von Esther Bartke
ACHTUNG: Diese Rezension enthält Spoiler zu Staffel 3 und 4 von Haus des Geldes.
TW: Nennung von sexuellem Missbrauch
In Gedenken an Nairobi
Die vierte Staffel Haus des Geldes, seit Anfang April auf Netflix zu sehen, bringt wieder eine Menge Spannung, aber auch Verwirrung mit sich. Die Gefahr lauert diesmal nicht nur direkt vor der spanischen Zentralbank, sondern auch im Inneren des Gebäudes – durch den gewaltbereiten und rassistischen Security-Chef Gandía (José Manuel Poga).
Insgesamt scheint in Staffel vier der Erfolgsserie vieles aus den Bahnen zu laufen und im Chaos zu landen. Der Teamgeist der Gruppe wird wieder und wieder auf die Probe gestellt. Der Professor (Álvaro Morte), zu Beginn immer noch unter Schock, droht seinen sonst so kühlen Kopf zu verlieren, und die Bedrohung durch die spanische Polizei unter der Leitung von Inspektora Sierra wird immer größer. In den ersten Folgen begleiten wir den Professor bei seiner Flucht und einem seiner genialen Backup-Pläne, durch den er dem Suchtrupp erfolgreich entkommen und diesen auf eine falsche Fährte führen will. Dabei steht ihm Marseille (Luka Peros) stets loyal zur Seite. Währenddessen steigt die Spannung in der spanischen Zentralbank. Nairobi (Alba Flores), schwer verletzt durch den Schuss aus Staffel drei, wird von ihrem Team notoperiert und überlebt trotz einiger Komplikationen.
Auch in der aktuellen Staffel gewinnt die Serie an Tiefe durch Rückblenden. Die Zuschauer*Innen begleiten Berlin (Pedro Alonso) bei seiner Hochzeit mit einer Frau, die bisher unscheinbar wirkte, jedoch wichtige Informationen zu beiden Überfällen aus erster Hand anvertraut bekommt. Der Professor und Palermo (Rodrigo De la Serna) sind Teil der überschaubaren Hochzeitsgäste. Die komplexen Beziehungen zwischen den drei Männern werden durch die wiederkehrenden Rückblenden aufgeschlüsselt und erlauben einen Einblick in wichtige Hintergrundinfos.
Die Beziehungen unter den Hauptcharakteren spielen auch wieder eine tragende Rolle. Neben romantischen Beziehungen, von denen einige etwas weit hergeholt wirken, sorgt vor allem Palermo für Chaos und ist aktiv in Nairobis Schicksal am Ende der Staffel involviert. Der Professor ist mittlerweile hinter Lissabons (Itziar Ituño) Scheinhinrichtung gekommen und schafft es, einen Komplizen bei der spanischen Polizei für sich zu gewinnen. Durch ihn gelingen die Befreiung Lissabons und die Einleitung des Plans „Paris“.

