von Mercy Ferrars und Martin Bäckert
Im April war Ferrars & Fields im Rahmen der gamesweekberlin bei der Womanize!, einem Konferenz‑, Workshop- und Networking-Event von und für Frauen in der Games- und Medienbranche. Dort trafen wir Rae Grimm, die Head-of GamePro, einer renommierten deutschsprachigen Fachzeitschrift für Videospiele. Für unsere Interviewreihe mit inspirierenden und starken Frauen sprachen wir mit ihr über feministisch-queere Prinzipien in der Gaming-Branche, die aktuelle Debatte rund um die sogenannten „Killerspiele“ und Raes Prinzipien als Leiterin einer umfassenden Redaktion.
FFMag: Hallo Rae, magst du dich zu Beginn unseren Lesern kurz vorstellen?
Rae: Na klar. Mein Name ist Rae Grimm. Ich bin 32 und Head of GamePro.de. Das heißt, ich leite unsere Online-Redaktion.
FFMag: Was hat dich in die Spielebranche gebracht? Was war deine Motivation dahinter?
Rae: Um ehrlich zu sein, war es purer Zufall. Ich habe Fotodesign studiert und wollte in Richtung Fotografie gehen, hab aber auch schon immer gern geschrieben, jedoch nie gedacht, dass ich wirklich was damit machen kann. Ich habe zwar überlegt, ob ich Journalismus studieren soll, konnte mich aber mit dem Gedanken, für eine Tageszeitung zu schreiben nie wirklich abfinden. Dazu kam der Wunsch wegzugehen–ich wollte die Welt sehen. Als ich während meines Studiums dann eine Art Sinnkrise hatte, habe ich zufällig auf der Seite Moviepilot die Ausschreibung einer Praktikantenstelle gesehen und mir gedacht: Warum nicht? In dem halben Jahr Praktikum habe ich dann für mich festgestellt, das ist genau das, was ich machen möchte. Also Schreiben fürs Internet. Es war was ganz Neues für mich. Es war genau das, wo es für mich Klick gemacht hat. Ich hatte eine große Affinität fürs Internet und fürs Schreiben und es kam perfekt zusammen. Und so bin ich immer mehr in die Gaming-Welt eingetaucht. Über Umwege bin ich dann schließlich bei GamePro gelandet.
FFMag: Siehst du dich als Frau, die in einer Männerbranche arbeitet, oder als Rae, die in der Spielerbranche aktiv ist?
Rae: Bisschen von beiden. Als ich in die Gaming Branche kam, war mir das Ganze gar nicht so bewusst. Die meisten Gamer, die ich kannte und mit denen ich gemeinsam spielte, waren Frauen. Daher war ich schon verwirrt, als ich zum ersten Mal in eine Onlineredaktion über Spiele kam, dass dort nur Männer saßen. Ich habe das erstmal so hingenommen, bis ich einen Artikel über die Darstellung von Frauen in Videospielen geschrieben habe und einen Shitstorm in den Kommentaren bekam. Das war das erste Mal, dass ich damit konfrontiert wurde, dass es eine Männerdomäne ist. Als ich mich entschied, beruflich in die Branche zu gehen, wurde ich mehr und mehr damit konfrontiert. Ich war auf Events und habe keine Frauen gesehen oder hatte lange Zeit keine Kolleginnen. Das war für mich am Anfang schon sehr befremdlich und ich musste mich daran gewöhnen.
FFMag: Gab es Kommentare, in denen das Geschlecht explizit thematisiert wurde?
