von Mercy Ferrars
Vergangene Woche traf sich Ferrars & Fields mit Andrea Maluga, die mich vor geraumer Zeit mit ihrer sanften Stimme, ihren Worten und ihrem Charisma auf der Lesebühne des Zimmer16 in Berlin-Pankow verzauberte. Wir haben Andrea im Rahmen unserer Interviewreihe von und über inspirierende Frauen die ein oder andere Frage zu ihrem Schaffen gestellt.
FFMag: Liebe Andrea, stell dich doch bitte zunächst kurz vor.
Andrea: Mein Name ist Andrea Maluga, ich bin geborene Berlinerin und habe Germanistik mit Schwerpunkt Neuere Deutsche Literatur sowie Geschichte mit Schwerpunkt Mediävistik studiert—sogar auch zu Ende. (lacht)
Jetzt bin ich Autorin, schreibe Kurzgeschichten für Erwachsene und hoffe auf die baldige Veröffentlichung eines Romans. Des Weiteren schreibe ich für Kinder und Jugendliche, ebenfalls Kurzgeschichten, einige Romanmanuskripte schlummern im Schreibtisch. Meine Kurzgeschichten stelle ich in eigenen Lesungen vor, im Bereich der Erwachsenenliteratur habe ich bereits mehrmals in Anthologien veröffentlicht. Darüber hinaus habe ich auch einen Fachartikel in der Federwelt veröffentlicht. Meine Kurzgeschichten für Erwachsene sind eher ernst und beschäftigen sich mit den Umbrüchen und Zerrüttungen der Geschichte des 20. Jahrhunderts—aber ich kann auch lustig, da gibt es beispielsweise meine Figur Handwerker Hannes, der berlinert in seinen Geschichten und erklärt uns die Welt.
Andrea bei einer Lesung für Vorschulkinder im Botanischen Garten zu Berlin.
Außerdem organisiere ich ehrenamtlich den Zeilenzauber-Schreibwettbewerb, in diesem Jahr schon zum siebten Mal. Etwa 100 Kinder aus Deutschland und Österreich nehmen jährlich daran teil und schicken ihre Geschichten, Comics und Gedichte ein. Es gibt eine Erwachsenen- und eine Kinderjury, die die Texte bewerten—im Zweifel triumphiert natürlich die Kinderjury. In der Aula des Rosa-Luxemburg-Gymnasiums in Berlin-Pankow findet jährlich die Preisverleihung statt, zu der Teilnehmer*innen aus dem ganzen deutschsprachigen Raum anreisen. Vor acht Jahren gründete ich die ZeilenZauber-Schreibwerkstatt für Kinder und Jugendliche. Wir treffen uns einmal monatlich in Berlin, ich organisiere Exkursionen zum Internationalen Filmfestival BERLINALE, zur Buchmesse in Berlin und eine jährlich stattfindende eigene Lesung, wir schreiben Texte und ich gebe Schreibtipps für die jungen Autoren.
Seit 2019 arbeite ich als Schreibtrainerin im Naturkundemuseum in Berlin und gebe Schreibkurse für Interessierte ab 16 Jahre, die am Ende mit einer Lesung der entstandenen Texte gekrönt werden.
FFMag: Wo und zu welcher Tageszeit schreibst du denn am liebsten?
Andrea: Am liebsten eigentlich im Kaffeehaus—jetzt habe ich mir aber auch den Wohnzimmertisch erobert. Der Vorteil im Kaffeehaus ist natürlich, dass ich mich nicht ablenken lassen kann. Meine Schreibzeit beginnt nachmittags—und dann gerne bis tief in die Nacht. Da eignet sich der Wohnzimmertisch dann manchmal doch etwas besser…
FFMag: Bist du eine Architektin oder eine Gärtnerin, wenn du schreibst? In anderen Worten: Baust du dir zuerst eine Struktur, eine Architektur, oder säst du eine impulsive Idee und schaust, was sich daraus entwickelt?
Andrea: Ich würde sagen, ich bin eine Gärtnerin, auch tatsächlich im wahrsten Sinne des Wortes in meinem Schrebergarten. Das bedeutet dann natürlich viel Nacharbeit am Ende des Schreibprozesses, was ich dann nicht mehr so lustig wie das Schreiben finde. Dazu kommt auch noch, dass ich fast nur mit der Hand schreibe. (lacht)
FFMag: Ist es ein Unterschied für dich, ob du von Hand oder am Computer schreibst?
Andrea: Kurzgeschichten schreibe ich meistens am Computer, die umfassen in der Regel drei bis sechs Normseiten und eignen sich gut für Lesebühnen, auf denen ich sehr gerne vorlese. Ich habe allerdings schon vier Jugendromane in der Schublade liegen, und diese habe ich von Hand geschrieben. Die Manuskripte muss ich alle noch überarbeiten—ich mag mich bloß nicht von meinen Figuren trennen. Bei der Überarbeitung ist dann auch weniger der sprachliche Ausdruck das Problem, sondern eher die Struktur des Textes, die Dramaturgie.
Bei einer Lesung im Genüsslich.
FFMag: Gibt es ein Thema in deinen Geschichten, was sich wie ein roter Faden durch sie hindurchzieht? Hast du eine Figur geschrieben, die dich nie losgelassen hat?
