von Esther Bartke
ACHTUNG: Diese Rezension enthält Spoiler zur Staffel 1 der Serie Hollywood.
Hollywood nach dem zweiten Weltkrieg. Golden. Hoffnungsvoll. Divers?
Hollywood begleitet unterschiedliche junge Menschen auf ihrem Weg ins Filmbusiness und erzählt, wie sich dabei deren Wege kreuzen. Unter ihnen Jack Castello (David Corenswet), Archie Coleman (Jeremy Pope) und Camille Washington (Laura Ruth Harrier). Hollywood bedient sich filmgeschichtlicher Wirklichkeit(en) sowie fiktiver Neuschreibungen. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf Diversität oder vielmehr auf der fehlenden Diversität des Filmgeschäfts der USA in den 1940/50er Jahren – Rassismus, Homophobie und (sexuelle) Machtkämpfe werden dabei aufgearbeitet.
Schon der Vorspann verrät einiges über die Handlung der Serie. Die Protagonist*Innen klettern die Buchstaben des Hollywood-Signs in Los Angeles hinauf. Dabei helfen sie einander und wagen riskante Sprünge, um ihrem Ziel näher zu kommen. Den Blick stets hoffnungsvoll nach oben gerichtet, begleitet sie dramatische Musik unterlegt mit Trompeten. Als schließlich alle oben angekommen sind, wird die Musik ruhiger, die Sonne scheint gerade aufzugehen und der Ausblick über Hollywood offenbart sich dem Cast. Die ersten Sonnenstrahlen und die frische Luft fühlen sich an, wie ein tiefer, befreiender Atemzug. Sie haben es nach oben geschafft.
Der queere Schwarze Screenwriter Archie Coleman hält sich bis zum großen Durchbruch mit Sexarbeit über Wasser. Die Schwarze Schauspielerin Camille Washington muss sich mit stereotypen Rollen zufrieden geben, welche das rassistische Weltbild und den vermeintlichen Konsens der weißen (männlichen) Produzenten widerspiegeln.
Der junge weiße Mann Jack Castello verkörpert sowohl mit seinem Namen als auch mit seiner vermeintlich unschuldigen Art ein perfektes Bild vom Hollywoodstar. Jack ist hoffnungsvoll, geradezu naiv, und schafft es dennoch, zur richtigen Zeit die richtigen Menschen zu treffen. Doch selbst der weiße cis-männliche Protagonist muss anfängliche Hürden überwinden, bis er zum großen Erfolg gelangt. Der frühere Soldat erwartet zusammen mit seiner Frau Henrietta (Maude Apatow) ein Zwillingspaar und sieht sich in der Pflicht, seine Familie finanziell zu versorgen. Da er die Anfänge seiner Schauspielkarriere lediglich hoffnungsvoll wartend vor den Toren von ACE Pictures verbringt, muss Jack sich für den Übergang nach alternativen Einnahmequellen umschauen.
Zusammen mit Archie arbeitet er an einer Tankstelle, die neben Benzin auch Sexarbeit anbietet. Unter den Kund*Innen finden sich große Namen der Filmindustrie. Seinen ersten Job an einem Filmset hat Jack also nicht nur seinem schauspielerischen Talent zu verdanken, sondern auch der Ehefrau des Inhabers von ACE Pictures, Avis Amberg (Patti LuPone).
Die von Ernest „Ernie“ West (Dylan McDermott) geführte Tankstelle eröffnet den Zuschauer*Innen der Serie einen (fiktiven) Blick in das Leben als queerer Mann in Hollywood vor ca. 70 Jahren. Die 1940/50er Jahre stellten eine lebensbedrohliche Zeit für homosexuelle Menschen dar. Gesellschaftliche Verachtung bis hin zu Strafverfolgungen sorgten dafür, dass queere Menschen ihre Sexualität unterdrückten oder nur im Untergrund auslebten. Ernie schafft mit seinem Business einen dieser queeren Orte im Untergrund. Die Sexarbeiter und Kund*Innen seiner Tankstelle identifizieren sich größtenteils als queer bzw. schwul. Sie alle sind willkommen und können ihre Sexualität im Rahmen dieses Underground-Safe-Spaces ausleben. (Natürlich handelt es sich dabei immer noch um eine Dienstleistung und somit ist auch Ernies Tankstelle ein exklusiver Ort, welcher beispielsweise (queeren) Menschen mit wenig finanziellen Mitteln vorenthalten bleibt.)
