Liebeszwang des freien Marktes

von Mona Schlacht­en­rodt

Von klein auf begeg­net sie uns über­all und wird nicht sel­ten als der Sinn des Lebens oder ein All­heilmit­tel beschrieben: Liebe. So sind beispiel­sweise viele Dis­ney-Filme nicht denkbar ohne ein Hap­py End, das eine het­ero­nor­ma­tive Liebes­beziehung feiert. Das märchen­hafte hap­pi­ly-ever-after ist schein­bar das höch­ste Ziel, selb­st dann, wenn es in der vorheri­gen Hand­lung nicht die zen­trale Rolle gespielt hat. Ähn­lich­es zeigen pop­uläre Filme, Serien, Büch­er und auch Musik. Gle­ichzeit­ig sind die echt­en Erfahrun­gen, die wir mit der Liebe machen, nicht durch­weg erfreulich. Es kommt zu verzweifel­ten Sehn­sücht­en, schmerzhafter Ablehnung, unerträglich­er Unsicher­heit, bren­nen­der Eifer­sucht und nicht zulet­zt tiefer Verwirrung.

Beson­ders häu­fig treten diese neg­a­tiv­en Gefüh­le auf, wenn die Liebe sich auf einen Men­schen bezieht, den man als (Lebens)Partner*in ansieht oder sich als (Lebens)Partner*in wün­scht. Und doch ist es nicht nur offentsichtlich so, dass Liebe sich nicht auf het­ero­nor­ma­tive Beziehun­gen beschränkt — sie beschränkt sich auch nicht grund­sät­zlich auf die Partner*innenwahl. Liebe zu Fre­un­den oder einem Fam­i­lien­mit­glied kann eben­falls sehr inten­siv sein. Nicht zulet­zt lässt sich hier eines der stärk­sten äußeren Anze­ichen für Liebe zuver­läs­sig wiederfind­en: die gesteigerte Bere­itschaft, viel für die andere Per­son zu tun. Bei Wahl und Pflege ein­er Beziehung zu einem Part­ner oder ein­er Part­ner­in scheint dies jedoch oft schmer­zlich ver­schärft zu sein. Warum sind unsere Gefüh­le in dieser Hin­sicht häu­fig so inten­siv und unkon­trol­lier­bar? Woher kommt es, dass der Gedanke daran, von einem bes­timmten Men­schen abgelehnt zu wer­den, uns zu tage­langem weinen und zwang­haftem Eisessen ver­dammt? Wie kann es sein, dass anson­sten gelassene Men­schen bei der Andeu­tung, der Part­ner oder die Part­ner­in inter­essiere sich auch noch für jemand anderes, blanke Panik befällt? Und vor allem: Gibt es dafür noch andere Erk­lärungsan­sätze als den tausend­mal wiedergekäuten Ver­weis auf den ver­meindlichen evo­lu­tionären Vorteil het­ero­sex­ueller monogamer Beziehun­gen, möglichst viele Kinder zu produzieren?

Ein jün­ger­er Trend ent­fer­nt sich davon, alles men­schliche evo­lu­tions­bi­ol­o­gisch erk­lären zu wollen und liefert hinge­gen sozi­ol­o­gis­che Ansätze, die den Men­schen als von sein­er Kul­tur geprägtes Wesen ver­ste­hen. Eine empfehlenswerte Ein­stiegslek­türe zu diesem The­ma sind die Graph­ic Nov­els der schwedis­chen Poli­tik­wis­senschaft­lerin Liv Strömquist. In Der Ursprung der Liebe ver­an­schaulicht sie unter anderem Ran­dall Collins These, dass Liebe wie wir sie heute definieren “aus dem Ver­hand­lung­sprozess über eine exk­lu­sive und rel­a­tiv dauer­hafte Vere­in­barung über das sex­uelle Eigen­tum­srecht zwis­chen freien Indi­viduen” entste­ht. Eine reich­lich unro­man­tis­che Erk­lärung für das Gefühl der Roman­tik schlechthin. Wie soll das zu ver­ste­hen sein?

Dabei ist Liebe doch etwas Schönes, dass uns in einen Zus­tand von Euphorie ver­set­zt und kein Gefühl, das sich aus Äng­sten und Unsicher­heit­en speist… oder doch?

