Horror im Kopf

Was passiert im Gehirn, wenn wir uns gruseln?

von Anni­ka Klares

Ein dun­kler Gang, Gänse­haut auf den Armen und aufgestellte Nack­en­haare. Du bist anges­pan­nt und nervös, dein Herz­schlag pocht gewalt­sam in dein­er Brust, sodass du ihn bis in die Schläfen spüren kannst. Angestrengt hörst du in die eiskalte Stille hinein, die einzig durch ein stetes Tropfgeräusch irgend­wo in der Ferne durch­brochen wird. Waren das eben etwa Schritte hin­ter dir? Bildest du dir das bloß ein oder bist du wirk­lich nicht allein? Du hast das Gefühl beobachtet zu wer­den. Von irgend­je­man­dem oder irgendetwas…

Für einige Menschen ist diese Vorstellung der reinste Albtraum. Für andere scheint der Nervenkitzel die beste Unterhaltung zu sein. Wieso stehen die Gefühle, die wir bei Horrorfilmen haben, in einem so starken Kontrast zueinander?

Was passiert in unserem Kopf, wenn wir uns fürcht­en und warum lassen sich manche von uns frei­willig in Angst und Schreck­en versetzen?

Meine Schwest­er ist 7 Jahre älter als ich. Ein bedeut­samer Alter­sun­ter­schied, wenn man jung ist und sich in zwei unter­schiedlichen Lebens­ab­schnit­ten befind­et. Als ich unge­fähr 7 Jahre alt war, war ich ein gewaltiger Angsthase. Eines Abends kam ich in mein Zim­mer und sah meine Schwest­er vor dem Fernseher—dem einzi­gen im Haus mit VHS-Reko­rder —wie sie ger­ade einen Film aus dem Pro­gramm auf­nahm. Dieser Film war Wes Cravens Scream und auf dem Bild­schirm ging es ger­ade ordentlich zur Sache. Ich bekam einen höl­lis­chen Schreck­en, krallte mir meinen Plüschhasen vom Bett, um ihn vor dem audio­vi­suellen Gemet­zel zu beschützen und wollte mich verkrümeln. Meine Schwest­er rief mir amüsiert nach, dass es zu spät sei und Hasi schon alles mit ange­se­hen hätte. Meine Schwest­er sorgte damit zwar für ein Mini-Kind­heit­strau­ma mein­er­seits, aber auch für eine lebenslange Lei­den­schaft. Denn aus irgen­deinem Grund war ich von dem Gese­henen fasziniert und auch wenn ich damals noch viel zu klein war um mir Hor­ror­filme anzuse­hen, dauerte es nicht lange, bis ich vom harm­losen Kinder­grusel der Gänse­haut-Büch­er zu härteren Kalibern überging.

Heute bin ich begeis­tert­er Hor­ror­fan, meine Schwest­er hinge­gen hat diesem Genre den Rück­en gekehrt und bestre­it­et dann und wann sog­ar, jemals bere­itwillig Hor­ror­filme ange­se­hen zu haben.

Heute bin ich begeis­tert­er Hor­ror­fan, meine Schwest­er hinge­gen hat diesem Genre den Rück­en gekehrt und bestre­it­et dann und wann sog­ar, jemals bere­itwillig Hor­ror­filme ange­se­hen zu haben.

Wieso sie damals mit Freude zuge­se­hen hat wie Neve Camp­bell alias Sid­ney Prescott sich ein Katz-und Mausspiel mit Ghost­face lieferte und es heute nicht mehr tun möchte, ist leicht erk­lärt. Mit cir­ca 14 Jahren war sie mit­ten in der Pubertät. Da sich in dieser Zeit die eigene Per­sön­lichkeit entwick­elt, pro­biert man alles Mögliche aus, um sich selb­st und die eige­nen Vor­lieben zu definieren. Hinzu kommt der Reiz des Unbekan­nten und Ver­bote­nen, den Hor­ror­filme unbe­strit­ten ausstrahlen und der für viele Teenag­er so anziehend ist wie für die Mot­ten das Licht. Genau aus diesen Grün­den kam auch ich in diesem Alter zum Genre Hor­ror. Auch ich testete meine Gren­zen und Vor­lieben aus.  Meine Schwest­er merk­te dabei ziem­lich schnell, dass sie keinen Spaß daran hat­te, ich dage­gen hat­te mein Lieblings­genre gefun­den und blieb diesem bis heute treu. Woran aber liegt es, dass wir bei­de aus der sel­ben Aus­gangssi­t­u­a­tion ein unter­schiedlich­es Ergeb­nis zogen?