Andrea: Die historischen Konflikte der Vergangenheit bewegen mich sehr. Ich habe das Gefühl, dass das Gespräch zwischen den Generationen mehr und mehr abflaut, so dass ich den Austausch gerne weitertragen möchte. Beispielsweise habe ich eine Geschichte über ein junges Mädchen geschrieben, das ihre Familie im August 1989 in der DDR zurücklässt. Eigentlich war für sie alles zu Ende, sie wusste, dass sie ihre Eltern erst als Rentner wiedersehen würde und ihre Freunde sogar noch viel später. Dass sich dann der Glücksfall der Friedlichen Revolution ereignete, war für sie natürlich ungeahnt. Da versetze ich mich in sie hinein und überlege: Wie verabschiedet sie sich? Was tut sie? Wie fühlt sie? Mich interessieren in allen Geschichten diese Zwischenzeiten, abseits der großen Ereignisse. Das schreibe ich auf.
Eine Figur, die mich nicht loslässt, ist natürlich Handwerker Hannes (lacht). Der wird immer wieder in meinen Lesungen und Veranstaltungen verlangt. Am liebsten würde ich mit dem Hannes mal ins Radio. (schmunzelt) Dann gibt es die Figur Marie, die ich für 10- bis 13-Jährige geschrieben habe. Marie mag ich sehr, die ist während der Ferien in Österreich bei ihrer Oma und immer, wenn ich selbst hinfahre, dann muss ich an sie denken und schaue mir die Gegend an, ob sie für einen weiteren Romanschauplatz taugt.
Oft fertige ich auch Auftragstexte an. Ich schreibe eine Geschichte über den Menschen, der mit mir ins Gespräch tritt—natürlich literarisiert. Oft baut sich die Geschichte auf einem Satz auf, der mich ganz besonders einfängt.
FFMag: Hast du schon einmal Menschen aus deinem Leben in eine Figur verwandelt, ohne dass diese davon wussten?
Andrea: Ab und an habe ich einmal ‚das eine Gefühl‘ oder ‚den einen Satz‘ einer Figur angedichtet, wenn ich dachte, das würde beispielhaft passen, habe aber das Ganze hoffentlich doch so verändert, dass sich die Menschen nicht ertappt fühlen (schmunzelt). Manchmal frage ich ganz offen, ob ich eine Äußerung verwenden oder eine spezielle Angewohnheit auf meine Protagonist*innen übertragen darf. Als Historikerin verstehe ich mich auch in der Rolle der Dokumentaristin und beobachte gerne Menschen, ihren Alltag und höre ihrem Erzählten zu, das ich dann in größere Zusammenhänge setze. Es sind also keine real existierenden Personen. Die Figuren in den Kurzgeschichten kann ich gut loslassen, die Romanfiguren hingegen wandern lange durch meinen Kopf.
FFMag: Für welchen Kampf begibt sich die moderne Frau noch immer aufs politische und soziale Schlachtfeld?
Andrea: Das fängt eigentlich schon beim Equal-Pay-Day an, der im März stattfindet. Dass kompetente Frauen mit Hochschul- oder Berufsausbildung aufgrund ihres Geschlechts bis zu 21% weniger verdienen als Männer, verstehe ich ehrlich gesagt nicht. Auch die #metoo-Debatte spiegelt die alltägliche weibliche Erfahrung wider. Einerseits natürlich schockierend, welche Berichte hier ans Licht kommen, andererseits zuckt man als Frau auch ein wenig mit den Schultern, weil körperliche und verbale Belästigung ein solch zentraler Teil der alltäglichen weiblichen Erfahrung ist, dass uns diese Berichte nicht mehr überraschen. Es ist richtig, dass die Täter jetzt dafür zur Verantwortung gezogen werden. Toll finde ich, dass die Diskussion beispielsweise um die weibliche Monatsblutung heutzutage mehr und mehr enttabuisiert wird und dass junge Leute darum kämpfen, dass Tampons und Binden in ihren Schulen genauso zur Verfügung gestellt werden wie Toilettenpapier.
FFMag: Hast du ein weibliches Vorbild in deinem Leben?
Andrea: Eine Autorin, die ich sehr bewundere, ist Penelope Fitzgerald. Ich habe unheimlich gerne den Buchladen gelesen, auch wenn ich den Film noch nicht gesehen habe. Genauso bin ich Elena Ferrante erlegen. Sie hatte vor einigen Jahren ihren großen Durchbruch als Schriftstellerin. Christa Wolf, ebenfalls Schriftstellerin, hätte meiner Meinung nach den Nobelpreis verdient. Ganz toll finde ich auch die Fotografin Helga Paris, deren Arbeiten sich meinem Schreiben sehr nahe anfühlt. Sie ist sehr hartnäckig und macht sich selbst hinter der Kamera unsichtbar, hat stolze Menschen—oft in ihrer Arbeitswelt—fotografiert, sie erscheinen immer sehr lebendig und nah. Helke Misselwitz möchte ich noch nennen, eine deutsche Regisseurin, deren Arbeit dokumentarischer Natur ist. Schonungslos, aber würdevoll und voller Anerkennung für ihre Leistung, bildet sie beispielsweise die Probleme und auch den Zusammenhalt von Arbeitern in einer Berliner Kohlenhandlung in Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann ab.
FFMag: Liebe Andrea, vielen lieben Dank für das schöne Interview!
Mehr Informationen zu Andreas Schaffen gibt es auf ihrer Website.
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