Aus dem Leben einer Hochstaplerin

von Ly Le

Achtung: Dieser Text behan­delt das Gefühl des Impos­tor Phänomens, das jed­er mehr oder weniger schon min­destens ein­mal erlebt hat. Wenn daraus aber ein Lei­dens­druck (z. B. Burn Out, Depres­sion) resul­tieren sollte, helfen das im Text genan­nte sol­i­darische „Hochstapler*innen-Sein“ und das eigene Bewusst­sein nicht mehr. Bitte sucht euch dann pro­fes­sionelle Hilfe.

Ich starre auf den Bild­schirm. Meine Fin­ger fan­gen immer wieder an Wörter zu tip­pen, um sie dann wieder zu löschen. Ich sitze schon seit ein­er Stunde an mein­er Bewer­bung. Es ist keine große Stelle als CEO, aber doch frage ich mich, ob ich den Anforderun­gen gewach­sen bin. Ich gehe die Anforderungspunk­te durch und beja­he jeden Punkt, um sie gle­ich wieder zu rel­a­tivieren. Kann ich das wirk­lich? Zwar habe ich Erfahrun­gen darin, aber reichen sie auch aus? Was, wenn ich die Stelle bekomme und der Posi­tion nicht gerecht werde? Wenn ich die Stelle bekomme, dann nur aus reinem Glück. Diese Gedanken über­wälti­gen mich in let­zter Zeit öfters. Sei es bei Bewer­bun­gen, kleinen und großen Erfol­gen oder im pri­vat­en Bereich.

Die Angst, anderen nur was vorzutäuschen und als Hochsta­p­lerin ent­larvt zu wer­den, ver­fol­gt mich dabei wie ein Schat­ten. Als wäre ich mit­ten in einem Pok­er­spiel und müsste jet­zt mit meinen nicht allzu ide­alen Karten allen was vor­spie­len. Wie schön, dass Pok­er noch nie mein Spiel war. Mit meinen Augen suche ich verzweifelt nach Kompliz*innen in der Runde. Anscheinend haben aber die anderen gute Karten – oder zumin­d­est ein gutes Pokerface.

Denn ange­blich bin ich nicht die Einzige. Immer öfter stoße ich auf den Begriff Impos­tor Syn­drom. Erst­mals 1987 von den Psy­chologin­nen Pauline Clance und Suzanne Imes einge­führt, steigt die Pop­u­lar­ität des Begriffes seit­dem gravierend. Das Impos­tor Syn­drom beschreibt das Gefühl, an den Erfolg nur durch Glück rangekom­men zu sein, und die darauf zu schlussfol­gernde Angst, von anderen als Hochstapler*in ent­larvt zu werden.

Nun weiß ich eine Beze­ich­nung für meinen Gefühlszu­s­tand. Stellt sich nur die Frage, ob ich auch eine Hochsta­p­lerin bin. Allein der Titel „Bach­e­lorstu­dentin der Lit­er­atur­wis­senschaften und der Europäis­chen Eth­nolo­gie“ fühlt sich wie eine Belas­tung für mich an. Ich bin mir nicht sich­er, ob ich die nöti­gen Ken­nt­nisse mit­bringe, die jemand mit diesem Titel haben sollte. In ein­er Runde mit Kommiliton*innen fällt mir mein Rück­stand auf. Auf Par­tys, wo ich als Exper­tin erko­ren werde, fange ich inner­lich an zu schwitzen. Es fühlt sich so an, als ob sie mich anstar­ren und auf DIE Antwort warten wür­den. Denn schließlich studiere ich das. Meine Unsicher­heit verun­sichert mich noch mehr. Ich kann den Erwartun­gen der anderen nicht gerecht wer­den. Bin ich also eine Hochsta­p­lerin? Oder lei­de ich nur stark am Impos­tor Syndrom?

