Doctor Who (Staffel 12): Die Zerbrechlichkeit von Raum und Zeit [Rezension]

“Some­times this team struc­ture isn’t flat. It’s moun­tain­ous, with me at the sum­mit in the stratos­phere. Alone. Left to choose. Save the poet, save the uni­verse. Watch peo­ple burn now or tomor­row. Some­times, even I can’t win.”Der Dreizehnte Dok­tor, The Haunt­ing of Vil­la Diodati

von Mer­cy Ferrars

Die zweite Staffel der Whit­tak­er-Ära zeigt nicht nur endlich Mut zur Ver­gan­gen­heit, son­dern geht noch einen Schritt weit­er: Wer ist das zeit­lose Kind? Weshalb liegt Gal­lifrey erneut in Trüm­mern? Und wer ist der schöne Mann im pur­pur­far­be­nen Man­tel? Achtung—Rezension enthält Spoil­er zu Staffel 12. 

Alles oder nichts stand 2018 für die langjährige britis­che Kult­serie Doc­tor Who auf der Kippe, als die erste weib­liche Inkar­na­tion der Haupt­fig­ur gecastet wurde, nach 57 Jahren Doc­tor Who Geschichte und einem Kanon, der 38 Staffeln umfasst. Jodie Whit­tak­er ges­tand in einem Inter­view mit dem Paste Mag­a­zine in New York Anfang des Jahres, dass sie „nicht diejenige sein wollte, die die Show in den Sand set­zen würde“. Jodies Neuin­ter­pre­ta­tion der innig geliebten Fig­ur ist eine erfrischende und neue Chance für die Show, sich neu zu erfind­en und langjährige Logik­fra­gen und Lück­en in der Hand­lung auszu­gle­ichen. Für sich allein genom­men war die erste Staffel der Whit­tak­er-Ära voller Span­nung und Lebens­freude, voller Geschicht­en, die Team T.A.R.D.I.S. an weit ent­fer­nte, atem­ber­aubende Orte bracht­en. Und doch fehlte der Serie der Whov­ian-Charak­ter, das Gefühl, Teil eines 57-jähri­gen Kanons zu sein. Fans ver­mis­sten Dop­pelfol­gen, klas­sis­che Doc­tor Who Wider­sach­er, alte und ver­traute Gesichter, dieses ganz beson­dere gebroch­ene Herz und auch eine gewisse Tiefe in der Charak­ter­en­twick­lung. Doch wo diese ver­traut­en Ele­mente in Staffel 11 fehlten, bietet Staffel 12 plöt­zlich alles davon. Fans sind versöhnt—und „Dreizehn“ scheint endlich im Whov­ian-Uni­ver­sum angekom­men zu sein. Doch das Spek­takel der zwölften Staffel, Whit­tak­ers Zweite, sorgt auch für Protest—nicht zulet­zt, weil sie den Kanon der Show kurz­er­hand auf den Kopf stellt.

Schöner Erzfeind mit Faible für Zerstörung: Ein neuer Master

Sein Hob­by ist die Zer­störung alles Schö­nen und Guten, seine einzig gelebte Emo­tion scheint die Schaden­freude, und doch ist der Mas­ter in all sein­er Rachgi­er und Schikane ein­er der am meis­ten zu genießen­den Antag­o­nis­ten der aktuellen Fernsehland­schaft. In ihm bren­nt dieselbe Heimat, der­selbe Ursprung wie im Dok­tor, und wann immer die bei­den miteinan­der inter­agieren, wer­den wir Zeu­gen von bril­lanten Geschicht­en voller Schmerz und Wahnsinn. Als der Brite Sacha Dhawan (Iron Fist) in der Dop­pelfolge Spy­fall als neuer Mas­ter enthüllt wird—zweifelsohne mit dem besten Out­fit—, atmen Fans wie Dok­tor scharf ein.

Tat­säch­lich set­zt der Mas­ter in Spy­fall bere­its eine dun­kle Vorausah­nung auf das Finale: Er spricht von einem zeit­losen Kind und ein­er Lüge, auf der die ganze Geschichte Gal­lifreys und der Timelords auf­baue. Und wie immer, wenn sich der Mas­ter in den Lauf der Dinge ein­mis­cht, geht das Ende der Welt in der Regel auf seine Kappe. Sacha Dhawan spielt einen wahnsin­ni­gen und kalt­blüti­gen Mas­ter, der gle­ichzeit­ig tief ver­let­zt von der Lüge des zeit­losen Kindes zu sein scheint. Ein biss­chen erin­nert der neue Mas­ter mein­er Mei­n­ung nach an Joaquin Phoenix‘ Darstel­lung des Jokers—eine sen­si­ble, raumein­nehmende und inten­sive Darstel­lung des ehe­ma­li­gen Kind­heits­fre­un­des des Doktors.

