FLINTA*, BERLIN

Berlin Pankow: Hundekuscheln und intersektionaler Feminismus in Deutschlands erstem Hundecafé 

by MERCY FERRARS

PITBULL TERRIER (1912) PRINT IN HIGH RESOLUTION BY MORIZ JUNG. ORIGINAL FROM THE MET MUSEUM.

18/11/2021

In einem Wohlfühlcafé in Berlin-Pankow trifft inter­sek­tionaler Fem­i­nis­mus auf Lei­den­schaft für Hunde. Die Berliner­in­nen Clau­dia Beck­ert und Nadine Seyf­fert haben Deutsch­lands erstes Hun­de­café eröffnet. Dabei set­zen sie nicht nur auf eine Begeg­nungsstätte für Hundebesitzer*innen und Hun­de­fans, son­dern auch auf die Ver­net­zung mit anderen FLINTA-Gründer*innen. So schaf­fen sie einen inter­sek­tionalen Raum im his­torischen Nieder­schön­hausen, an dem man gar nicht anders kann, als sich angekom­men zu fühlen. 

In einem Alt­bau aus den 1920er Jahren haben die bei­den jun­gen Grün­derin­nen das Hun­de­café “Fell­fre­unde” eröffnet. Mit Pankow haben sie sich damit den opti­malen Stand­punkt aus­ge­sucht: im Jahr 2018 war der Bezirk Platzer­ster in Sachen Hundehalter*innen und deren Vier­bein­ern. Kurzzeit­ig stand der Alt­bau leer, davor beherbergte er ein Feinkost­warengeschäft und vor jen­em eine Fleis­cherei. Zwis­chen his­torischem Mauer­w­erk, prächtigem Stuck und Fliesen aus den 20er Jahren servieren Nadine und Clau­dia alles, was das Herz begehrt. Das Beson­dere daran: Für Hunde gibt es eine beson­dere Speisekarte. Natür­lich alles nach dem WAU-Prinzip hergestellt: Wohlfühlen, Art­gerecht und Umwelt - ein Leit­faden für das Fell­fre­unde-Café, für Clau­dias und Nadines Arbeit und teil­weise auch für ihr Pri­vatleben. Von der ein­sti­gen Fleis­cherei zeu­gen heute nur noch Würstl aus Wolle, die an den noch orig­i­nal erhal­te­nen Fleis­cher­hak­en von damals hän­gen. Für die bei­den Grün­derin­nen ist ihr Café in viel­er­lei Hin­sicht ein Ort der Begeg­nung: für neue und alte Werte, die im Gebäude koex­istieren; für FLINTA*-Personen, die sich ver­net­zen wollen und für Hundebesitzer*innen und solche, die es gerne wären. Inklu­sion schreiben Clau­dia und Nadine dabei groß, davon zeugt nicht nur eine Uni­sex­toi­lette, son­dern vor allen Din­gen die sicht­bar große Bemühung, dass sich alle Gäste wohl und willkom­men fühlen. Und das schaf­fen sie, fast müh­e­los wie es scheint. 

Wie ein Par­tyk­leid zum Hun­de­café führte

Haushund Bon­nie
Clau­dia Beck­ert (links) und Nadine Seyf­fert (rechts)