Rae: Ja. Das ist die Sache, wenn man einmal einen Artikel schreibt, in dem Feminismus oder die Frau vorkommt. Dann ist man nur noch „Die Feministin“. Für jeden Artikel, der bei mir in eine feministische Richtung geht oder in dem allgemein Frauen thematisiert werden, habe ich grob 1000 andere Artikel geschrieben. Das steht in keiner Relation, und dennoch wird man auf „Die Feministin“ reduziert. Als ich in meinem ersten Jahr in der Branche kam dann auch noch das Thema mit Women vs. Video Games von Anita Sarkeesian auf, welches eine große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erhielt. Als ich Gamespilot gründete, war Gamergate. Da wurde ich mit den Extremsituationen konfrontiert. Seitdem hat sich jedoch auch einiges getan. Ich bin in die Branche gekommen, als ein gewisser Umbruch schon da war und sich fortsetzte. Mein Lieblingsbeispiel für diesen Umschwung ist, dass sich auf die von mir ausgeschriebenen Praktikantenstellen bei Gamespilot über 50 % Frauen bewarben. Das setzt sich in meiner Redaktion bis heute fort. Also in meinem Kosmos war und ist da immer viel Diversität. Insgesamt gibt es also mittlerweile mehr Frauen in der Spielebranche, es ist aber noch nicht auf einem ausgeglichenen Level.
FFMag: Entlang der aktuellen und immerwährenden Debatte zu sogenannten „Killerspielen“ interessiert uns deine Meinung zum Thema Videospiele und Verantwortung. Tragen Games eine gewisse Verantwortung für das Verhalten ihrer Konsumenten, verlangen sie nach kritischer Reflektion oder agieren sie tatsächlich lediglich als Satire oder Fantasie?
Rae: Die Frage lautet hier eher: Besitzen Medien eine Art von Verantwortung? Natürlich bin ich keine Psychologin, aber wenn es um das Thema Killerspiele geht—gerade beispielsweise auch in Bezug auf einige Aussagen von Trump—muss man sagen: Jedes Land der Welt spielt, aber nur in einem einzigen Land gibt es Shooter—überspitzt gesagt. Die Massenanhäufung von Shootern in den USA liegt meiner Meinung nach nicht an den Videospielen. Ich finde es sehr schwierig, Verantwortung auf ein Medium zu packen oder auf eine*n Redakteur*in. Ich finde, es gehört zur kulturellen Freiheit, der Fantasie freien Ausdruck zu verleihen. Diese Freiheit hat natürlich Grenzen, und über diese muss man reden. Sie sind für jeden anders, weshalb auch die Trigger-Warnungen sehr komplexe Unterfangen sind, denn für jeden existieren unterschiedliche Trigger. Aber: Wie genau gewisse Elemente in Games eingebaut werden, muss man auf alle Fälle hinterfragen. Da muss man wissen: Was möchte das Spiel aussagen, was soll es sein? Und gelingt das? Es tut sich die Frage der Kommunikation auf. Auf der einen Seite steht das Medium, welches etwas vermittelt, und auf der anderen Seite stehen Menschen, die etwas empfangen und aufnehmen. Es existieren große Unterschiede darin, wie die Botschaften der Unterhaltungsmedien aufgefasst werden. Viele Videospiele wollen unterhalten. In der Unterhaltung hat meiner Meinung nach ein Doom oder ein Call of Duty dieselbe Freiheit wie ein Texas Kettensägen-Massaker oder die Teletubbies. Hier ist es wichtig, dass jedes Medium gleichbehandelt wird. Zudem finde ich es auch schwierig, diese Frage nur an die Games zu stellen, da auch Filme oder Bücher zu den Unterhaltungsmedien gehören.

© Rae Grimm
FFMag: Die nächste Frage ist weniger im Gaming-Kontext. Es gibt inzwischen viele Ansätze zum Thema Frau-Sein. Was ist eigentlich eine Frau? Und es gibt auch viele Ansätze, die sagen: Wir können Geschlechter gar nicht definieren. Wie verstehst du das Frausein für dich? Und welche Herausforderungen geben Frauen im Jahr 2019 immer noch an?
