Text mercy ferrars
Lektorat ANJA DEGNER
fOTO HIEP DUONG / UNSPLASH
Sind simulierte Erfahrungen echt? Kann ein Computer träumen? Worin unterscheiden sich technologische Wesen von technologisierten Menschen?
Die Philosophie hat sich diese Fragen unter anderem in der K.I.-Ethik zur Aufgabe gemacht. Sie formuliert einige Gedankenexperimente, welche die Erfahrung und die Beschaffenheit künstlicher Intelligenz kritisch hinterfragen. Hierbei regen diese Experimente nicht nur zum Nach– und Weiterdenken an, sondern zeigen auch ganz klar, dass Menschen einen Unterschied zwischen sich und intelligenten Maschinen ziehen. Wenn ein Roboter träumt, träumt er schließlich nicht wirklich, richtig? Er ist nur dazu programmiert, Bilder und Geschichten zu simulieren.
Aber was macht einen Traum zum Traum? Und sind Cyborgs noch Menschen, wenn der Großteil ihres Körpers nicht mehr organischen Ursprungs ist?
Drei Gedankenexperimente versuchen, Antworten zu finden. Der amerikanische Philosoph John Searle und sein „Chinesischer Raum” fragt genauso wie „Marys Raum” vom australischen Philosophen Frank Jackson sowohl nach der Logik in Maschinen, also beispielsweise danach, ob ein Computer eine Unterhaltung führen kann; als auch nach der subjektiven Erfahrung phänomenologischer Gegebenheiten; also der Frage, wie es sich anfühlt, etwas zu erleben. Das dritte Gedankenexperiment reicht bis zum alten Griechenland. Schon Pluto und Plutarch sprachen über das „Schiff des Theseus”, aber später auch Philosophen wie Thomas Hobbes und John Locke. Es stellt die Frage nach den Cyborgs: bleibt ein Objekt, bei dem alle Komponenten ersetzt wurden, im Wesentlichen dasselbe Objekt?
Searles „Chinese Room”: Chinesisch sprechen im Handumdrehen?
Spätestens seit ich die Logikvorlesung zweimal belegen musste, weiß ich, dass sich auch Sprache auf Logik und Mathematik herunterbrechen lässt. In seinem 1980 erschienen Artikel Psyche, Gehirne und Programme. Verhaltenswissenschaften und Gehirnforschung stellt John Searle ein zentrales Gedankenexperiment vor, welches die mathematische Intelligenz moderner Computer kritisch hinterfragt. Seine Vermutung ist nämlich, dass Computer zwar eine Unterhaltung simulieren, sie aber nicht wirklich verstehen können.
Er entwirft das Szenario des Chinesischen Raumes. In diesem Raum sitzt eine Muttersprachlerin der englischen Sprache. Zu Beginn des Experiments wird festgestellt, dass sie weder Kenntnisse der chinesischen Sprache besitzt, noch sie von der japanischen oder anderen asiatischen Sprachen unterscheiden kann.
Ihr wird anschließend von den Leiter*innen des Experiments ein Handbuch ausgehändigt, gemeinsam mit einer Übersicht von Schriftzeichen, aus welchen sich ein Code ergibt. Indem sie diesen spezifischen Code anwendet, ist sie in der Lage, korrekte Antworten auf die von einer chinesischen Muttersprachlerin außerhalb des Raumes schriftlich an sie gestellten Fragen zu formulieren. Sowohl die gestellten Fragen als auch die mithilfe des Codes ermittelten Antworten sind sodann in korrektem Chinesisch formuliert, sodass sich für die außenstehende Person, die mit ihr kommuniziert, nicht feststellen ließe, dass die Person innerhalb des Raums kein Chinesisch versteht.