Nadine und Clau­dia haben sich vor eini­gen Jahren über ein Kleid für eine 20er-Jahre Par­ty ken­nen­gel­ernt, das Clau­dia auf Ebay Kleinanzeigen an Nadine ver­ma­chte. Schnell haben sie her­aus­ge­fun­den, dass sie nicht nur eine Lei­den­schaft für 20er Jahre Par­tys und gute Lit­er­atur teilen, son­dern auch für Besuche divers­er Katzen­cafés. Zum Neu­jahr 2020, mit Beginn eines neuen Jahrhun­derts, fiel der Entschluss, ein Hun­de­café zu eröff­nen, das Men­schen aus der ganzen Welt zusam­men­brin­gen sollte. Vielfältig waren die bei­den schon immer — Clau­dia ist aus­ge­bildete Buch­händ­lerin und Maschi­nen­führerin, und Nadine hat nach ihrem geis­teswis­senschaftlichen Studi­um vom Tier­arzt übers The­ater bis zur Host­ess schon einige Berufe für sich ent­deckt. Nir­gends sei sie so angekom­men wie in ihrem Hun­de­café, und nichts habe ihr je so große Freude bere­it­et. “Es ist ein Priv­i­leg, sich täglich daran zu erin­nern, wie toll eigentlich unsere Arbeit ist”, sagt die Grün­derin. Haushund Ter­ra seufzt fast zeit­gle­ich zufrieden vor sich hin, als sie neben mir im Kör­bchen entspan­nt. Beson­dere Her­aus­forderun­gen find­et Nadine als Gas­tronomin im “Hun­de­par­cour”, wenn sie zwis­chen unzähm­baren, glück­lich spie­len­den Hun­den einiger­maßen unbeschade­ten Kaf­fee servieren will; der beson­deren Kom­mu­nika­tion mit ihren Gästen und der langsamen Bürokratie, die schweißtreibend ver­sucht, die bei­den Grün­derin­nen mit ihren kreativ­en Ideen und ihren inter­sek­tionalen Ansprüchen in eine Kat­e­gorie einzuord­nen. Und die Freude? “Mich bewe­gen unsere Gäste”, sagt Nadine. “Manche find­en hier ihre ersten Kon­tak­te zu Hun­den oder fühlen sich ein biss­chen weniger ein­sam. Damit sich unsere Gäste wohlfühlen, ist es in unserem Hun­de­cafe ein­gerichtet wie in einem Wohnz­im­mer. Sie kön­nen mit den Hun­den am Kamin kuscheln oder ihre eige­nen Hunde im Garten spie­len lassen, während sie auf der Hol­ly­wood­schaukel ihren Kaf­fee genießen. Wir küm­mern uns um den Rest, brin­gen Wass­er und Leck­erlis für die Hunde, Deck­en, wenn es zu kalt ist und einen Son­nen­schirm, wenn es zu heiß ist. Eigentlich ist es unmöglich, hier nicht miteinan­der ins Gespräch zu kom­men.” Falls es doch mal an Gespräch­san­reizen man­geln sollte, haben sich Clau­dia und Nadine The­men­t­age über­legt, unter anderem den “Sin­gle­donner­stag” und den Welpen­tr­e­ff. “Wir haben auch einen Plaud­er­don­ner­stag, aber der find­et hier eigentlich jeden Tag statt”, lacht Nadine. 

Speisen aus regionaler Herstellung

Haushund Bon­nie
Haushund Ter­ra

Die Stars der Show sind die drei Haushunde der Fell­fre­unde: Labrador Retriev­er Hündin Bon­nie, Tier­schutzhund Sparky und die kleine Ter­ra, die stets erhaben über dem Geschehen thront und alles fest im Blick hat. Die Secu­ri­ty, wenn man so will. “In fel­liger Gesellschaft schmeckt der Kuchen bess­er und das Herz wird leicht”, erk­lären die bei­den, während Bon­nie mit einem Gasthund im Garten tobt. “Unsere Hunde kön­nen sich immer zurückziehen und aus­ruhen, im Bud­delka­s­ten graben oder wer­den von unseren Gästen mit Leck­erlis ver­wöh­nt”, bemerken sie. Denn: Für die vier­beini­gen Gäste bieten die bei­den Hun­de­fut­ter und Hun­deeis in bester Qual­ität und Verträglichkeit aus regionaler Her­stel­lung. Fut­ter zum Pro­bieren und Mit­nehmen wird aus Insek­ten­pro­tein hergestellt und spart somit Wass­er, Land­fläche und CO2. Und auch die zweibeini­gen Cafégäste kom­men nicht zu kurz, so wird von Por­ridge über veg­e­tarische Spaghet­ti Meat­balls bis hin zu Kuchen alles serviert, was das Herz erfreut. Nicht nur der Honig und das saisonale Obst kommt aus Berlin und Umge­bung, son­dern auch der Rüben­zuck­er aus Deutsch­land. Bei Überseep­ro­duk­ten wie Kaf­fee und Kakao acht­en die Fellfreund*innen auf fairen Handel. 

Mut zur Gründung

Fell­fre­unde-Grün­derin Nadine mit Terra
Für vier­beinige Gäste wie Frie­da (mit Frauchen Anne)