Hollywood thematisiert auch die toxischen Machtstrukturen innerhalb der Filmindustrie, die aus internalisierter Homophobie resultierten. Der schwule Hollywood-Agent Henry Wilson (Jim Parsons) nutzte seine privilegierte Machtstellung, um seine Klienten (sexuell) zu missbrauchen und von sich abhängig zu machen. Die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs dieser jungen Schauspieler wird in Hollywood versucht, sichtbar zu machen. Aufstrebende Talente, unter ihnen Rock Hudson (Jake Picking), machte Henry Wilson emotional von sich abhängig. Innerhalb der Serie erfahren zumindest ein paar seiner Klienten Gerechtigkeit und erlangen sexuelle Selbstbestimmung.
Während die Protagonist*Innen ihren großen Hollywood-Träumen nachstreben und dabei gegen unterschiedlichste Hürden kämpfen müssen, träumt auch Peg, die Protagonistin im Drehbuch von Archie, vom Leben als Hollywoodstar.
Hollywood ist eine Metapher, in der sich weitere Metaphern finden. Zwischen dem Plot der Serie und der Handlung des Drehbuchs von Archie weisen sich immer wieder Parallelen auf. Peg ist eine unglückliche junge Schauspielerin, die sich am Ende des Films vom Hollywood-Sign stürzen will. Hier nimmt der Vorspann der Serie Bezüge zur Story in der Story. Auch innerhalb der Serie fragt mensch sich, ob alle Figuren es zum großen Erfolg schaffen und dort verweilen oder (metaphorisch gesprochen) einen Downfall erleiden werden.
Aus Peg, einer jungen weißen Frau, wird im Laufe der Serie Meg, welche von Camille gespielt wird. Zeitgleich erfährt Camille mit steigendem Erfolg immer offensiveren Rassismus und Widerstand. Das Drehbuch von Archie stößt Diskurse innerhalb der Filmproduktionsfirma und vor deren Toren auf gesellschaftlich-sozialer Ebene an. Hollywood bedient sich realer historischer Ereignisse und Persönlichkeiten. Der entscheidende Unterschied ist jedoch, dass die Serie die Geschichte Hollywoods neu schreiben will. Dabei sollen reale Probleme nicht vergessen oder gar ignoriert werden, vielmehr geht es um den gemeinsamen Kampf gegen soziale Ungerechtigkeiten, Rassismus und Sexismus, die sowohl heute als auch damals aktuell waren und sind. Hollywood strahlt ein Gefühl von Hoffnung und Optimismus aus. Der Code an besagter Tankstelle für intime Zweisamkeit lautet: „Ich möchte nach Dreamland“. Dreamland steht aber auch für das Hollywood, was uns in der Serie gezeigt wird. Trotz der Hindernisse und Schwierigkeiten werden Träume schließlich wahr. Die Serie zeichnet hier Züge eines Märchens. Machtstrukturen werden sichtbar, kritisiert und schrittweise überwunden. Ryan Murphy und Ian Brennan verwirklichen durch Hollywood ein gewisses Wunschdenken. Sie überwinden sozial-reale Grenzen mit einer geschichtlichen Neuschreibung und erschaffen ein Happy End, welches so in den 50ern nicht möglich gewesen zu sein scheint. Eines der hierzu wichtigsten Beispiele aus der Serie ist die Auszeichnung der Schauspielerin Anny May Wong (Wong Liu Tsong), in der Serie gespielt von Michelle Krusiec, mit einem Academy Award. Die amerikanische Schauspielerin hatte in Wirklichkeit zwar großen Erfolg in Hollywood, wurde jedoch nie für ihre Leistung mit einem Academy Award ausgezeichnet.
Erst 2002 wurde das erste Mal der Academy Award in der Kategorie Beste Hauptdarstellerin an die afroamerikanische Schauspielerin Halle Berry verliehen. Laut Wikipedia gab es bisher keine asiatisch-amerikanische Preisträgerin in der Kategorie Beste Hauptdarstellerin.
Durch die Neuschreibung der Geschichte Hollywoods schaffen Ryan Murphy und Ian Brennan eine träumerische Wohlfühl-Serie, die gleichzeitig zum Hinterfragen der eigenen Privilegien aufruft.
Bildquelle: pexels
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