Angst ist nicht nur ein unangenehmes Gefühl. Aus evolutionärer Sicht hat sie einen überlebenswichtigen Nutzen.

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Da bei ver­schiede­nen Per­so­n­en unter­schiedliche Vorgänge im Gehirn ablaufen, wird Hor­ror dementsprechend auch unter­schiedlich wahrgenom­men. Laut dem Pri­vat­dozen­ten Dr. Thorsten Fehr sind in erster Lin­ie bei jedem Men­schen, der einen Film, also ein audio­vi­suelles Medi­um kon­sum­iert, der primäre visuelle Cor­tex, welch­er das Gese­hene und der supe­ri­ore Tem­po­ral­lap­pen, welch­er die akkustis­chen Ein­drücke ver­ar­beit­et, gle­icher­maßen aktiv. Der gesproch­ene Text im Film wird über das Wer­nicke-Are­al, welch­es zusam­men mit dem Bro­ca-Are­al die Haup­tkom­po­nente des Sprachzen­trums bildet, ver­ar­beit­et. Auch das Gefühl der Angst und der soge­nan­nte Schreck­re­flex tritt bei den meis­ten Men­schen auf—wenn auch nicht unter den gle­ichen Umstän­den. Und das ist auch gut so, denn aus evo­lu­tionär­er Sicht hat es Sinn sich zu erschreck­en und Furcht zu haben. Prof. Dr. Jür­gen Mar­graf von der Ruhr-Uni­ver­sität Bochum sagt hierzu: “Das Sys­tem aus Erschreck­en und Angst hat sich in der Evo­lu­tion her­aus­ge­bildet, weil es einen Über­lebenswert hat.” Das ist sowohl bei Men­schen als auch im Tier­re­ich von Nutzen. Wer sich erschreckt und wegzuckt kann im Ern­st­fall ein­er lebens­bedrohlichen Gefahr wie einem Fress­feind ent­ge­hen. Die bekan­nte Schreck­sekunde kann dabei über Leben und Tod entschei­den. Auch viele andere Äng­ste, die aus heutiger Sicht eventuell nicht mehr nachvol­lziehbar sind—wie die Angst vor der Dunkel­heit, Angst vor Nagetieren, Spin­nen, Schlangen, Höhen oder schlichtweg die Angst vor dem Unbekannten—haben aus evo­lu­tionär­er und/oder kul­tureller Sicht den Sinn, das Über­leben zu sich­ern und treten bei so ziem­lich allen Men­schen in der ein oder anderen Form auf.

Eine Ausgangssituation, zwei völlig verschiedene Wege des Gehirns damit umzugehen.

Nun reagieren aber nicht alle Men­schen gle­ich auf die Ein­drücke eines Hor­ror­films und das hängt mit den indi­vidu­ellen Erfahrun­gen und dem Entwick­lungs­stand ein­er Per­son zusam­men. Daraus ergibt sich der emo­tion­al-kog­ni­tive Denkstil und dieser entschei­det darüber, ob man beispiel­sweise einen Hor­ror­film als real­is­tisch oder wirk­lichkeits­fremd wahrn­immt. “Men­schen, die einen Hor­ror­film als im weitesten Sinne real­is­tisch einord­nen, nehmen das Gese­hene so wahr, als habe es Effek­te auf ihren eige­nen Leib und ihr Leben.”, sagt Dr. Thorsten Fehr. In diesem Fall wird der Hirn­stamm, der für die Steuerung der Reflexe und ander­er über­lebenswichtiger Funk­tio­nen zuständig ist, aktiviert, welch­er den Fluchtim­puls aus­löst. Man wird anges­pan­nt und nervös, so als wäre man kurz davor aufzus­prin­gen und aus dem Raum zu sprint­en. Da man aber trotz­dem vor Augen hat, dass man sich vor einem Bild­schirm oder der Lein­wand befind­et und nicht in der Sit­u­a­tion der Film­fig­uren, wird der Fluchtre­flex wieder abgewen­det. Ist eine Per­son beson­ders mit­füh­lend, was Schmerzen und Gewalt­darstel­lung im Film ange­ht, wird das Schmerzzen­trum im somatosen­sorischen Cor­tex eingeschal­tet. Das bedeutet vere­in­facht, dass das Gehirn einem den Ein­druck ver­mit­telt, die gese­henen Schmerzen zum Teil selb­st zu empfind­en. Solche Erfahrun­gen kön­nen im Gedächt­nis gespe­ichert wer­den und wer unan­genehme Erfahrun­gen macht, wird diese meis­tens nicht frei­willig wieder­holen wollen. Bei Men­schen, die einen Hor­ror­film als fik­tiv wahrnehmen, wer­den ganz andere Hirnareale aktiviert, da sie sich vom Gese­henen nicht direkt bedro­ht fühlen. Der Fluchtim­puls spielt bei ihnen keine Rolle, daher sind sie ruhiger und empfind­en die Sit­u­a­tion nicht als unan­genehm und furchte­in­flößend, son­dern eher als das, was der Film eigentlich darstellt: Unter­hal­tung. Hor­ror­fans freuen sich über gelun­gene Spezial­ef­fek­te und pack­ende Atmo­sphäre oder kön­nen Trä­nen lachen, wenn diese Effek­te schlecht aus­ge­führt wur­den. Auch sie kön­nen sich in die Sit­u­a­tion ver­set­zen und in ihren Bann ziehen lassen, sind dabei aber eher beein­druckt und fasziniert von dieser Welt, in der sie trotz düster­er und bedrück­ender Bilder Ästhetik find­en kön­nen. Auch diese Men­schen haben einen Schreck­re­flex. Allerd­ings wer­den nach jedem Erschreck­en auch Glück­shormone aus­geschüt­tet, ähn­lich wie bei ein­er Achter­bah­n­fahrt, die als angenehm emp­fun­den wer­den. Es kommt also teil­weise darauf an, ob eher das pos­i­tive oder das neg­a­tive Gefühl inten­siv­er wahrgenom­men wird.