Der Spannungsbogen wird über die gesamte Staffel hinweg aufrechterhalten. Langweilig wird es wirklich nicht, jedoch zeigen sich deutliche Schwächen im Storytelling. Einige Entscheidungen der Autor*Innen wirken zu gewollt und schaden dem sonst so durchdachten Plot. Die Spannung ist konstanter und größer als in den Staffeln zuvor, jedoch wird dies vor allem durch Ereignisse erreicht, die mehr an Sensationsgeilheit erinnern als an sinnvolle Plot Twists. Besonders Palermo nervt durch seinen Egozentrismus sowie seine Gier nach Macht und Geltungshoheit. Palermo, der in Staffel drei das erste Mal vorgestellt wurde, ist ein ebenbürtiger Nachfolger Berlins. In Sachen Sexismus und Narzissmus steht er seiner großen Lieben in nichts nach. Man soll ihn nicht sympathisch finden, er soll provozieren – was ihm wunderbar gelingt. Jedoch entwickelt Palermo sich in Staffel vier von einem sexistischen Arschloch zu einem psychisch instabilen Größenwahnsinnigen, der nicht nur dem Team, sondern auch dem Plot schadet. Er bringt mit seinen narzisstischen Spielen den Plan und das gesamte Team in Gefahr. Durch Palermo schafft es Security-Chef Gandía, sich trotz angelegter Handschellen zu befreien, Nairobi gefangen zu nehmen und nach qualvollen Folterungen hinzurichten.
Die Reaktionen des restlichen Teams bestehen aus Trauer und, weirdly enough, neugewonnener Motivation, den Plan des Professors zu befolgen. Keinerlei Vorwürfe oder Konsequenzen folgen für Palermo, der nun anscheinend wieder unter dem Motto #Teamgeist und #WeAreAllInThisTogether unterwegs ist. Living the life of a white man. Zu diesem Zeitpunkt hätte ich zumindest von Tokio (Úrsula Corberó), die sonst voll Impulsivität brodelt, Rache an Palermo erwartet. Hinzu kommt die schlechte Beziehung der beiden schon vor Nairobis Hinrichtung. Aber auch hier – nichts.
Der Tod Nairobis wirkt wie eine sinnbildliche Niederlage der Autor*Innen. Es mag daran liegen, dass parallel geschrieben und gedreht wird, oder aber daran, dass Álex Pina den Druck verspürte, eine schockierende Wendung herbeiführen zu müssen. Auch für Alba Flores (Nairobi) und ihre Schauspielkolleg*Innen war der Tod ihres Charakters ein unerwarteter Plot Twist. Nairobi ist eine der wenigen Charaktere in Haus des Geldes, die wahre Führungsqualitäten mitbringt. Sie hat stets das Beste für den Plan und für das Team im Sinn und schafft es, in kritischen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren. Mehrmals hat sie innerhalb des Teams Konflikte geschlichtet und für Motivation gesorgt. Ob Nairobis Hinrichtung nun einen „tieferen Sinn“ hat oder einfach nur der Sensationsgeilheit dient, ist Ansichtssache. Fest steht, dass ihr Tod einen schweren Verlust für das Team und für die Serie bedeutet.
Während Alba Flores die Serie verlassen muss, tauchen mehrere neue Charaktere auf, deren Bedeutung für die Story bisher offenbleibt. Auch hier werden mit Rückblenden Erklärungsversuche gestartet, welche jedoch weitere Fragen aufwerfen. Beispielsweise lernen wir Denvers Cousine kennen, die als Untercover-Geisel eingeschleust wird. In einer der letzten Folgen kommt sie einer Geisel zur Hilfe, welche zuvor von Arturo (Enrique Arce) sexuell missbraucht wurde. Danach sehen wir leider nicht mehr viel von ihr. Sie scheint durch ihre Undercover-Rolle kein vollwertiges Teammitglied zu sein, außerdem wurde ihr kein Städtename zugewiesen.

Eine sehr komplexe und gelungene Charakterentwicklung findet sich bei Inspektora Sierra (Najwa Nimri). Staffel vier lässt uns wieder an den Plänen und Konflikten der Einsatzgruppe teilhaben, welche dem Professor und seinem Team ein Ende bereiten will. Bekanntlich schreckt der Professor niemals vor gut durchdachten Erpressungen mit politischem Gewicht zurück, was Sierra und ihr Team in Schwierigkeiten bringt. Schließlich steht Inspektora Sierra vor ihrem beruflichen Ruin und nimmt die Investigation selbst in die Hand. Neben den Kontrahenten des Professors spielen die Bürger*Innen Spaniens eine wichtige Rolle in Haus des Geldes. Nachdem das Team in Staffel drei das erste Mal mutwillig und vor den Augen der Bürger*Innen Gewalt angewandt hat, bleibt die gewohnte Unterstützung der Demonstrierenden vor der Zentralbank fraglich. Leider geht Staffel vier kaum darauf ein. Die Menschenansammlung vor dem Schauplatz wirkt massenüberlaufen wie zuvor.
Staffel vier endet mit dem Plan „Paris“, neugewonnenem Teamgeist und Inspektora Sierra im Versteck des Professors. Das Internet explodiert zurzeit mit Fan-Theorien. Wird Sierra sich dem Professor teilweise anschließen? Werden weitere Hauptcharaktere sterben? Und die wichtigste aller Fragen: Wann wird Arturo endlich zum Schweigen gebracht?
Die Erwartungen an Staffel fünf sind hoch. Bereits im Januar 2020 haben die Dreharbeiten zur Fortführung der Serie begonnen. Wenn alles nach Plan läuft, sollten wir den Professor und sein Team im Frühjahr 2021 wieder auf Netflix begrüßen dürfen.
Bildquellen: pexels
Haus des Geldes Teil 4 ist jetzt auf Netflix verfügbar.

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