Heutzutage impliziert die Assoziation von Kreativität und Geisteskrankheit oft eine Regression von einem erwachsenen und geordneten Geisteszustand zu einem ursprünglichen, impulsiven oder infantilen Zustand. Unser Autor untersucht vier Maler*innen, deren Lebenswerk von ihrer mentalen Gesundheit beeinflusst wurde.
TEXT Benedict Carpenter van Barthold ÜBERSETZUNG Mercy Ferrars TITELBILD The Vampire II (ca. 1895–1902) by Edvard Munch. Original from The Art Institute of Chicago.

In Wes Andersons neuem Film The French Dispatch geht es um die letzte Ausgabe eines Magazins, das sich auf lange Artikel über die Geschehnisse in der fiktiven Stadt Ennui-sur-Blasé spezialisiert hat. Der Film ist eine Anthologie von Kurzfilmen, die drei dieser Artikel darstellen.
Ein Beitrag der Kunstkritikerin der Zeitschrift (Tilda Swinton) befasst sich mit dem Leben und dem späten Erfolg des abstrakten Künstlers Moses Rosenthaler (Benicio Del Toro). Rosenthaler, der von klein auf talentiert war, verfolgte die Kunst mit einer verbissenen Entschlossenheit, die ihn langsam den Verstand verlieren ließ. In einem Wutanfall begeht er einen Dreifachmord, der ihn ins Gefängnis bringt, wo er, nach einer langen Zeit der Abwesenheit von der Kunst, mit Hilfe seiner Gefängniswärterin und Muse Simone (Léa Seydoux) seine besten Werke schafft.
Künstler*innen wie Rosenthaler, die von einer zu großen Lebenslust, einem tragischen Hang zum Alkohol oder sogar von intensiven und mörderischen Begierden geplagt sind, sind bekannte Figuren in Film und Fiktion. In manchen Filmen ist die Kunst selbst dämonisch.
Wie alles andere wird auch die mentale Krankheit im Kontext ihrer Zeit verstanden. In ihrer Studie über Melancholie und Genie Born Under Saturn zeigen die Kunsthistoriker*innen Margot und Rudolf Wittkower, wie die Künstler*innen der Renaissance die geistige Entfremdung in sich aufnahmen. Dies zeigte sich in einer zurückgezogenen, trägen Schwermut. Diese schwere Traurigkeit galt sowohl als Symptom als auch als Preis der göttlichen Inspiration. Sie war ein Mittel, um ihre Inspiration vom bloßen “Know-how” des Handwerks zu unterscheiden. Eine Begegnung mit dem Wahnsinn war gute PR.
Diese Assoziation hat sich so sehr etabliert, dass man im Index des Kompendiums The Anatomy of Melancholy des Schriftstellers Robert Burton aus dem Jahr 1620 einen Eintrag zum Thema “Künstler” findet. Er lautet: “KÜNSTLER: Verrückte”.
Heutzutage impliziert die Assoziation von Kreativität und Geisteskrankheit oft eine Regression von einem erwachsenen und geordneten Geisteszustand zu einem ursprünglichen, impulsiven oder infantilen Zustand. Der Künstler in Andersons Film ist ein solches Beispiel: Er ist laut, ungestüm und extravagant verrückt. Und wenn er am “verrücktesten” ist, malt er seine besten Werke.
Im Folgenden untersuche ich das Werk von vier Maler*innen, deren Arbeit von verschiedenen psychischen Erkrankungen geprägt ist, und zeige auf, dass die Idee der “verrückten Kunstschaffenden” nicht mit einem Kontrollverlust verbunden sein muss, sondern vielmehr mit dem Versuch, diesen zu erreichen. Es ist nicht immer laut. Sie kann leise, sehr detailliert oder zurückhaltend sein — wie die Arbeiten dieser Künstler*innen zeigen.
Richard Dadd
Eine Parallele zu Rosenthaler ist der viktorianische Maler Richard Dadd. Die Karriere dieses brillanten jungen Künstlers wurde durch einen psychischen Zusammenbruch zerstört, der heute wahrscheinlich als paranoide Schizophrenie diagnostiziert werden würde.

