von Mercy Ferrars
ACHTUNG! DIESER KOMMENTAR ENTHÄLT SPOILER ZU AVENGERS:ENDGAME.
Marvel ist eine Kino- und Comic-Konstante, die in der Regel sehr verlässlich funktioniert. Wir heißen jede neue Kinoverfilmung mit offenen Armen Willkommen und wenn wir in einen Marvel-Film gehen, wissen wir, dass wir uns auf einige Dinge freuen können: Spektakuläre Helden, angenehme Realitätsflucht, leichtfüßiger Humor und gewaltige Actionszenen, die uns in unseren Kinositz pressen. Manchmal zeigt Marvel sogar ein bisschen politischen Stand, zuletzt wundervoll in Captain Marvel (2019) oder Black Panther (2018) so gesehen. Fakt ist, Marvel macht verdammt vieles richtig. Nicht umsonst sind bei den einschlägigen Kinofilmen in der Regel alle Kinosäle ausgebucht.
Umso enttäuschter ist man allerdings, wenn ausgerechnet Marvel, die die Erwartung an gutes Entertainment seitens ihres Publikums eigentlich besser kennen sollten, in manchen Filmen einen absolut taktlosen, offensiven Humor auf die Leinwand bringen. Und das, obgleich ausgerechnet das Superheldenformat oftmals den Werdegang einer Person beschreibt, welche unter den Erwartungen der Gesellschaft leidet, und diese schlussendlich übertrumpft. Der erste Avenger, Captain America, folgt dieser Struktur!
Zum ersten Mal besonders negativ aufgefallen ist mir ein solcher Faux-Pas im zweiten Teil der Guardians of the Galaxy—besonders schade, weil der Cast bereits in sich so lustig war, dass der unangemessene Humor gar nicht nötig gewesen wäre. Stattdessen war der Film durchzogen mit sexistischen und misogynen Kommentaren—in einer solchen Häufigkeit, dass ich damals zu Mitte des Filmes die Lust am selbigen verloren hatte. Ernsthaft? Die Guardians haben Chris Pratt an Board. Der absolute Jackpot, wenn es um leichtfüßigen Humor geht—weshalb ist es also nötig, ewig auf dem Unterschied der Geschlechter und einem unterschwelligen Lob des Patriarchats herumzureiten? Frauen haben schon vor langer Zeit aufgehört, über sexistische Witze zu lachen. Danke für die Stammtischparolen, James Gunn.
Mit dem unglaublichen Erfolg von Avengers:Endgame ist es auch einmal Zeit, ein bisschen Realität in die Kritiken zum zweiterfolgreichsten Film seit Avatar zu bringen. Eines vorneweg: Meiner Meinung nach ist Endgame generell überhyped und kann seinem Vorgänger Avengers: Infinity War generell nicht ganz gerecht werden. Was vielleicht daran liegt, dass Endgame ruhiger ist, ernster—und wir das von Marvel nicht gewohnt sind. Dass das Ende des Filmes nichtsdestotrotz episch ist und ich es dennoch nicht bereut habe, im Kino International 12€ dafür auszugeben, muss man auch sagen. Allerdings gab es einen großen Kritikpunkt, den viele Fans dem Film nicht verzeihen werden: Das unglaublich direkte, unreflektierte Fatshaming, welches sich als Running Gag durch den Film zieht und das einzige humorvolle Element zu sein scheint, welches die Handlung aufzulockern vermag. Puh.
Okay, ein kurzer Recap an dieser Stelle: 5 Jahre nach Thanos’ Fingerschnipsen hat sich die Hälfte der Bevölkerung, darunter auch einige unserer Marvel-Lieblinge, in Luft aufgelöst und die übrig gebliebenen Avengers trauern und versuchen, ihr Trauma zu bewältigen. Ganz besonders deutlich wird dies bei Thor. Der Gott des Donners versteckt sich jetzt mit Fortnite und Bier und hat keinerlei Interesse, seiner Vergangenheit wieder zu begegnen—vor allen Dingen, wenn er manchen Schmerz erneut erleben muss. Als wir Thor das erste Mal nach 5 Jahren wiedersehen, sind seine Haare wieder lang—wenn auch ein wenig fettig verschwitzt.