Rae: Das sind viele Fragen. Was ist Frau-Sein? Also, da kann ich nur sagen, wie ich das empfinde. Letztendlich ist jede Frau als Frau identifiziert. Das hat für mich weniger etwas Biologisches. Da bin ich, was die Expertise angeht, völlig raus, aber letztendlich sind für mich auch Transfrauen Frauen, logischerweise. Das Frausein und sich als Frau identifizieren ist für mich keine biologische Angelegenheit. Es gibt biologische Frauen und es gibt auch Personen oder Frauen, die sich dafür entscheiden, Frau zu sein, weil sie sich wie eine Frau fühlen. Das heißt nicht, dass jeder sagen kann: Hey, ich bin jetzt eine Frau, damit ich in einen Frauen-Fitnessclub gehen kann. So funktioniert das nicht. Deshalb ist es wirklich dieses: Ich fühle mich als Frau und ich identifiziere mich deshalb als Frau. Nicht: Ich habe gerade Lust dazu. Ich habe auch Freunde, vor allem in den USA, die sind genderqueer oder eben nicht non binary. In einer großen Diskussion ging es neulich darum, über Schauspieler zu schreiben, die sich weder als Frau noch als Mann sehen. Welche Pronomen nehmen wir zum Beispiel? Ich schweife gerade wieder ab. Holt mich gern wieder zurück, wenn ich sowas mache (lacht).
Die Herausforderung. Da gibt es viele Herausforderungen. Dieses Sagen: Ja ihr dürft doch arbeiten, was wollt ihr denn mehr? Ja, aber, dass da teilweise in der Arbeitswelt noch stigmatisiert wird oder dass da mit Männern und Frauen nicht gleich umgegangen wird, merkt man trotzdem noch. Als sich eine Freundin von mir irgendwo bewarb, wurde gesagt: Puh, Sie sind jetzt 27, haben Sie einen Freund? Ähm, ja. Na dann werden Sie ja auch irgendwann heiraten und Kinder kriegen. Nein. Ganz ehrlich, es wäre super, wenn wir an einen Punkt gelangen, an dem es für Männer normal ist, dass sie zu Hause bleiben und sich um ihre Kinder kümmern und sagen können: Ok, meine Frau hat diesen Job und sie möchte den weitermachen. Ich bleibe zu Hause bei meinen Kindern. Ich habe viel mehr Bock darauf, als auf Job X. Also geht es immer in beide Richtungen. Das ist auch, was mich stört: Das Thema Feminismus ist immer nur auf Frauen gemünzt. Nein, es betrifft beide Seiten. Der Feind des Feminismus sind nicht Männer, sondern die Patriarchat. Das Patriarchat betrifft sowohl Männer als auch Frauen. Das ist ein soziales Konstrukt, dessen Voraussetzungen für beide nicht positiv sind. Es geht darum, für alle bessere Bedingungen zu schaffen.
FFMag: Die letzte Frage ist eine kurze Frage: Hast du ein weibliches Vorbild, eine Leitfigur oder einfach irgendjemand, der dich inspiriert?
Rae: Es gibt wenige, aber eben nicht nur diese eine Person, wo ich sage, in die Richtung will ich mich gerne entwickeln oder es ist eine Art von Vorbild. Ich habe tatsächlich ein bisschen damit gestrugglet–das hatte ich auch bei meinem Talk auf der Womanize! angeschnitten–dass ich nie wirklich eine Mentorin oder ein wirkliches weibliches Vorbild hatte. Bei Moviepilot gab es auch Mentorinnen und die Redaktionsleiterin von Moviepilot hat mich ausgebildet, auch dadurch, wie sie mit Dingen und auch mit ihrer Redaktion umgegangen ist. Das war kein 1:1‑Vorbild für mich, aber da habe ich vieles gesehen, das ich respektiere, wie sie handelt und wie sie sich für das, was sie glaubt und denkt, einsetzt. Oder eine Kollegin, die das Social-Media-Team leitet und mit mir auf der Womanize! war. Ihre Herangehensweise an vieles und wie sie sich nicht unterkriegen lässt, finde ich sehr beeindruckend. Mir werden nachher noch fünfzig Frauen einfallen, die ich superbeeindruckend finde. Ich habe oft auf Autorinnen geschaut und mittlerweile ist es durch das Internet leichter geworden, ihnen zu folgen und zu gucken, wer die Leute sind, die Texte schreiben. Leigh Alexander finde