Das tück­ische an dem Aus­druck Impos­tor Syn­drom ist, dass es eine medi­zinis­che Erkrankung sug­geriert. Dabei wird es nir­gend­wo als ein psy­chol­o­gis­ches Syn­drom aufge­führt. Viel mehr liegt der Aus­druck Impos­tor Phänomen nah. Es beschreibt eine Erschei­n­ung, die sich bei vie­len Men­schen beobacht­en lässt und von der Umwelt verur­sacht wird. Es sind Zweifel, die wir verin­ner­licht haben. Zweifel, die durch äußere Ein­flüsse entste­hen kön­nen. Jedoch wer­den sie im Bezug darauf kaum benan­nt. Stattdessen sind die ersten Vorschläge bei Google, wenn ich Impos­tor Syn­drom (die bekan­ntere Beze­ich­nung von den bei­den) ein­tippe, mehrere Psy­cholo­gie- oder Wirtschafts­seit­en, die mir mit ein paar Tipps helfen wollen. Sie nen­nen neg­a­tive Kind­heit­ser­fahrun­gen und Hang zur Per­fek­tion als Ursachen und empfehlen, Tage­buch zu schreiben und Lob anzunehmen. Na klar, wenn ein Prob­lem auftritt, liegt die Haup­tur­sache doch meist in der Kind­heit und bei der Fam­i­lie. Und was hil­ft da schon mehr als Tage­buch schreiben? Freud würde jet­zt zufrieden nicken.

Den Fokus auf die innere Verbesserung rich­t­end und den Schein ein­er möglichen Päd­a­gogisierung erweck­end, lenken der Begriff Impos­tor Syn­drom und sein Gebrauch von den struk­turellen Prob­le­men ab. Obwohl es nach ein­er Studie etwa 70 Prozent der Men­schen min­destens ein­mal wider­fährt, sind manche Grup­pen eher davon betrof­fen als andere. Vor allem Grup­pen, die Diskri­m­inierungser­fahrun­gen erleben oder ein­fach nicht ins Sys­tem passen, trifft es härter. Der entschei­dende Punkt beim Impos­tor Syn­drom ist, dass er vor allem dann auftritt, wenn es einen Man­gel an Men­schen mit gle­ichem Hin­ter­grund und Erfahrung gibt, die in unserem Feld wahrgenom­men wer­den, wie die Psy­cholo­gin Emi­ly Hu erläutert. Wir fühlen uns wie Außenseiter*innen und fan­gen an, unsere Posi­tion zu hin­ter­fra­gen. Men­schen, die als Erstes aus ihrer Fam­i­lie an die Uni­ver­sität kom­men; Frauen, die als CEO umringt sind von Män­nern, oder auch BPoCs, die die Min­der­heit in ihrer Umge­bung sind, sie alle suchen einen Ver­gle­ich und find­en den nicht. Anstatt das Sys­tem zu hin­ter­fra­gen, fan­gen sie an, an sich selb­st zu zweifeln.

Nun, was heißt es, in einem prob­lema­tis­chen Sys­tem ein*e Hochstapler*in zu sein (oder sich wie eine*r zu fühlen)? Trick­sen wir dann nicht das Sys­tem aus, anstatt uns selb­st und die anderen? Und wenn sowieso ca. 70 Prozent der Men­schen unter dem Impos­tor Syn­drom lei­den, wieso kön­nen wir dann nicht Kompliz*innen sein? Vielle­icht schaf­fen wir es zusam­men, das Sys­tem hin­ters Licht zu führen. Denn seien wir mal ehrlich, auf die Anforderung „Excel-Ken­nt­nisse“ im Stel­lenan­schreiben wird wohl kein­er sagen, dass er/sie einen Excel-Kurs belegt hat. Das höch­ste der Gefüh­le wird wohl eine Finanzta­belle sein, die wir im Kurs, den wir nie belegt haben, erstellt haben. Aber es ist okay, denn es ist nur Excel. Bes­timmt kann es uns jemand beib­rin­gen, der den Job damals auch mit dem­sel­ben Ken­nt­nis­stand erhal­ten hat.

Lass uns also alle zusam­men Hochstapler*innen sein. Wie sagt man so schön, fake it till you make it.


Bilder­nach­weis: Pawl Czer­win­s­ki und Mandy de Jong auf Unsplash.

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