Text Lara Shaker
Lektorat Daniela Martens
Foto Ketut Subiyanto
„Wofür bist du am dankbarsten?“, „Wärst du gerne berühmt?“, „Wann hast du das letzte Mal geweint?“ Diese Fragen sollen unter anderem dafür sorgen, dass völlig Fremde sich ineinander verlieben können. Unsere Autorin hat dies probiert, leider erfolglos. Warum an dem Experiment trotzdem etwas dran ist.
Im Sommer letzten Jahres treffe ich ein Mädchen. Weil ich keine Lust habe auf typische „Small Talk“-Dates, bringe ich we’re not really strangers mit, ein Kartenspiel, mit dem man tiefgründigere Gespräche führen soll. Und das tun wir dann auch, wir erzählen uns von schönen und schlimmen Momenten unserer Kindheit, von unseren heimlichen Träumen und was uns in Freund*Innenschaften am wichtigsten ist. Innerhalb von zwei Stunden lerne ich eine fremde Person besser kennen als meine MitbewohnerInnen, das fühlt sich zunächst ungewohnt an. Aber nicht schlecht. Und vielleicht ist es ein Konzept, das auch viel besser zu mir passt? Wir sind uns jedenfalls tatsächlich näher gekommen mit den Fragen und haben viel von uns geteilt – zu einem zweiten Date kam es trotzdem nicht.
Doch das muss es auch nicht: Es geht um Intimität, um tiefere Nähe, egal mit welchem Ziel. Das jedenfalls war das Vorhaben der 1997 von Arthur Aron1 durchgeführten Studie in Amerika, die dank einem viralen New York Times Artikel2 nur noch als „36 questions to fall in love“ bekannt ist. Dank zahlreicher Youtube-Videos von Pärchen, Fremden oder guten Freund*Innen, die ihre Liebe neu erwecken wollen, ist die Studie zu einer populärkulturellen Methode geworden, um potenzielle Partner*Innen erfolgreich zusammenzubringen. Der Liebestrank der Moderne, wenn man so will.
36 Fragen, um sich ineinander zu verlieben – kann das funktionieren?
Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, stellte der Psychologe 36 Fragen auf und bat amerikanische Studierende, in Pärchen zusammenzukommen. Sie alle bekamen 45 Minuten Zeit, den Fragenkatalog zu bearbeiten, der auf immer persönlichere Antworten abzielte. Am Ende folgte ein Fragebogen, der ihre gegenseitige Sympathie sowie Nähe gegenüber erfragte. So wollten die Forscher*Innen herausfinden, ob tiefgründigere Fragen den Kennenlernprozess schneller zu einer ebenso tiefgründigen Verbindung bringen. Das Ergebnis: Persönliche Fragen führen tatsächlich eher zu Nähe und Vertrautheit der PartnerInnen als Small Talk. So weit, so gut. Doch was die Studie damit aussagt, ist nicht etwa, dass tiefgründige Gespräche per se zu einem engeren Verhältnis führen. Vielmehr geht es um das eigene Offenbaren von Persönlichem; eine Sache, der ich bei ersten Dates bislang viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt habe, schließlich wollte ich ja mein Gegenüber kennenlernen.
Wenn ich dir von mir erzähle, verliebe ich mich in dich
„mutual vulnerability fosters closeness“, gegenseitige Verletzlichkeit fördert Nähe, heißt es in dem offiziellen Paper von Aron. Jemandem von sich selbst zu erzählen, führt also zu einer (tieferen) Verbindung, auch und gerade bei Fremden. Ein Pärchen der ursprünglichen Studie soll sogar geheiratet haben – damit müsste Arons Hypothese doch bestätigt sein, oder?
Eigentlich ja. Was allerdings oft vergessen oder, um Disney-Liebesgeschichten zu wahren, absichtlich vorenthalten wird, ist, dass die Studie sich primär gar nicht um romantische Liebe drehte: Es ging um Intimität im Allgemeinen, in all ihren Facetten und Ausdrucksmöglichkeiten. Die Studie ist die erste empirische Möglichkeit, festzustellen, ob Menschen sich „riechen können“. Natürlich funktioniert das Prinzip insbesondere für romantische Verhältnisse oder solche, die es werden wollen, trotzdem war dies nicht das Hauptaugenmerk der Psycholog*Innen in Arons Experiment. Es wird explizit von „partners“, im Englischen ein non-gendered Begriff für „(Lebens)Partner“, aber auch „(Team)Partner“ gesprochen und der anschließende Fragebogen will wissen, ob die Partner*Innen im Anschluss „friends“ werden können. Romantische Liebe ist also lediglich ein mögliches Nebenprodukt einer intimen Konversation zwischen zwei (oder mehreren!) Menschen, nicht ihr Hauptziel.

Nach diesem Motto ist auch das Kartenspiel „vertellis“3 konzipiert, das laut Hersteller*Innen zu sinnvolleren Gesprächen und interpersonaler Reflektion führen soll – nicht nur unter Liebespartner*Innen. Deshalb gibt es auch verschiedene Editionen, unter anderem „family“ oder „holidays“. Sogenannte „Konversationsstarter-Spiele“ boomen schon seit Längerem und spätestens seit „THE AND4“ haben emotionale, ehrliche Konversationen ebenfalls den digitalen Raum erobert. Auch hier findet man unterschiedliche Kartendecks, die nicht nur Freund*Innen & Familie näher zueinander bringen möchten, sondern auch Mitarbeiter*Innen und sogar Fremde. Es war also gar keine so schlechte Idee, neben dem Wein noch ein Kartenspiel mit aufs Date zu nehmen.
Wie viel bist du bereit, mit mir zu teilen?
Natürlich kann eine Unterhaltung nicht immer so funktionieren, wie das Pionierexperiment von Aron es tat – es ist je nach Persönlichkeitstyp auch fraglich, ob man sich vor Fremden eher traut, alles zu offenbaren („man sieht sie ja sowieso nicht wieder“), oder ob man eines geschützteren, familiäreren Umfeldes bedarf – trotzdem glaube ich, dass diese Art des Gesprächs zu sehr viel sinnvolleren und tiefgehenderen Verbindungen führen kann. Aber um gleich das Gefühl für solche Themen zu stärken, hier noch ein paar Inspirationen aus Arons Fragenkatalog, die intimere Gespräche garantieren:
„Given the choice of anyone in the world, who would you invite for dinner and why?”
“What are you most grateful for?”
“Is there something you dreamt of doing for a long time?” – “Why haven’t you done it?”
„What would you ask a fortune-teller?”
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1Seine Frau, Elaine Aron, ist übrigens auch worth checking out; sie hat mit ihrem Buch „The highly sensitive person“ die Forschung auf dem Gebiet Hochsensibilität begründet
2„To fall in love with anyone, do this” (2015)
3Kartenspiel aus Amsterdam, dass ähnliche Fragen nutzt wie Arons Studie.
4Dokumentarfilmprojekt auf Youtube, das Pärchen Fragen vor laufender Kamera beantworten lässt und das Gespräch filmt.
Ferrars & Fields Magazine
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