Es ist kein Geheim­nis, dass Liebe nicht schon immer als das wichtig­ste Kri­teri­um für die Partner*innenwahl betra­chtet wurde. Bei arrang­ierten Ehen, wie sie bis vor ein paar hun­dert Jahren auch in der west­lichen Kul­tur noch all­ge­gen­wär­tig waren, standen in erster Lin­ie wirtschaftliche Inter­essen im Vorder­grund. Erst im 19. Jahrhun­dert wurde diese Prax­is in Folge der Indus­tri­al­isierung und dem fal­l­en­den Stel­len­wert von Fam­i­lien­tra­di­tio­nen durch die Partner*innenwahl auf dem “freien Markt” abgelöst. Auf der einen Seite des Heirats­mark­tes waren Män­ner in der vorteil­haften Posi­tion durch Erbe und Arbeit sowohl finanzielle Ressourcen als auch alle anderen rel­e­van­ten For­men von Eigen­tum zu hal­ten, während dies Frauen auf der anderen Seite ver­wehrt blieb und sie so in eine recht unvorteil­hafte Ver­hand­lungspo­si­tion brachte. Dadurch waren Frauen darauf angewiesen einen möglichst wohlhaben­den Mann zu heirat­en um finanziell ver­sorgt zu sein. Die einzige Möglichkeit, die ihnen blieb, um die Aus­sicht auf Heirat ihrer­seits für Män­ner lohnenswert erscheinen zu lassen, war es, die Ehe als einzige Möglichkeit offen­zu­lassen, Sex mit ihnen haben zu kön­nen. Aus diesem Grund ging mit der Liebesheirat eine Ver­stärkung der Prüderie vor allem in der weib­lichen Gesellschaft ein­her. Sex musste zu einem sel­te­nen Gut wer­den, um Frauen eine Exis­ten­z­grund­lage zu schaf­fen. Die gewonnene Frei­heit der Auswahl brachte keineswegs auch eine Frei­heit von materiellen Zwän­gen mit sich. Selb­st heute lässt sich die so geschaf­fene Verbindung zwis­chen Liebe und Mark­t­mech­a­nis­men in unser­er Sprache wiederfind­en: “Ich bin wieder auf dem Markt” macht dies beson­ders deut­lich, aber auch die abgeschwächte Form “Ich bin wieder zu haben” weist auf ein Besitzver­hält­nis hin. Ähn­lich, wenn auch etwas ver­al­tet: “Dein Ausse­hen ist dein Kap­i­tal” oder “Verkaufe dich nicht unter Wert”.

Auch wenn Liebe zu diesem Zeit­punkt keine neue Erfind­ung war, änderte sich mit der Ver­schiebung der Partner*innenwahl in den freien Markt ihr Stel­len­wert in der Gesellschaft. Sie wurde zu dem zen­tralen Kri­teri­um für die Wahl eines Ehep­art­ners oder ein­er Ehep­art­ner­in. Außer­dem wurde die enge Verbindung zwis­chen Liebe­spart­ner­schaften und het­ero­sex­uellen Kon­stel­la­tio­nen mit dem Ziel Kinder zu zeu­gen aufgewe­icht, sodass es nun auch einen Markt beispiel­sweise für gle­ichgeschlechtliche Beziehun­gen gibt. Gle­ichzeit­ig wur­den jedoch Liebe und sex­uelle Exk­lu­siv­ität, mit der auch ein Eigen­tum­srecht ein­herg­ing, stark miteinan­der verknüpft. Heute beste­ht diese Verbindung in der Vorstel­lung der meis­ten Men­schen weit­er­hin, auch ohne dass dafür eine Ehe einge­gan­gen wer­den muss. Wird der Anspruch auf das sex­uelle Eigen­tum­srecht von ein­er Per­son in der Beziehung ver­let­zt, wird das meis­tens als Zeichen dafür gew­ertet, dass auch etwas mit der Liebe in dieser Beziehung nicht stimmt. Unter allen Din­gen die unser Part­ner oder unsere Part­ner­in tun kön­nte, ver­let­zt es uns vor allem, wenn seine oder ihre Gen­i­tal­ien mit einem men­schlichen Kör­p­er in Kon­takt kom­men, der nicht der unsere ist. Die größte Ver­let­zung unser­er Gefüh­le wird also durch eine kör­per­liche Hand­lung aus­gelöst, die ein­er Ver­let­zung der sex­uellen Eigen­tum­srechte entspricht. Dies scheint eine extreme Reak­tion zu sein, und bringt uns zur Aus­gangs­frage zurück: Woher kom­men die sowohl pos­i­tiv­en als auch neg­a­tiv­en emo­tionalen Extreme, die mit Liebe einhergehen?

