“Als Autorin verstehe ich mich in der Rolle der Dokumentaristin” (#4)

von Mer­cy Ferrars

Ver­gan­gene Woche traf sich Fer­rars & Fields mit Andrea Malu­ga, die mich vor ger­aumer Zeit mit ihrer san­ften Stimme, ihren Worten und ihrem Charis­ma auf der Lese­bühne des Zimmer16 in Berlin-Pankow verza­uberte. Wir haben Andrea im Rah­men unser­er Inter­viewrei­he von und über inspiri­erende Frauen die ein oder andere Frage zu ihrem Schaf­fen gestellt.


FFMag: Liebe Andrea, stell dich doch bitte zunächst kurz vor. 

Andrea: Mein Name ist Andrea Malu­ga, ich bin geborene Berliner­in und habe Ger­man­is­tik mit Schw­er­punkt Neuere Deutsche Lit­er­atur sowie Geschichte mit Schw­er­punkt Mediävis­tik studiert—sogar auch zu Ende. (lacht)

Jet­zt bin ich Autorin, schreibe Kurzgeschicht­en für Erwach­sene und hoffe auf die baldige Veröf­fentlichung eines Romans. Des Weit­eren schreibe ich für Kinder und Jugendliche, eben­falls Kurzgeschicht­en, einige Roman­manuskripte schlum­mern im Schreibtisch. Meine Kurzgeschicht­en stelle ich in eige­nen Lesun­gen vor, im Bere­ich der Erwach­se­nen­lit­er­atur habe ich bere­its mehrmals in Antholo­gien veröf­fentlicht. Darüber hin­aus habe ich auch einen Fachar­tikel in der Fed­er­welt veröf­fentlicht. Meine Kurzgeschicht­en für Erwach­sene sind eher ernst und beschäfti­gen sich mit den Umbrüchen und Zer­rüt­tun­gen der Geschichte des 20. Jahrhunderts—aber ich kann auch lustig, da gibt es beispiel­sweise meine Fig­ur Handw­erk­er Hannes, der berlin­ert in seinen Geschicht­en und erk­lärt uns die Welt.

Botanische Anlage 2017 vier Kinder und ickeAndrea bei ein­er Lesung für Vorschulkinder im Botanis­chen Garten zu Berlin. 

Außer­dem organ­isiere ich ehre­namtlich den Zeilen­za­uber-Schreib­wet­tbe­werb, in diesem Jahr schon zum siebten Mal. Etwa 100 Kinder aus Deutsch­land und Öster­re­ich nehmen jährlich daran teil und schick­en ihre Geschicht­en, Comics und Gedichte ein. Es gibt eine Erwach­se­nen- und eine Kinder­jury, die die Texte bewerten—im Zweifel tri­um­phiert natür­lich die Kinder­jury. In der Aula des Rosa-Lux­em­burg-Gym­na­si­ums in Berlin-Pankow find­et jährlich die Preisver­lei­hung statt, zu der Teilnehmer*innen aus dem ganzen deutschsprachi­gen Raum anreisen. Vor acht Jahren grün­dete ich die Zeilen­Za­uber-Schreib­w­erk­statt für Kinder und Jugendliche. Wir tre­f­fen uns ein­mal monatlich in Berlin, ich organ­isiere Exkur­sio­nen zum Inter­na­tionalen Film­fes­ti­val BERLINALE, zur Buchmesse in Berlin und eine jährlich stat­tfind­ende eigene Lesung, wir schreiben Texte und ich gebe Schreibtipps für die jun­gen Autoren.

Seit 2019 arbeite ich als Schreib­trainer­in im Naturkun­de­mu­se­um in Berlin und gebe Schreibkurse für Inter­essierte ab 16 Jahre, die am Ende mit ein­er Lesung der ent­stande­nen Texte gekrönt werden.

FFMag: Wo und zu welch­er Tageszeit schreib­st du denn am liebsten?