“Es zeigte sich schnell, dass viele Men­schen viele gute Ideen haben, aber die Umset­zung ste­ht auf einem anderen Blatt”, berichtet Nadine.  Von den ersten Entwür­fen, Mindmaps, Ideen­samm­lun­gen und Träumereien bis hin zur Unterze­ich­nung der Fir­men­grün­dung, Immo­bilien­verträ­gen, Teamvere­in­barun­gen, Liefer­an­tenbestel­lun­gen und der Kun­dengewin­nung sind 1,5 Jahre ver­gan­gen. “Den Aufwand haben wir nie unter­schätzt, aber die langsam mahlen­den Mühlen der deutschen Bürokratie schon”, geben die bei­den zu. Genau deshalb ist das Fell­fre­unde-Café mehr als nur ein Paradies für Hunde, denn Clau­dia und Nadine wollen aktiv einen Raum schaf­fen, in welchem sie sich mit anderen FLINTA*-Personen ver­net­zen kön­nen und jun­gen Gründer*innen die Möglichkeit geben, von ihrer Erfahrung zu ler­nen. “Als junge Grün­derin­nen wis­sen wir, dass es ein biss­chen Mut kostet, sich selb­st­ständig zu machen beziehungsweise mit sein­er Idee pub­lik zu gehen. Das Net­zw­erk unter Freis­chaf­fend­en, vor allem unter Frauen, ist noch viel zu klein. Wer grün­den möchte, der empfehlen wir, min­destens die dop­pelte Zeit ein­pla­nen, von der man eigentlich aus­ge­ht. Es ist ein lang­wieriger Prozess. Aber: unbe­d­ingt dran­bleiben und nicht aufgeben, selb­st wenn euch die Bürokratie schlichtweg mal ver­gisst”, meint Clau­dia und lacht. “Es ist klug, gemein­sam mit ein­er weit­eren Per­son zu grün­den.” — “Clau­dias und meine Per­sön­lichkeit ergänzen sich ganz gut”, bestätigt Nadine. “Clau­dia ist eher boden­ständig und reflek­tiert, wohinge­gen ich eher impul­siv aus dem Bauchge­fühl her­aus entschei­de. So bal­ancieren wir uns gegen­seit­ig und kom­men am Ende zum besten Ergebnis.” 

“Unsere Künstler*innen, mit denen wir momen­tan kooperieren, stellen hier in unserem Hun­de­café ihre Tassen, Stoff­beu­tel, Kalen­der, Postkarten, Leseze­ichen, Schlüs­se­lan­hänger und Täschchen zum Verkauf aus. Im Gespräch sind wir mit ein­er Yogalehrerin, die Yoga mit Hun­den anbi­eten kann. Wir wün­schen uns noch viel mehr Kreativ­ität und inspiri­erende Gespräche mit jun­gen Unternehmer*innen, oder solchen die es wer­den wollen. Wir wollen Work­shops und Sem­i­nare anbi­eten: Malkurse, Back­work­shops, Erste Hil­fe für Hunde und sind für Ideen offen — und dafür brauchen wir Leute, die Lust auf den Umgang mit Hun­den und Hun­de­fans haben”, sagen die Fell­fre­undin­nen. Denn in ihrem Café fließen mehrere Leit­mo­tive in ein einzi­gar­tiges Konzept. Neben Kursen und Work­shops wollen sich die Fell­fre­undin­nen nicht nur für einen Hun­deaus­lauf in Pankow ein­set­zen, son­dern auch Pflege- und Ver­mit­tlungsstelle des Tier­schutzes wer­den, durch die sich ihre Gäste bei ihren Besuchen in aller Ruhe ver­lieben und einen Hund adop­tieren können. 

Wer die Fell­fre­undin­nen über einen Kaf­fee hin­aus unter­stützen möchte, kann selb­st ein*e Fellfreund*in wer­den. “Fell­fre­und­schaften, wie wir sie liebevoll nen­nen, sind eine große Unter­stützung für unser Hun­de­café. Alles kommt den Hun­den zugute. Wir brauchen ab und an neuen Sand für die Bud­delk­isten, neue Holzschnet­zel für den Unter­grund im Garten zum Spie­len und Kuscheldeck­en fehlen bei uns auch nie. Auch kleine bis große zweibeinige Fellfreund*innen haben Vorteile: Neben ein­er Urkunde, Fell­fre­unde-Fanar­tikeln und einem jährlichen Fell­fre­unde-Tre­f­fen gibt es auch exk­lu­sive Spielzeit im Hun­de­café — für den/die Liebling­shunde und/oder den eige­nen Hund.” Darüber hin­aus gibt es nach einem gelun­genen Hal­loween­event, von dem man munkelt, dass es haus­gemachte Spin­nen zu snack­en gab, auch schon Pläne für einen veg­a­nen Win­ter- und Wei­h­nachts­garten, wo einem bei Brat­apfel und gebran­nten Nüssen das Herz warm wird. 

LektorIERTVON Lara Helena. Fotos VON Mercy Ferrars.


Das Hun­de­café “Fell­fre­unde” hat Mittwochs und Fre­itags von 15 bis 20 Uhr geöffnet und Sam­stags und Son­ntags von 11 bis 19 Uhr. Bitte reservieren!
Beuth­straße 41, 13156 Berlin.
www.fellfreunde.cafe

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