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6 Siedlungen der Berliner Moderne (Teil 2): Carl Legien — Weiße Stadt — Siemensstadt

Im zweit­en Teil der Artikel­rei­he zu Sied­lun­gen der Berlin­er Mod­erne liegt der Fokus auf den Umset­zungsre­al­itäten des „Neuen Bauens”. Im ersten Teil ging es um die Entste­hungs­geschichte jen­er Architek­tu­ru­topi­en, die gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhun­derts ent­standen. Mit wis­senschaftlichen Meth­o­d­en woll­ten Architekten*innen um die Jahrhun­der­twende mod­erne Städte für mod­erne Men­schen erricht­en. Doch was wurde aus den Ideen? Kon­nten sie größ­ten­teils umge­set­zt wer­den oder blieben sie Utopie? Und in welchem Bezug ste­hen die Sied­lun­gen der Berlin­er Mod­erne dazu? 

Text Martin Bäckert Lektorat Anja Degner fOTOs Florianmk

Die Realität neuer Städte 

Mit der Garten­stadtidee vom Briten Ebenez­er Howard wurde um 1900 eine der ein­flussre­ich­sten Architek­turideen sein­er Zeit ins Leben gerufen. Im transat­lantis­chen Aus­tausch grün­dete sich schnell ein Net­zw­erk aus führen­den Architekt*innen, die Garten­städte pla­nen und bauen woll­ten. Doch zu tat­säch­lichen Umset­zun­gen kam es kaum. Als eine der weni­gen Beispiele kön­nen Letch­worth nahe Lon­don sowie Heller­au bei Dres­den genan­nt wer­den. Doch was geschah mit der ein­flussre­ichen Idee? Sie wurde trans­formiert und prag­ma­tisch inter­pretiert. Statt bei autonomen Stadt­grün­dun­gen auf dem Land — wie sie Howard forderte — wur­den die Prinzip­i­en der Garten­stadt vor allem beim Sied­lungs­bau am Stad­trand einge­set­zt. Statt auf dem Land fernab der beste­hen­den Großstädte wur­den nun Garten­städte am Stad­trand ent­wor­fen. Howards Autonomieforderung ging dabei ver­loren — die gegrün­de­ten Garten­städte waren in der Regel in beste­hende Städte eingegliedert. Ob nun als Garten­stadt oder Sied­lung beze­ich­net, Howards Ideen von grü­nen und hygien­is­chen Leben­sräu­men nah­men großen Ein­fluss auf die Architek­tur des frühen 20. Jahrhun­derts. Auch die sechs Sied­lun­gen der Berlin­er Mod­erne ste­hen in dieser Tra­di­tion. Am Berlin­er Stad­trand soll­ten Wohn­sied­lun­gen mit hohem Lebens­stan­dard für Arbeiter*innen errichtet wer­den. Ger­ade im Hin­blick auf die Leben­squal­ität in den Sied­lun­gen kon­nten hier dur­chaus große Erfolge erzielt wer­den. Im Ver­gle­ich zu den Wohn­ver­hält­nis­sen in den Miet­skaser­nen der Innen­stadt waren die Sied­lun­gen der Berlin­er Mod­erne ein deut­lich­er Fortschritt. Darüber hin­aus war schlicht die Menge an Wohn­raum, die alle sechs Sied­lun­gen zusam­men­stell­ten, für den Berlin­er Woh­nungs­markt eine nach dem Ersten Weltkrieg und der Hyper­in­fla­tion drin­gend benötigte Entspan­nung. Von 1925 bis 1930 ent­standen so allein durch die Sied­lun­gen der Berlin­er Mod­erne rund 6.500 Woh­nun­gen und 750 Einfamilienhäuser. 

Den­noch kon­nten die Sied­lun­gen ihrem sozialen Anspruch nicht gerecht wer­den. In den selb­st als Arbeit­er­sied­lun­gen proklamierten Baut­en waren Arbeiter:innen meist in der Unterzahl. In der Hufeisen­sied­lung lag ihr Anteil beispiel­sweise bei ger­ade mal 30% — Beamte und höhere Facharbeiter:innen waren in der Mehrheit. Ger­ade in Funk­tionärskreisen von SPD und KPD waren die mod­er­nen Sied­lungswoh­nun­gen sehr beliebt.  Gründe hier­für waren die ver­hält­nis­mäßig hohen Mieten der Woh­nun­gen, die aus hohen Baukosten resul­tieren. Denn trotz der Hoff­nun­gen, die man in eine genossen­schaftliche Bauweise mit mod­er­nen Meth­o­d­en pro­jizierte, kon­nte durch diese keine umfassende Baukostenre­duzierung erre­icht wer­den. Für die Mehrheit der zeit­genös­sis­chen Arbeiter:innen der 1920er blieben die Sied­lun­gen der Berlin­er Mod­erne daher unerr­e­ich­bar­er Luxus. 

