Text Esther Bartke
Lektorat Lara Helena
fOTO Mikoto.Raw Photographer
Wie “safe” sind feministische online spaces wirklich?
TW: In diesem Artikel werden misogyne und rassistische Morde erwähnt.
FLINTA* sowie Personen der BPoC Community müssen aufgrund der patriarchalen und rassistischen Strukturen unserer Gesellschaft in jeglichen Lebenssituationen mit Gewalt rechnen. Dies bestätigen nicht zuletzt die rassistisch motivierten Femizide im März 2021 in London und Atlanta. Sarah Everard wurde in der Nacht des 3. März auf dem Weg nach Hause von einem Polizisten ermordet.
Zwei Wochen später ermordet ein junger weißer Mann acht Menschen in Atlanta. Ihre Namen lauten:
Soon Chung Park, Hyun Jung Grant, Suncha Kim, Yong Yue, Delaina Ashley Yaun, Xiaojie Tan,
Daoyou Feng, Paul Andre Michels.
Der Täter hat nach eigenen Aussagen gezielt nach Personen gesucht, die er selbst als asiatisch liest. Mit seinen rassistischen Morden wolle er seine Sexsucht unterbinden. Die Absurdität dieser brutalen Morde begründet sich auf der Hypersexualisierung asiatisch gelesener FLINTA* sowie rassistischen Stereotypen. Das aktive Suchen und gewaltvolle Eindringen in öffentliche Orte an dem sich asiatisch gelesene Personen aufhalten oder arbeiten verdeutlicht einmal mehr die absolute Notwendigkeit von Safe Spaces für FLINTA* der BPoC Community.
Beide Vorfälle sind auf misogyne und letzterer zusätzlich auf ein rassistisches Motiv zurückzuführen. In sozialen Netzwerken wie Instagram haben sich daraufhin Protestbewegungen gebildet. Mit Hashtags wie #textmewhenyourhome, #reclaimthestreets und #stopasianhate soll auf die misogynen und rassistischen Strukturen unserer Gesellschaft sowie den daraus resultierenden Gewalttaten aufmerksam gemacht werden. Zeitgleich trendet der Hashtag #notallmen als antifeministische Reaktion auf den feministischen Aktivismus online: Es soll betont werden, dass nicht alle Männer Gewalt gegen FLINTA* ausüben. Dabei ist diese Gegenbewegung ein Phänomen, das sich immer wieder zeigt, sobald cis Männer auf ihre Privilegien innerhalb einer patriarchalen Gesellschaft aufmerksam gemacht werden. Die Notwendigkeit nach mehr Sicherheit im Netz sowie im öffentlichen Raum für Frauen und nicht-binäre Personen ist jedoch unbestreitbar. Zudem zeigt sich, dass jede gewonnene Sicherheit stetig gegen antifeministische Angriffe verteidigt werden muss.
Inwiefern können also soziale Medien feministische Safe Spaces bieten? Durch wen oder was werden Safe Spaces erst notwendig oder gefährdet? Und was genau sind eigentlich Safe Spaces?
Das Konzept eines Safe Space entstand in den späten 1920er Jahren in den USA. Der Fokus lag zu dieser Zeit auf dem Schaffen eines Raums, welcher insbesondere Schutz vor identitätsbasierender Diskriminierung und Gewalt bieten sollte. Während der 1960er — 70er Jahre, der “zweiten feministischen Welle”, wurden Safe Spaces zusätzlich als Orte zur Entwicklung von gemeinsamen Aktionen und Empowerment verstanden.1 Durch digitale Gegenöffentlichkeiten und feministische online Safe Spaces haben sich die Möglichkeiten von Vernetzung und Mobilisierung verändert. Alison Harvey gibt einen Überblick zu den Themenschwerpunkten der Feminist Digital Media Studies. Sie betont den kritischen Umgang mit digitalen Medien und der vermeintlichen Freiheit, die uns das Internet verspricht: „Freedom from what, for whom, and to what ends are questions for researchers to consider.“2 Belästigung und Hass online übersetzen sich aus den bereits existierenden Machtstrukturen der analogen Gesellschaft ins digitale Leben. Harvey macht außerdem darauf aufmerksam, dass Technologie gegendert wird: „Technology is not only marketed using gender-based tropes but designed with gender in mind.“3
Das bedeutet, dass binäre patriarchale Machtstrukturen bereits bei der Entwicklung von Technologien Einfluss auf deren Funktionen und Möglichkeiten haben. FLINTA* wird sowohl Interesse als auch Fähigkeiten in Bezug auf technologische Entwicklung abgesprochen. Insbesondere die Regulation von digitalen Medien durch cis Männer lässt an der Möglichkeit von feministischen online Safe Spaces zweifeln: „In other words, the freedom and equality promoted so heavily in internet history is not available to all, and can lead directly to inequalities for women and girls.“4 Harvey betont aber, dass feministische Teilhabe in digitalen Räumen trotz Belästigungen stattfindet, insbesondere durch Austausch und die Formierung von Gemeinschaft.