„Oh my God, oh my God“, hatte ein Mädchen im Kinositz hinter mir geseufzt, „he has his long hair again!“ Sekunden später schwenkt die Kamera an Thors Körper herab, und das Mädchen hinter mir im Kinosaal ist totenstill—Thor hat gute 30 Kilo zugelegt und Chris Hemsworth präsentiert ein ordentliches Fatsuit auf der Leinwand.
Das war einer der wenigen Momente, in denen ich kurz lachen musste—nicht wegen Thors Fatsuit, sondern weil das Mädchen hinter mir, eindeutiges Fangirl Thors maskulinen Ideals, unangenehm enttäuscht war. Wir folgen Thor anschließend, wie er mit etwas Überredungskunst zu den Avengers zurückkehrt und mit ihnen auf eine Jagd nach den Infinity-Steinen geht—und der Rest ist Geschichte.
Liebe Marvel Studios—Fatshaming ist so 1950. Es ist eine Sache, wenn uns das Tag für Tag in der Werbung begegnet, am Arbeitsplatz, in der Bar, im Dating, im Sport—es ist etwas anderes, wenn ein Film nur so vor Fatshaming trieft, dessen Inhalt vorrangig die Träumer, die Nerds und die Außenseiter anspricht (und natürlich den Quoten-Kinogänger, der jedem Trend folgt, den Kerl mit der unlimitierten Kinojahreskarte und die drei Filmbloggerinnen).
Träumer, Nerds und Außenseiter haben kein Interesse am ekelhaften Fatshaming Hollywoods, und dem ewigwährenden, ermüdenden Klischee, dass Gewichtszunahme mit Kontrollverlust und Gewichtsabnahme mit Kontrollerlangung zusammenhängt.
Meine Kritik bezieht sich nicht auf das Narrativ, dass Thor an Gewicht zugenommen hat, während er trauert. Dieses präsentiert sich als die vermutlich einzige realistische Handlung im ganzen Film. Außerdem ist es schön, Superhelden zugänglicher zu schreiben—wir alle können uns ein Stück weit mit Thor und seinen Bewältigungsstrategien identifizieren, keine Frage. Zudem ist es erfrischend, wenn ausgerechnet der durchtrainierte, maskulin-ideale Thor beweist, dass seine Gewichtszunahme nichts daran ändert, dass er noch immer ein epischer Gott ist. Diese Kritik bezieht sich daher auf den Umgang, welchen Marvel mit Thors Gewichtszunahme zeigt:
Thors Fatsuit ist den gesamten Film über ein immer wiederkehrender Running Gag. Nicht nur zielt die Kamera immer wieder auf Thors den Rahmen ausfüllenden Bauch—und erzielt damit immer dieselben generischen Lacher der immerselben Personen—, nein, der Donnergott darf sich auch ordentlich was anhören.
„Iss doch mal ’nen Salat“, suggeriert seine Mutter in einem Moment, in welchem Thors Körper eigentlich keine Rolle spielen sollte. Und als Thor die anderen Avengers daran erinnern will, wer er ist—nämlich ein Gott—und fragt: „Was, denkt ihr, fließt durch meine Adern?“, so darf er sich anhören: „Haha, Käsedip?“ Haha. Denn Käsedip fließt schließlich durch die Adern aller dicker Menschen, oder?
Ich bin der Meinung: Marvel kann das besser, als sich ihre Lacher über die Schikane dicker Menschen zu holen. Es bleibt zu hoffen, dass sie sich in zukünftigen Filmen wieder darauf besinnen, wer eigentlich ihre Filme schaut—und sich ihre Drehbuchautoren taktvoller aussuchen.
Bildquellen: unsplash.com
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