Andrea: Am lieb­sten eigentlich im Kaffeehaus—jetzt habe ich mir aber auch den Wohnz­im­mer­tisch erobert. Der Vorteil im Kaf­fee­haus ist natür­lich, dass ich mich nicht ablenken lassen kann. Meine Schreibzeit begin­nt nachmittags—und dann gerne bis tief in die Nacht. Da eignet sich der Wohnz­im­mer­tisch dann manch­mal doch etwas besser…

FFMag: Bist du eine Architek­tin oder eine Gärt­ner­in, wenn du schreib­st? In anderen Worten: Baust du dir zuerst eine Struk­tur, eine Architek­tur, oder säst du eine impul­sive Idee und schaust, was sich daraus entwickelt?

Andrea: Ich würde sagen, ich bin eine Gärt­ner­in, auch tat­säch­lich im wahrsten Sinne des Wortes in meinem Schre­ber­garten. Das bedeutet dann natür­lich viel Nachar­beit am Ende des Schreibprozess­es, was ich dann nicht mehr so lustig wie das Schreiben finde. Dazu kommt auch noch, dass ich fast nur mit der Hand schreibe. (lacht)

FFMag: Ist es ein Unter­schied für dich, ob du von Hand oder am Com­put­er schreibst?

Andrea: Kurzgeschicht­en schreibe ich meis­tens am Com­put­er, die umfassen in der Regel drei bis sechs Norm­seit­en und eignen sich gut für Lese­büh­nen, auf denen ich sehr gerne vor­lese. Ich habe allerd­ings schon vier Jugen­dro­mane in der Schublade liegen, und diese habe ich von Hand geschrieben. Die Manuskripte muss ich alle noch überarbeiten—ich mag mich bloß nicht von meinen Fig­uren tren­nen. Bei der Über­ar­beitung ist dann auch weniger der sprach­liche Aus­druck das Prob­lem, son­dern eher die Struk­tur des Textes, die Dramaturgie.

ich und stillos
Bei ein­er Lesung im Genüsslich.

FFMag: Gibt es ein The­ma in deinen Geschicht­en, was sich wie ein rot­er Faden durch sie hin­durchzieht? Hast du eine Fig­ur geschrieben, die dich nie los­ge­lassen hat?

Andrea: Die his­torischen Kon­flik­te der Ver­gan­gen­heit bewe­gen mich sehr. Ich habe das Gefühl, dass das Gespräch zwis­chen den Gen­er­a­tio­nen mehr und mehr abflaut, so dass ich den Aus­tausch gerne weit­er­tra­gen möchte. Beispiel­sweise habe ich eine Geschichte über ein junges Mäd­chen geschrieben, das ihre Fam­i­lie im August 1989 in der DDR zurück­lässt. Eigentlich war für sie alles zu Ende, sie wusste, dass sie ihre Eltern erst als Rent­ner wieder­se­hen würde und ihre Fre­unde sog­ar noch viel später. Dass sich dann der Glücks­fall der Friedlichen Rev­o­lu­tion ereignete, war für sie natür­lich ungeah­nt. Da ver­set­ze ich mich in sie hinein und über­lege: Wie ver­ab­schiedet sie sich? Was tut sie? Wie fühlt sie? Mich inter­essieren in allen Geschicht­en diese Zwis­chen­zeit­en, abseits der großen Ereignisse. Das schreibe ich auf.
Eine Fig­ur, die mich nicht loslässt, ist natür­lich Handw­erk­er Hannes (lacht). Der wird immer wieder in meinen Lesun­gen und Ver­anstal­tun­gen ver­langt. Am lieb­sten würde ich mit dem Hannes mal ins Radio. (schmun­zelt) Dann gibt es die Fig­ur Marie, die ich für 10- bis 13-Jährige geschrieben habe. Marie mag ich sehr, die ist während der Ferien in Öster­re­ich bei ihrer Oma und immer, wenn ich selb­st hin­fahre, dann muss ich an sie denken und schaue mir die Gegend an, ob sie für einen weit­eren Roman­schau­platz taugt.
Oft fer­tige ich auch Auf­trag­s­texte an. Ich schreibe eine Geschichte über den Men­schen, der mit mir ins Gespräch tritt—natürlich lit­er­arisiert. Oft baut sich die Geschichte auf einem Satz auf, der mich ganz beson­ders einfängt.

FFMag: Hast du schon ein­mal Men­schen aus deinem Leben in eine Fig­ur ver­wan­delt, ohne dass diese davon wussten? 