Searle präsentiert in seinem Gedankenexperiment einen Computer, der einen Impuls (die gestellte Frage) über ein vorher programmiertes Handlungsmuster (Anwendung des Codes) zu einem bestimmten Ziel rechnet (Antworten in korrektem Chinesisch). Die Person innerhalb des Raumes — der Computer — kann in perfektem Chinesisch kommunizieren, ohne Chinesisch wirklich zu verstehen; ohne wirklich zu wissen, was es bedeutet, und wie es sich anfühlt, Chinesisch zu sprechen. Ohne den Klang der Sprache zu kennen, ihre Geschichte, ihre Redeweisen oder ihre weitere Einbettung in die chinesische Kultur. Searles chinesischer Raum zeigt also, dass Kognition nicht nur „eine Sache der formalen Symbolmanipulation ist” und ihre mechanischen Automatismen „nichts in Bezug auf das Verstehen im Besonderen oder die Intentionalität im Allgemeinen hinzufügen”, schreibt Searle.
„Mary’s Room”: Wie fühlen sich Farben an?
Ein besonders wichtiges Gedankenexperiment ist Mary’s Room, entworfen von dem australischen Philosophen Frank Jackson. In diesem Experiment betrachten wir Mary, eine auf Sehvermögen spezialisierte Neurophysiologin, welche die Welt innerhalb eines schwarzweißen Raumes durch einen schwarzweißen Monitor hindurch erlebt. Mary besitzt durch ihre Forschung alle erschlossenen Informationen über Farben und Vision, und kann beispielsweise den Prozess der Entstehung von Farben in der Atmosphäre rekonstruieren, ohne dieses Phänomen selbst erlebt zu haben. Das Gedankenexperiment stellt sich sodann die Frage, was passieren würde, wenn Mary ihren schwarzweißen Raum verließe und ihre erste eigene Erfahrung darin machen würde, Farbe zu sehen. Würde sie etwas Neues hinzulernen?
Über die Jahre haben sich drei Hypothesen als plausibel erwiesen. Die erste Hypothese ist die einfachste: Mary tritt aus dem schwarzweißen Raum hinaus in eine Welt voller Farbe, und sie gewinnt eine neue Erfahrung. Neben ihrem Wissen, wie Farbe entsteht, erfährt sie, wie es ist, dass ein Objekt rot oder blau ist. Dies würde allerdings wiederum bedeuten, dass es nicht ausreicht, zu wissen wie Farbe physikalisch entsteht, um Farbe zu verstehen.
Die zweite Hypothese geht davon aus, dass Mary bereits alles weiß, was über physische Zustände von rot und blau zu wissen ist. Sie tritt also aus ihrem schwarzweißen Raum, und ihre Vermutungen bestätigen sich: Genauso hat sie sich rot und blau vorgestellt. Marys Erfahrung bestätigt das Wissen, das sie bereits hat.
Was sie allerdings hinzu lernt, ist die Fähigkeit, sich an Farben zu erinnern, sie wieder zu erkennen und sie zu unterscheiden; sie also zu kontextualisieren. Die Hypothese argumentiert also dafür, dass theoretisches Wissen durch die Erfahrung der realen Anwendung auf der dieses Wissen gründet, ergänzt werden kann. Da dies die Akquise neuer Fähigkeiten bedeutet, nennt man diese These auch „Fähigkeits-Hypothese”. Mary lernt also, “wie…” in Ergänzung zu ihrem Wissen, “dass”.
Die dritte Hypothese nimmt an, dass Mary nach Verlassen des schwarzweißen Raumes weder neues faktisches Wissen, noch neue Fähigkeiten gewinnt. Sie gewinnt lediglich die Erfahrung, sich mit ihrem Wissen vertraut zu machen und Vision und Farbe zu begreifen, in dem sie sie selbst erlebt. Was sie also lernen würde, ist die Qualia des Erlebens von Farbe selbst — also ein Zuwachs an Tiefe und Komplexität ihres Verständnisses von Farbe, ohne dass dieses jedoch notwendig gewesen wäre um Farbe zu begreifen.
Plutarch: Das Schiff des Theseus
Das Gedankenexperiment „Das Schiff des Theseus” gibt Antworten auf die antike philosophische Frage nach der Metaphysik der Identität. Wenn alle meine Teile ausgetauscht worden sind, bin ich dann noch ich? Und ist das Schiff des Theseus, „das Schiff, mit dem Theseus und Athens Jugend von Kreta zurückkehrten”, noch das Schiff, mit dem er seine Reise antrat?
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