Gallifrey brennt bereits zum dritten Mal

Sechs Jahre ist es erst her, dass alle dreizehn Dok­toren und der Kriegs­dok­tor in Day of the Doc­tor zusam­menka­men, um Gal­lifrey in ein Tasche­nuni­ver­sum in einem Gemälde einzufrieren, und es so vor der total­en Zer­störung im Zeitkrieg zwis­chen den Daleks und den Timelords zu bewahren. Ein Kraftakt, der sich trau­ma­tisch in den­jeni­gen Inkar­na­tio­nen des Dok­tors man­i­festierte, die den Ver­lust ihrer Heimat für Hun­derte von Jahren mit sich tra­gen mussten, bevor sie die Chance ergreifen kon­nten, den Lauf der Geschichte zu ändern. Und obgle­ich dieses Gemälde Gal­lifrey Falls No More („Gal­lifrey fällt nie wieder“) betitelt wurde, hat­te Showrun­ner Chris Chib­nall ganz offen­sichtlich eine andere Vorstel­lung von der Sache. Als der Mas­ter sich am Ende von Spy­fall enthüllt, berichtet er dem Dok­tor mit einem psy­cho­tis­chen Schmun­zeln, dass er Gal­lifrey ein für alle Mal aus­ge­bran­nt hat, zer­stört, in Schutt und Asche gelegt. Fas­sungs­los ob solch­er Selb­st­sucht bleibt dem Dok­tor bloß die Frage nach dem Grund für einen solch grausamen Genozid.

Beim Besuch von Mary Shel­ley („Franken­stein“) und ihrem Ehe­mann Per­cy in der Vil­la Dio­dati im Jahr 1816 taucht ein ein­samer Cyber­man auf, der auf der Suche nach dem Cyberi­um ist, ein­er Kün­stlichen Intel­li­genz, die alles Wis­sen der Cyberkriege in sich bewahren solle. Der Mas­ter schafft es später, das Cyberi­um an sich zu reißen, und plant, eine neue Rasse von Cyber­men zu entwick­eln, die aus den gefal­l­enen Timelords beste­hen sollen.

Gal­lifrey bere­its zum drit­ten Mal zer­stören zu lassen, min­dert mit der Zeit lei­der den wuchti­gen dra­matur­gis­chen Ein­fluss des Jubiläumsspe­cials Day of the Doc­tor, und es über­rascht den Zuschauer auch kaum mehr, wen­ngle­ich es den Dok­tor natür­lich noch immer schmerzt. Offen bleibt die Frage, ob es möglich wäre, die Ver­nich­tung des Heimat­plan­eten von sowohl Dok­tor als auch Mas­ter erneut ungeschehen zu machen, oder ob dieses Mal wom­öglich alles ver­loren ist. Immer­hin ließe sich Gal­lifrey so kein viertes Mal vernichten …

Wie die Lüge des zeitlosen Kindes Gallifrey brennen ließ

Weshalb bege­ht der Mas­ter einen solchen Genozid? Die langersehnte Antwort erfahren wir endlich im Finale The Time­less Child, als der Mas­ter den Dok­tor in einem Paral­y­se­feld fes­thält und ihr die Ver­gan­gen­heit zeigt, die ihr durch Gehirn­wäsche entris­sen wurde. Das zeit­lose Kind ist ein Kind, ver­mut­lich aus ein­er anderen Dimen­sion, das von ein­er Ure­in­wohner­in Gal­lifreys ent­deckt wurde, die es bei sich auf­nahm und studierte. Als das Kind nach dem tödlichen Fall von ein­er Klippe in einen anderen Kör­p­er regener­ierte, ent­deck­ten die Ure­in­wohn­er Gal­lifreys das Geheim­nis für ein ewiges Leben und verän­derten ihre Bio­dat­en entsprechend. Die Timelords entstanden—und ein jed­er von ihnen trug einen Teil der DNA des zeit­losen Kindes in sich. Das zeit­lose Kind ist nie­mand Gerin­geres als der Dok­tor selb­st, und die Vorstel­lung, einen Teil des Dok­tors in sich zu tra­gen, erboste den Mas­ter so sehr, dass er Gal­lifrey für eine solche Lüge bren­nen ließ. Der Erste Dok­tor (gespielt von William Hart­nell in 1963) war also keineswegs der erste Dok­tor im Doc­tor Who Uni­ver­sum.

What’s more—Captain Jack Harkness, Ada Lovelace und Nikola Tesla

Neben ihren waghal­si­gen Ein­grif­f­en in den langjähri­gen Doc­tor Who Kanon und einem bril­lanten neuen Mas­ter bietet die neue Staffel unter anderem auch ein Cameo von John Bar­row­man als Cap­tain Jack Hark­ness (der im Übri­gen vor dem ein­samen Cyber­man warnte) und weit­ere faszinierende his­torische Charak­tere, beispiel­sweise die britis­che Math­e­matik­erin und Com­put­ing-Pio­nierin Ada Lovelace oder den kroat­is­chen Erfind­er und Physik­er Niko­la Tesla—ein beson­deres Good­ie für diejeni­gen unter uns, die his­torische Doc­tor Who Episo­den am meis­ten lieben.

Die zwölfte Staffel des New Who Reboots, Dreizehns Zweite, ist ein wun­der­voll irrer Mix aus episo­denüber­greifend­en Mys­te­rien, his­torischen Fig­uren, alten Gesichtern und Fein­den und ein biss­chen kanon­is­ch­er Kon­tro­verse. Sacha Dhawan liefert einen wun­der­vollen Mas­ter und Jodie Whit­tak­er find­et zunehmend ihren Platz als dreizehn­ter Dok­tor. Beson­ders schön anzuse­hen ist die eth­nisch diverse Cast in der 12. Staffel, so bringt sie uns unter Anderem endlich, endlich den ersten schwarzen Dok­tor.  Eine klare Binge-Empfehlung.


Bildquelle: auss­ie­gall from syd­ney, Aus­tralia, CC BY 2.0 <https://creativecommons.org/licenses/by/2.0&gt;, via Wiki­me­dia Commons


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