Andrea: Ab und an habe ich ein­mal ‚das eine Gefühl‘ oder ‚den einen Satz‘ ein­er Fig­ur angedichtet, wenn ich dachte, das würde beispiel­haft passen, habe aber das Ganze hof­fentlich doch so verän­dert, dass sich die Men­schen nicht ertappt fühlen (schmun­zelt). Manch­mal frage ich ganz offen, ob ich eine Äußerung ver­wen­den oder eine spezielle Ange­wohn­heit auf meine Protagonist*innen über­tra­gen darf. Als His­torik­erin ver­ste­he ich mich auch in der Rolle der Doku­men­taristin und beobachte gerne Men­schen, ihren All­t­ag und höre ihrem Erzählten zu, das ich dann in größere Zusam­men­hänge set­ze. Es sind also keine real existieren­den Per­so­n­en. Die Fig­uren in den Kurzgeschicht­en kann ich gut loslassen, die Roman­fig­uren hinge­gen wan­dern lange durch meinen Kopf.

FFMag: Für welchen Kampf beg­ibt sich die mod­erne Frau noch immer aufs poli­tis­che und soziale Schlachtfeld?

Andrea: Das fängt eigentlich schon beim Equal-Pay-Day an, der im März stat­tfind­et. Dass kom­pe­tente Frauen mit Hochschul- oder Beruf­saus­bil­dung auf­grund ihres Geschlechts bis zu 21% weniger ver­di­enen als Män­ner, ver­ste­he ich ehrlich gesagt nicht. Auch die #metoo-Debat­te spiegelt die alltägliche weib­liche Erfahrung wider. Ein­er­seits natür­lich schock­ierend, welche Berichte hier ans Licht kom­men, ander­er­seits zuckt man als Frau auch ein wenig mit den Schul­tern, weil kör­per­liche und ver­bale Beläs­ti­gung ein solch zen­traler Teil der alltäglichen weib­lichen Erfahrung ist, dass uns diese Berichte nicht mehr über­raschen. Es ist richtig, dass die Täter jet­zt dafür zur Ver­ant­wor­tung gezo­gen wer­den. Toll finde ich, dass die Diskus­sion beispiel­sweise um die weib­liche Monats­blu­tung heutzu­tage mehr und mehr ent­tabuisiert wird und dass junge Leute darum kämpfen, dass Tam­pons und Binden in ihren Schulen genau­so zur Ver­fü­gung gestellt wer­den wie Toilettenpapier.

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FFMag: Hast du ein weib­lich­es Vor­bild in deinem Leben?

Andrea: Eine Autorin, die ich sehr bewun­dere, ist Pene­lope Fitzger­ald. Ich habe unheim­lich gerne den Buch­laden gele­sen, auch wenn ich den Film noch nicht gese­hen habe. Genau­so bin ich Ele­na Fer­rante erlegen. Sie hat­te vor eini­gen Jahren ihren großen Durch­bruch als Schrift­stel­lerin. Christa Wolf, eben­falls Schrift­stel­lerin, hätte mein­er Mei­n­ung nach den Nobel­preis ver­di­ent. Ganz toll finde ich auch die Fotografin Hel­ga Paris, deren Arbeit­en sich meinem Schreiben sehr nahe anfühlt. Sie ist sehr hart­näck­ig und macht sich selb­st hin­ter der Kam­era unsicht­bar, hat stolze Menschen—oft in ihrer Arbeitswelt—fotografiert, sie erscheinen immer sehr lebendig und nah. Helke Mis­sel­witz möchte ich noch nen­nen, eine deutsche Regis­seurin, deren Arbeit doku­men­tarisch­er Natur ist. Scho­nungs­los, aber würde­voll und voller Anerken­nung für ihre Leis­tung, bildet sie beispiel­sweise die Prob­leme und auch den Zusam­men­halt von Arbeit­ern in ein­er Berlin­er Kohlen­hand­lung in Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann ab.

FFMag: Liebe Andrea, vie­len lieben Dank für das schöne Interview! 


Mehr Infor­ma­tio­nen zu Andreas Schaf­fen gibt es auf ihrer Web­site.


ÜBER-MERCY

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