Laut Kommunikationswissenschaftlerin Ricarda Drüeke intervenieren feministische Öffentlichkeiten „in gesellschaftliche Prozesse und setzen sich für Emanzipation und Geschlechtergerechtigkeit ein.“5 Im Fall von Sarah Everard haben sich parallel zu den online Protesten auch offline Aktionen formiert, welche ineinander greifen und Bezüge zwischen einander herstellen. Mit dem Instagram Account @sarahs_tree sollen sich öffentliche Plätze und insbesondere Parks zurückerobert werden. „Reclaiming public spaces for Sarah Everard & all survivors“6 heißt es in der Beschreibung des Accounts. Es wird versucht online und offline Orte für FLINTA* (wieder) sicher zu machen. Indem auf Femizide aufmerksam gemacht wird, soll das Vergessen dieser vermeintlichen Einzelfälle verhindert werden. Wie an diesen Reaktionen auf die benannten Femizide zu erkennen ist, wurde also versucht durch verschiedene Protestformen Einfluss auf gesellschaftliche Prozesse zu nehmen. Auf der anderen Seite sorgen Angriffe gegen diese Bewegungen, wie durch #notallmen, dafür, dass digitale Räume stetig neu erkämpft und verteidigt werden müssen.
Feministische (online) Safe Spaces hinterfragen kritisch gesamtgesellschaftliche Machtverhältnisse und versuchen diesen u.a. durch die Organisation von Schutzräumen entgegenzuwirken. Safe Spaces können somit als eine Form des Widerstands gegen patriarchale Strukturen gesehen werden. Eine eindeutige Definition zum Begriff Safe Space gibt es jedoch nicht; abhängig von Organisation, Mitgliedern und Aktionen lässt sich die Bedeutung des Begriffs neu definieren und anpassen. Fest steht allerdings, dass ein Safe Space marginalisierten Gruppen einen Schutzraum bieten soll — soweit die Theorie.
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Einen Kritikpunkt stellen die internen Debatten um Privilegien dar, welche den Fokus um Sicherheit in den Hintergrund rücken können. Ebenso wie die Übersetzung von offline Diskriminierungen in online Spaces, existieren auch ungleiche Machtverhältnisse innerhalb feministischer Communities. Diese werden bestenfalls kritisch hinterfragt und aufgearbeitet, was aber nicht immer der Fall ist. Leider existieren genügend „feministische“ Online-Gruppen, welche sich als transfeindlich und/oder rassistisch herausstellen. In vielerlei Hinsicht fokussieren sich feministische Safe Spaces auf die Bedürfnisse von weißen heterosexuellen cis Frauen, was ganz automatisch zu Diskriminierung führt und den feministischen Safe Space im intersektionalen Sinne selbst aufhebt.

Die Gründung von feministischen Safe Spaces scheint eine niedrigere Hürde darzustellen, als deren Konzeptionalisierung und Aufrechterhaltung. Gleichzeitig entstehen die Abgrenzungen von der hegemonialen Öffentlichkeit aus einer Notwendigkeit heraus. Der gemeinschaftsbildende Charakter eines Safe Spaces wird durch den Austausch über beispielsweise Diskriminierungserfahrungen unterstützt. Die stärkere Regulation von Safe Spaces und damit einhergehende Isolation kann allerdings zu Echokammern innerhalb eines Safe Spaces führen. Dies kann zur Folge haben, dass marginalisierte Stimmen weiterhin ungehört bleiben. Der Verbesserungsbedarf um Safe Spaces ist also ein konstanter Zustand, welcher zum feministischen Kampf dazu zählt. Gleichzeitig besteht die Notwendigkeit von Safe Spaces erst durch unsere patriarchale Gesellschaft. Ungehörte marginalisierte Stimmen können nur in den Räumen gehört werden, in denen sie zu Wort kommen dürfen.
Die bereits erwähnte Wechselwirkung zwischen hegemonialer Öffentlichkeit und feministischer Gegenöffentlichkeit stellen den Ausgangs- und Endpunkt von feministischen Safe Spaces online sowie offline dar. Obwohl es keine eindeutige Definition eines online Safe Spaces gibt, lassen sich zwei zentrale Merkmale nach Kämpf herauslesen. Zum einen das kritische Hinterfragen von „gesamtgesellschaftliche[n] Herrschaftsmechanismen“7 und zum anderen der Schutz vor Diskriminierung.
Schlussendlich liegt es also auch an den Personen innerhalb eines Safe Spaces wie sicher dieser Ort für wen sein kann. Genauso wie im analogen Leben liegt noch ein langer Weg vor uns bis sich wirklich alle FLINTA* repräsentiert und gehört fühlen. Ein Argument für feministische online Safe Spaces bleibt jedoch das vorrangig selbstbestimmte Handeln und die Möglichkeit einer globalen Vernetzung. Trotz antifeministischer Angriffe von Außen kann — und sollte — das Potenzial der sozialen Medien auch feministisch und intersektional genutzt werden.
Bibliographie
1 Clark-Parsons, Rosemary; Building a digital Girl Army: The cultivation of feminist safe spaces online; in: New Media & Society 20.6 (2018): 2125–2144.
2, 3, 4 Harvey, Alison; Feminist media studies; 2019.
5 Drüeke, Ricarda; Digitale Öffentlichkeiten und feministische Protestkulturen; in: Handbuch Medien und Geschlecht: Perspektiven und Befunde der feministischen Kommunikations-und Medienforschung; 2019.
6 Instagram; https://www.instagram.com/sarahs_tree/; Letzter Zugriff: 25.03.2021.
7 Kämpf, Katrin M.; Safe Spaces, Self-Care and Empowerment–Netzfeminismus im Sicherheitsdispositiv; in: Femina Politica–Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft 23.2 (2014): 15–16.
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