Nicht der Mangel an Empathie lässt uns Horror mögen, sondern die persönliche Wahrnehmung und die eigenen Erfahrungen.

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Am Ende sind es die per­sön­lichen Erfahrun­gen und die eigene Per­sön­lichkeitsstruk­tur, die einen das Unheim­liche, Bru­tale und Düstere lieben oder has­sen lassen. Es kommt darauf an, wie gut man das Gese­hene von der eige­nen Real­ität tren­nen kann und am Schluss ist es eine Frage der indi­vidu­ellen Vor­lieben. Ist man ange­tan vom Unbekan­nten, Düsteren und Mor­biden oder fühlt man sich damit nicht so wohl? Es ver­hält sich genau­so wie mit dem Genre der Fan­ta­sy: entwed­er man kann sich auf diese Welt ein­lassen oder eben nicht.
Es hat nichts mit dem per­sön­lichen Grad an Emphatie zu tun, ob man Hor­ror­filme mag oder nicht. Ich per­sön­lich würde mich als emphatis­chen Men­schen beschreiben, der schnell Mit­ge­fühl für andere entwick­elt und auch nach 20 Jahren bei In einem Land vor unser­er Zeit und All dogs go to heav­en in Trä­nen aus­bricht. Und den­noch kann ich mir auch Filme mit expliziten Folter­szenen anse­hen, solange ich sich­er weiß, dass sie nicht real sind.

Was mich am Hor­ror anspricht, ist das Spiel mit den eige­nen Äng­sten, die kurzweilige Flucht aus der Real­ität, das Erforschen ander­er Wel­ten, in denen man auf Dinge trifft, die nor­maler­weise niemals möglich wären—und die unglaubliche Fülle an Ideen und Effektkunst.

Was mich am Hor­ror anspricht, ist das Spiel mit den eige­nen Äng­sten, die kurzweilige Flucht aus der Real­ität, das Erforschen ander­er Wel­ten, in denen man auf Dinge trifft, die nor­maler­weise niemals möglich wären—und die unglaubliche Fülle an Ideen und Effektkunst.

Es wird immer Leute geben, die mit mein­er Hor­ror­lei­den­schaft nicht warm wer­den kön­nen. Men­schen sind vielfältig und so ist auch das Spek­trum men­schlich­er Gefüh­le sehr kom­plex. Die Gefüh­le, die man beim Anse­hen eines Films—unabhängig von dessen Genre—empfindet, ste­hen in direk­tem Zusam­men­hang mit den eige­nen Erfahrun­gen und der indi­vidu­ellen Per­sön­lichkeit, die sich durch diese entwick­elt hat. Es ist beein­druck­end, dass durch das bloße Anse­hen fik­tiv­er Geschicht­en so unter­schiedliche, inten­sive Gefüh­le her­vorgerufen wer­den kön­nen, denn auch Emo­tio­nen zeich­nen jede Per­son als das aus, was er/sie ist: eine einzi­gar­tige Persönlichkeit.


Bildquelle: pexels.com


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