von Ina Raterink
„45,80,- bitte“.
„Ich hätte gerne mit Kärtchen bezahlt“, säuselt ein Bärtiger mit Fistelstimme. Er sieht aus wie ein Wikinger. Roter Bart, langes kräftiges Haar und grobschlächtige Hände. Ein ökologischer Wikinger. Er kauft sieben Äpfel, vegane Croissants und zwei, drei andere biologisch wertvolle Dinge.
„So, dann einmal das Kärtchen hier rein.“, haucht der Verkäufer, während er das Kartenlesegerät so sanft in die Hand des Wikingers gleiten lässt als wäre es die potenzierte Form der zartesten Zerbrechlichkeit.
‚Ich zahl Bar‘, denk ich. ‚Mit richtig harten Münzen.
Wer sagt denn sowas wie ‚Ich hätte gerne mit Kärtchen bezahlt‘? Das ist ein in sich falscher Satz. Wenn du gerne mit „Kärtchen“ bezahlt hättest heißt das ja, dass du schon bezahlt hast und nur bedauerst nicht mit „Kärtchen“ gezahlt zu haben. Dabei hast du faktisch ja noch gar nicht bezahlt.
Und dann das Wort: „Kärtchen“. Ich finde nicht, dass Bankkarten so zauberhaft sind, dass sie eine Verniedlichungsform verdienen. Meine ist grau und sieht eher nach einem unangenehmen Termin in einem Berliner Amt aus: Man wartet und wird dabei fast von herunterbröselnden Deckenelementen erschlagen. Müsste ich dieses Gefühl in einer Kunsttherapie verarbeiten, würde das Muster meiner Bankkarte herauskommen. Trist, angsteinflößend und nach unendlichen Fluren alteingesessener Bürokratie stinkend. Ich weiß nicht was das mit niedlich zu tun haben soll. Aber jeder hat ja so seine Vorlieben. Die einen mögen Hartgeld, die anderen finden ihre Bankkarten niedlich.‘
Gleichzeitig versucht der Wikinger seiner Frau, die sich gerade mit einer anderen Kundin über nackte Babygruppen unterhält, die Tasche wegzuflüstern: „Schatz, bitte. Ich bräuchte mal das Täschchen, um den Einkauf einzupacken. Schatzi. Hasi.“
Mit einer arrogant-abwertenden Handbewegung bringt sie ihren Mann zum Schweigen und redet weiter: „Ich denke, dass das GANZ wichtig ist für die Entwicklung. Die werden dadurch in ihrem natürlichen Dasein bestärkt. Eine ganz wertvolle Erfahrung machen unsere Kleinen da. Als Babys miteinander nackt zu sein ist was ganz Großes. Eine Art Menschwerdungsprozess im großen Universum auch. Ein Gefühl von erster Individualität und dennoch Teil der Unendlichkeit zu sein. Das muss überwältigend sein für die Kleinen.“
„Das sehe ich genauso. Nackt ist einfach der natürlichste Zustand. Der Raum wird dann ja immer auf 36 Grad angeheizt. Quasi Mutterleibtemperatur. Hahaha“
„Und wieso sind dann die Eltern nicht auch nackt?“, mische ich mich ein. Beide starren mich an. „Ich mein ja nur. Wenn das so natürlich ist und alles und bei 36 Grad ist es ja auch nicht gerade angenehm angezogen zu sein, vor allem im Winter mit unendlich vielen Klamotten-Schichten—warum dann keine natürliche Freiheit als kleiner Teil der Unendlichkeit für alle? Wieso sollten nur die Babys diese wertvolle Erfahrung machen dürfen?“
„Ja, aber… die sind ja auf einer Folie, weil denen ja auch öfter mal was flöten geht… und… ich…“
„Auf ner Folie? Das klingt mir dann aber irgendwie nicht ganz so natürlich…“
„Öh. Ja, nee. Aber die Erfahrung… und nackt und… Universum und…“
Peinlich berührte Stille. Offene Münder. Fassungslosigkeit.
‚Wahrscheinlich stimmt der Kontostand des Wikingers‘ , mutmaße ich. ‚Nackte Bio — Babys auf Folien kosten bestimmt unfassbar viel Geld und ich bin jetzt einfach nur sauer und zynisch weil ich unterhalb des Existenzminimums lebe und für dieses Biobrot heimlich die alte WG-Spardose geplündert habe. Niemand weiß, dass sie noch existiert obwohl ich schon seit drei Jahren nicht mehr dort wohne. Der Notgroschen.‘
So rot wie der Bart des ökologischen Wikingers sind die Münzen mit denen ich mein Brot bezahle.
„Das stimmt so.“, sage ich großzügig und hinterlasse mit circa 2 Kilo Kupfergeld einen kleinen Teil meiner Realität im schillernden Land der veganen Bio-Wikinger.
Bildquelle: pixabay.com
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