zu tra­gen: Die Wahl des Pro­tag­o­nis­ten von Infin­i­ty War. Denn der ist nicht Iron Man oder Cap­tain Amer­i­ca, son­dern Thanos selb­st. Das ist ein klein­er Geniestre­ich, denn wir als Zuschauer sind aus Gewohn­heit auf der Seite unser­er Helden, während diese jedoch eigentlich als Hin­dernisse für Thanos auf dem Weg zu seinem Ziel einge­set­zt wer­den. Diese Struk­tur des Films erlaubt es den Autoren, Thanos viel Screen­time zu geben und dabei seinen Charak­ter zu entwick­eln und seine Beweg­gründe zu erforschen. Wir ver­ste­hen plöt­zlich warum er tut, was er tut, auch wenn wir vielle­icht nicht damit übere­in­stim­men. Und dann gewin­nt er. Mehrmals sog­ar. Am Ende von Infin­i­ty War, als er mit den Fin­gern schnippt, aber auch am Anfang von Endgame, als es keinen Unter­schied mehr macht, ihn zu töten. Mar­vel lässt uns hier etwas erleben, was es im Block­buster-Kino son­st eigentlich nicht gibt: Unsere Held*innen ver­lieren. Hart. Wir müssen mit anse­hen, wie sie ver­suchen, mit dem Ver­lust umzuge­hen. Wie sich der All­t­ag ein­schle­icht. Wie sie mit Ver­suchun­gen kon­fron­tiert wer­den, den Aus­gang zu akzep­tieren, nicht noch ein­mal in den Kampf zu ziehen. Doch unter der Ober­fläche brodelt es. Bei den Held*innen genau­so wie bei uns Zuschauer*innen: Wir wollen nicht akzep­tieren. Wir wollen gewin­nen. Dafür sind Super­helden­filme doch da, oder nicht?

Natür­lich sind sie das. Und nir­gend­wo weiß man das bess­er, als in den Mar­vel Stu­dios. Den Ver­lust erleben wir, damit die Fall­höhe ins Uner­messliche steigt, in Sphären, in die kaum ein Film jemals vor­drin­gen kon­nte, weil eben nicht 10 Jahre Vorar­beit dahin­ter steck­ten und weil die Mach­er kein der­art gutes Ver­ständ­nis von ihrer Kun­st hatten. 

Es dauert über eine Stunde, bis in Endgame der erste richtige Funken Hoff­nung auf­flack­ert. So viel Zeit nehmen sich die Mach­er, um uns zu zeigen, wie es enden wird, wenn unsere Held*innen den näch­sten Kampf nicht gewinnen. 

Doch der Funke kommt, und plöt­zlich entste­ht Elek­triz­ität im Kinosaal. Unsere ges­pal­tene Held*innen-Gruppe vere­int sich langsam, untern­immt selb­st für sie ungekan­nte Anstren­gun­gen, um Thanos’ Tat­en ungeschehen zu machen. Den­noch sind sie jed­erzeit nur einen Atemzug vom Scheit­ern ent­fer­nt. Doch dann, am aller­tief­sten, verzweifelt­sten Punkt, öff­nen sich diese Por­tale und alle – aber wirk­lich alle – zusam­men schaf­fen doch noch das Unmögliche. Genau­so wie Mar­vel, die nicht nur das Block­buster-Kino auf ein ganz neues Lev­el heben, son­dern den vielle­icht ver­di­en­testen Tri­umph­mo­ment der Filmgeschichte abliefern. 

Fall­höhe: 3000.


Avengers: Endgame | Deutsch­er Kinos­tart 24. April 2019
Bildquelle: unsplash


ueberdenautor2

Ferrars & Fields Magazine 

We are a Berlin based bilin­gual mag­a­zine fea­tur­ing cul­ture, pol­i­tics and art.
Insta­gram: @ferrarsfieldsmag Twit­ter: @ferrarsfields

#YOUAREFFMAG