Zusam­men­fassend kon­nte durch die Berlin­er Wohn­sied­lun­gen zwar eine erste Entspan­nung des Wohn­mark­tes erre­icht wer­den. Den­noch wich die Real­ität Berlins deut­lich von den Utopi­en der ursprünglichen Garten­stadtidee ab. Mit den sechs Sied­lun­gen der Berlin­er Mod­erne wur­den mod­erne Sied­lun­gen für die obere Mit­telschicht geschaf­fen. Aus der autonomen Garten­stadt wur­den Sied­lun­gen als Teil des Großs­tadt­ge­füges — aus den geplanten Arbeiter:innenwohnungen ver­gle­ich­sweise teure Wohnan­la­gen. Eine radikale Erneuerung des Berlin­er Städte­baus stellte dies nicht dar — eher eine prag­ma­tis­che Inter­pre­ta­tion der Gartenstadtutopie. 

Im zweit­en Teil (hier gehts zum ersten) wird ein genauer­er Blick auf die Sied­lun­gen Carl Legien, Weiße Stadt sowie Siemensstadt geworfen. 

Carl Legien (1928 – 1930), Erich-Weinert-Straße 102, 10409 Berlin

Gesamt­fläche: 8,4 ha | Anzahl Woh­nun­gen:  1149 | Entwurf: Bruno Taut | Architek­ten: Bruno Taut, Franz Hilinger

Die Wohn­stadt Carl Legien liegt an der Erich-Wein­ert-Straße im Berlin­er Stadt­teil Pren­zlauer Berg. Ihren Namen erhielt sie vom ersten Vor­sitzen­den des All­ge­meinen Deutschen Gew­erkschafts­bun­des, der 1919 gegrün­det wurde. Gebaut wurde die Wohn­stadt während der End­phase des Neuen Bauens zwis­chen 1928 und 1930. Die Gelder der Hauszinss­teuer, die 1924 einge­führt wurde, kamen gegen Ende der 20er Jahre langsam zum Erliegen. Die größeren Baupro­jek­te, wozu auch die Weiße Stadt sowie Siemensstadt gehörten, wur­den daher mehrheitlich über einen Son­dere­tat des Berlin­er Mag­is­trats finanziert. Die Wohn­stadt Carl Legien liegt im Ver­hält­nis zu den anderen Sied­lun­gen am näch­sten zum Stadtzen­trum und kann gegen­wär­tig nahe des S‑Bahnhofes Pren­zlauer Allee besucht wer­den (S‑Bahn-Lin­ien S41, S42, S8 und S9). 

Weiße Stadt (1929 – 1931), Aroser Allee 152

Gesamt­fläche: 14,3 ha | Anzahl Woh­nun­gen:  1.268

Die Sied­lung Weiße Stadt liegt in Berlin Reinick­endorf und zählt neben der Siemensstadt zu den let­zten großen Baupro­jek­ten der 20er Jahre. Sie fällt nicht mehr in die Ver­ant­wor­tung Bruno Tauts, der sich 1930 ein­er Hon­o­rarpro­fes­sur an der TU Berlin zuwandte. Deut­lich wird Tauts Abwe­sen­heit vor allem an der Far­bge­bung der Weißen Stadt. Anders als bei den Taut’schen Sied­lun­gen, die außen weiß und innen bunt waren, zeich­net sich die Sied­lung Weiße Stadt durch far­bige Fas­sadenele­mente aus. So ste­hen far­bige Fen­ster­rah­men und Ein­gangstüren im Kon­trast zur weißen Fas­sade der Weißen Stadt. Beson­ders ist auch die Vielzahl der Ein­rich­tun­gen der Sied­lun­gen, die im Laufe der Zeit unter anderem aus bis zu 25 Läden, einem Café und ein­er Arzt­prax­is bestand. Zu find­en ist die Weiße Stadt heutzu­tage nahe der U‑Bahnstation Res­i­den­zs­traße (U8). 

Siemensstadt (1929 – 1934), Goebelstraße 84, 13627 Berlin

Gesamt­fläche: 19,3 ha | Anzahl Woh­nun­gen: 1.370 | Gesamtleitung: Mar­tin Wagner

Die let­zte der sechs Sied­lun­gen der Berlin­er Mod­erne ist die Großsied­lung Siemensstadt, die von 1929 bis 1934 gebaut wurde. Sie ori­en­tierte sich am mod­er­nen Mod­ell ein­er durch­grün­ten Stadt, die aus­ge­hend von Howards Garten­stadt-Idee im Laufe der 1920er weit­er­en­twick­elt wurde. Statt autonomen Städten plante man nun Großsied­lun­gen wie die Siemensstadt als unselb­st­ständi­ge Kle­in­städte mit umfassenden Grü­nan­la­gen. Der Spitz­name „Ringsied­lung” rührt daher, dass alle beteiligten Architek­ten in der Architek­tenge­mein­schaft „Der Ring” beteiligt waren. Die Großsied­lung Siemensstadt liegt im heuti­gen Stadt­teil Char­lot­ten­burg Nord und ist per U‑Bahnstation Siemens­damm (U7) erreichbar.