ich sehr, sehr beeindruckend. Das ist eine der Frauen, die etwas losgetreten hat–ich möchte nicht sagen, weil ihr alles so egal war, aber weil sie einfach keine Toleranz für Bullshit hat. Sie schreibt mittlerweile nicht mehr übers Gaming, sondern über Tech allgemein. Sie hat die Gamer Branche nicht wegen Gamergate verlassen, sie hatte einfach keine Lust mehr und hat neue Herausforderungen gesucht. Sie macht keine Kompromisse, wer sie ist, wie ihre Meinung ist, sie ließ sich da nicht reinreden und nicht unterkriegen. Ich möchte jetzt nicht sagen, dass sie immer noch Öl ins Feuer gegossen hat, aber Tatsache ist, dass diese Frau einen Artikel geschrieben hat, der mehr oder weniger heißt „Gamers are over“, einfach weil sie der Meinung ist, dass das Wort „Gamer“ keine Bedeutung mehr hat, weil jeder ein Gamer sein kann, und es war ihr egal. Sie hat gemeint: „Ja, je mehr Drohungen ihr mir schreibt, desto höher werden meine Speaker-Fees überall und ich krieg das Geld. Also, ihr tut gerade nichts, außer mir Geld zuzuschieben.“ Ich mag sie einfach für ihre Art und Weise und wie sie schreibt, und sie ist ein unglaublich netter Mensch. Ich bin ihr auf der Games Developer Conference vor ein paar Jahren begegnet und konnte kurz mit ihr reden. Ich habe ihr auch eine E‑Mail geschrieben, habe mich bedankt für die Art, als sie sagte, sie geht aus der Branche raus. Ich habe mich für alles bedankt, was sie getan hat. Sie war immer … ja, irgendwie ein Vorbild, auch dafür, wie man über Gaming schreibt. Sie war immer sehr beeindruckend. Ich mochte auch immer Cara Ellison sehr gerne. Sie ist ebenfalls eine ehemalige Videospiel-Journalistin, ist dann auf die Entwicklerseite gewechselt, hat bei Dishonored 2 mitgeschrieben, bei Media Molecule hat sie gearbeitet, jetzt schreibt sie gerade Vampires Blood 1. Es gibt mehr als nur eine Frau, über die ich sagen würde, das ist mein großes Vorbild oder das ist eine Mentorin für mich oder die hat mich gefördert. Ich habe immer bewundert, wie sehr Angelina Jolie alles egal war, wie sie diese I‑don’t‑give-a-fuck-Einstellung gerade gegenüber der Presse oder generell gegenüber allem hatte. Und auch Serena Williams finde ich superbeeindruckend. Nicht weil ich irgendwas mit Tennis am Hut hätte, ich guck noch nicht mal Tennis, aber auch einfach ihre Art, ihre Präsenz. Und auch Michelle Obama. Ich weiß, das sind so Klischeeantworten, aber letztendlich geht es auch um Michelle Obama oder Hillary Clinton, oder auch die jüngeren Demokratinnen in den USA. Oder auch die älteren. Auch eine Elisabeth Warren. Das sind unglaublich beeindruckende Leute. Ich glaube, da kann man sehr viel mitnehmen, indem man beobachtet und aufnimmt. Für mich wäre es verkehrt zu sagen, ich hätte nur ein Vorbild. Dafür kann man zu viel von zu vielen Menschen lernen. Ich bewundere Neil Gaiman auch sehr dafür, wie er online mit Fans interagiert und mit dem Berühmtsein umgeht. Er ist einer meiner Lieblingsautoren. Oder seine Frau, Amanda Palmer von den Dresden Dolls, wie offen sie mit Weiblichkeit, ihren Abtreibungen umgeht oder damit, wie es war, ein Baby zu verlieren, wie es jetzt ist, Mutter zu sein. Eine Person, die immer gesagt hat: „Ich möchte gar nicht Mutter werden“, aber jetzt hat sie den Moment gefunden, wo es für sie passt. Wie sie offen damit umgeht, dass es komplex sein kann, dass eine frühere Version von ihr keine Kinder wollte, dass sie es jetzt aber einfach liebt, Mutter zu sein, auf ihre Art und Weise. Ich glaube, dadurch dass jeder Mensch so facettenreich ist, ist es wichtig, sich viele Facetten und Vorbilder zu suchen.
FFMag: Vielen Dank für das tolle Interview, Rae!
Mehr von Rae gibt’s hier.
Bildquelle: © Rae Grimm
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