Der entschei­dende Punkt, an dem diese Gefüh­le entste­hen und sich zu ihrer vollen Dra­matik entwick­eln, ist die aufreibende Sit­u­a­tion die man auf dem freien Markt der Partner*innenwahl vorfind­et. Es ist schon schw­er genug eine Per­son zu find­en die den eige­nen Erwartun­gen entspricht, doch dann eben­falls den Erwartun­gen dieser Per­son zu entsprechen, scheint ein noch sel­tener­er Glücks­fall zu sein. Man ist per­ma­nent von Zurück­weisung und Ent­täuschung bedro­ht. Dazu kommt, dass Hoff­nun­gen, Erwartun­gen und Äng­ste umso größer wer­den, desto länger dieser Prozess dauert – Je länger der Aushand­lung­sprozess zwis­chen zwei Men­schen anhält, je unsicher­er und bedro­hter ihr Beziehungssta­tus, desto flam­mender und zer­störerisch­er wird die Liebe und desto stärk­er die emo­tionale Bindung (um nicht zu sagen Abhängigkeit) die bei­de zueinan­der ver­spüren. Wer ken­nt es nicht, das Pärchen im Bekan­ntenkreis, das eine ständi­ge On-off-Beziehung führt und ein­fach nicht voneinan­der lassen kann. Aber auch von sta­bil­eren Pärchen ken­nt man die Aus­sage, dass eine Krise sie noch fes­ter zusamengeschweißt hat. Bei Ver­liebtheit scheint es eben­falls dazuzuge­hören, dass sie umso stärk­er anwächst je unerr­e­ich­bar­er die ange­betete Per­son ist. Sind die Ver­hand­lun­gen aber abgeschlossen, weil man sich seit Jahren in ein­er sta­bilen Beziehung befind­et, lassen die starken Gefüh­le in der Regel nach. Ob das, was bleibt, ein wohliges Gefühl der Sicher­heit ist oder lang­weiliger All­t­agstrott, sei den jew­eils Beteiligten selb­st überlassen.

Diese The­o­rie wirft ein ernüchtern­des Licht auf die roman­tis­che Liebe. Dabei ist Liebe doch etwas Schönes, dass uns in einen Zus­tand von Euphorie ver­set­zt und kein Gefühl, das sich aus Äng­sten und Unsicher­heit­en speist… oder doch? In den 70er Jahren wiesen zwei US-Amerikanis­che Psy­cholo­gen mit dem Brück­en-Exper­i­ment auf eine Verbindung zwis­chen Angst und Ver­liebt­sein hin. In ihrem Ver­such­sauf­bau wur­den Män­ner in ein­er Kon­troll­gruppe auf ein­er sta­bilen Beton­brücke von ein­er Frau ange­sprochen und mit ein­er andere Gruppe ver­glichen, die der­sel­ben Frau auf ein­er wack­e­li­gen Hänge­brücke begeg­nete. Her­aus kam, dass ein wesentlich größer­er Anteil der Gruppe Män­ner auf der Hänge­brücke die Frau im Nach­hinein anrief. Die Forsch­er inter­pretierten dieses Ergeb­nis so, dass das Angst­ge­fühl, das durch den wack­e­li­gen Unter­grund ent­stand, mit einem Gefühl von Ver­liebtheit oder zumin­d­est Anziehung ver­wech­selt wurde. Betra­chtet man die Bio­chemie des Gehirns während akuter Ver­liebtheit, stimmt es zwar, dass das Glück­shormon Dopamin in großen Men­gen aus­geschüt­tet wird, gle­ichzeit­ig nimmt der Spiegel eines anderen Boten­stoffes, der mit pos­i­tiv­en Emo­tio­nen ver­bun­den wird, jedoch stark ab. Der Sero­tonin­spiegel von Ver­liebten wird häu­fig mit dem von Men­schen mit Zwangsstörun­gen ver­glichen. Vor allem in der Anfangsphase der Ver­liebtheit, wenn die sex­uellen Eigen­tum­srechte noch kein biss­chen gek­lärt sind und die Ver­hand­lun­gen darum noch auf vol­lkom­men wack­e­ligem Unter­grund ste­hen, sind fast alle unsere Gedanken und Hand­lun­gen nur auf diese eine Sache fix­iert, wodurch sie nach außen ger­adezu irra­tional wirken.

Kann Liebe also als eine Zwangsstörung ver­standen wer­den, die sich in ein­er über­mäßi­gen Fix­ierung auf die sex­uellen Eigen­tum­srechte ein­er anderen Per­son aus­drückt? Vielle­icht. Aber auch wenn die Liebe im Zwielicht dieser Erken­nt­nisse viel von ihrem ver­heißungsvollen Glanz einge­büßt hat, bleibt die unzweifel­bare Tat­sache beste­hen, dass Liebe ein unver­gle­ich­lich­er Rausch ist, ohne den das Leben bedeu­tend tris­ter wäre.


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