Die Realität „neuer Menschen”

Städte­baulich stell­ten die Sied­lun­gen also dur­chaus einen Erfolg dar. Den­noch hin­gen am Bau der Sied­lun­gen auch soziale und human­itäre Hoff­nun­gen. Durch neue, mod­erne Baut­en soll­ten neue, mod­erne Men­schen entste­hen. Die Sied­lun­gen soll­ten als Erziehungsräume für neue, in Gemein­schaft lebende Men­schen fungieren. Doch wie kon­nten diesen Utopi­en und Ide­olo­gien rück­blick­end in der Real­ität umge­set­zt wer­den? Hier zeigt sich ein eher gegen­läu­figes Bild zu den Vorstel­lun­gen der Sied­lungsar­chitek­ten. Die sozialpäd­a­gogis­chen Ideen der Architek­ten kon­nten sich im All­t­ag der Bewohner*innen kaum durch­set­zen. Die Utopi­en hat­ten gegen den Prag­ma­tismus des Wohnens keine Chance. So wurde beispiel­sweise die ursprüngliche Far­bgestal­tung der Innen­räume über­malt, die Räum­lichkeit­en anders genutzt und auch beim Gemein­schaft­saspekt der Sied­lun­gen zeigten sich schnell erste Risse. Zwar kon­nte in den ersten Jahren in den meis­ten Sied­lun­gen durch gemein­same Fes­tlichkeit­en ein gewiss­er Gemein­schaftssinn erzeugt wer­den. Spätestens mit der zunehmenden Polar­isierung gegen Ende der 20er-Jahre zwis­chen SPD und KPD Mit­gliedern — die oft­mals bei­de in den Sied­lun­gen vertreten waren — endete jedoch der soziale Frieden in den Wohnan­la­gen. Darüber hin­aus gren­zte man sich inner­halb der Sied­lun­gen zunehmend gegenüber der restlichen Stadt­ge­sellschaft ab — eine gewisse Wagen­burg­men­tal­ität set­zte ein. 

Abschließend zeigt sich also ein ambiva­lentes Bild der Sied­lun­gen der Berlin­er Mod­erne. Auf der einen Seite sind die Sied­lun­gen heute ein Sym­bol für einen Wan­del in der deutschen Wohn­baupoli­tik. Weg von der pas­siv­en Baupoli­tik der Miet­skaser­nen hin zu ein­er aktiv­en Woh­nungs­bau- und Stadt­pla­nungspoli­tik, aus der die Großsied­lun­gen schließlich resul­tierten. Durch das soge­nan­nte Neue Bauen kon­nten so von 1925 bis 1930 große wohn­poli­tis­che Erfolge erre­icht wer­den. Die gebaut­en Großsied­lun­gen — in Berlin aber auch deutsch­landweit — stell­ten dabei in vie­len Punk­ten deut­liche Verbesserun­gen der Leben­squal­ität dar. Sie waren heller, grün­er, hygien­is­ch­er — schlicht mod­ern­er als die Woh­nun­gen der Miet­skaser­nen. Den­noch zeigen sich ger­ade in diesem Ruf nach Moder­nität und Fortschritt, den die Architekt*innen der Sied­lun­gen selb­st in höch­stem Maße propagierten, auch deut­liche Diskrepanzen zur Real­ität. So kann beim his­torischen Blick auf die sozioökonomis­che Zusam­menset­zung der Sied­lun­gen deren propagiertes Bild der Arbeit­er­sied­lung nicht aufrecht gehal­ten wer­den. Die mod­er­nen Wohnan­la­gen waren keine real­is­tis­che Alter­na­tive für die finanziell abge­hängten Arbeiter*innen des Indus­triepro­le­tari­ats. Vielmehr boten sie den finanziell gut gestell­ten Facharbeiter*innen und Beamten eine mod­erne Wohn- und Lebenssi­t­u­a­tion. Darüber hin­aus kamen auch die erzieherischen Utopi­en der Architekt*innen — neue Men­schen in natür­lichen Gemein­schaften — kaum zum Tra­gen. Die neuen, sozialpäd­a­gogis­chen Konzepte der Architekt*innen kon­nten sich gegen den Prag­ma­tismus des Wohnall­t­ages kaum durch­set­zen. Zusam­men­fassend lässt sich also sagen, dass auf stadt­planer­isch­er Ebene die Sied­lung­spro­jek­te des Neuen Bauens dur­chaus geglückt sind. Durch sie erhielt vor allem die Mit­telschicht Zugang zu mod­er­nen Wohn­räu­men mit deut­lich besser­er Leben­squal­ität. Die Erziehung mod­ern­er Men­schen mit einem kom­plett neuen Wohnall­t­ag ging damit jedoch nicht einher. 


Religious Art

Nobody inspect­ed the dan­gling Marias… None fret­ted for the 40 dif­fer­ent infant Jesus­es, threat­en­ing to tum­ble with the mama to the floor.

An Oral History of Daisy the Great

FFMag recent­ly sat down for an inter­view with Daisy the Great. Our con­ver­sa­tion ranged from their thes­pi­an ori­gins to pan­dem­ic-era suc­cess and grow­ing pains.

Ferrars & Fields Magazine 

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