Dadd tötete seinen Vater, weil er ihn für den leibhaftigen Teufel hielt. Er wurde in die Abteilung für kriminelle Geisteskranke des Bethlem Hospital eingewiesen. Als Patient malte er viele seiner obsessiv detaillierten Meisterwerke, wie etwa The Fairy Feller’s Master-Stroke (1855–64). Das Gemälde enthält versteckte Details, die nicht jeder sehen kann. In der Mitte des Gemäldes sehe ich zum Beispiel eine Figur mit blassem Gesicht, die einen violetten Umhang trägt und im rechten Winkel zum Rest des Bildes steht.
Es ist das Werk dieser Periode, für das Dadd in Erinnerung geblieben ist.
Edvard Munch
Ein weniger schmerzhaftes Beispiel findet sich bei dem norwegischen Maler Edvard Munch.
Munchs berühmtes Werk Der Schrei (1893) zeigt eine Vision des Künstlers, in der er “Blut und Feuerzungen” über einem Fjord aufsteigen sah. Im Vordergrund hält eine leichenblasse Figur ihre Wangen in gequälter Erschütterung zusammen. Eine handschriftliche Botschaft in der linken oberen Ecke des Gemäldes wurde kürzlich als von der Hand des Künstlers stammend identifiziert. Sie lautet: “Kann nur von einem Verrückten gemalt worden sein”.

Munch betrachtete es als ein Zeichen von Gesundheit, dass er Krankheit und Angst in der Kunst ausdrücken konnte, und er machte sich die Idee zu eigen, dass der Wahnsinn eine Gabe sei, die ihm Einsichten gewährte, die anderen verwehrt blieben.
Mary Barnes
Ein eindrucksvolles Beispiel für “kreative Regression” ist die Künstlerin und Dichterin Mary Barnes. Barnes, bei der Schizophrenie diagnostiziert wurde und die sich weigerte, für sich selbst zu sorgen, war die erste Bewohnerin von Kingsley Hall, einer experimentellen therapeutischen Gemeinschaft, die von dem Psychiater RD Laing gegründet wurde. Dort begann sie, Bilder zu machen, zunächst mit ihren Exkrementen. Wie einer ihrer Psychotherapeut*innen beschrieb:
“Mary beschmierte Scheiße mit der Kunstfertigkeit einer Zen-Kalligraphin. Sie setzte mit einem ihrer vielen natürlichen, spontanen und unbewussten Striche mehr Energien frei, als die meisten Künstler*innen in einem ganzen Leben zum Ausdruck bringen. Ich bewunderte die Eleganz und Eloquenz ihrer Bildsprache, während andere nur ihre Gerüche sahen.”
Barnes hat anschließend eine erfolgreiche Karriere als Künstlerin gemacht.

Die Formulierung “natürlich, spontan und unbewusst” ist ein Hinweis auf die Überzeugung, dass die expressive Kreativität in der ursprünglichen Regression liegt. Wie das letzte Beispiel zeigt, ist dies nicht unbedingt der Fall.
Agnes Martin
Die amerikanische Malerin Agnes Martin hat zwei Jahrzehnte lang experimentiert, um zu der luziden Abstraktion zu gelangen, für die sie bekannt ist. In ihren Notizen für einen Vortrag an der Universität von Pennsylvania im Jahr 1973 schrieb sie:
“Das Werk ist so weit von der Vollkommenheit entfernt, weil wir selbst so weit von der Vollkommenheit entfernt sind. Je öfter wir einen Blick auf die Vollkommenheit werfen oder je bewusster wir sie wahrnehmen, desto weiter scheint sie entfernt zu sein.”
Martin litt unter akustischen Halluzinationen und wurde mit paranoider Schizophrenie diagnostiziert. Ihre ruhigen und methodischen Gemälde, wie Faraway Love (1999), stellen abstrakte Zustände der Existenz dar: Unschuld, Glück und das Erhabene. Sie sind ebenso Meditationen wie visuelle Erfahrungen.
“Manchmal”, so fährt sie fort, “wird der Drache durch harte Arbeit geschwächt”.
Das Beispiel von Martins bedächtigem und hingebungsvollem Leben steht in krassem Gegensatz zum lärmenden Stereotyp des impulsiven und urwüchsigen Genies.

Die Gemälde des fiktiven Rosenthaler und der realen Martin sind beide sehr abstrakt und stehen in starkem Kontrast zueinander. Martins Bilder haben eine zurückhaltende, geordnete Qualität, während Rosenthalers Bilder kühn und hemmungslos sind und über alles, was ihm als Leinwand dient, spritzen. Jenseits der romantischen Vorstellungen von großen Kunstschaffenden, wie sie im Film dargestellt werden, zeigen diese Künstler*innen, dass es in der Kunst eher darum geht, die Kontrolle zu gewinnen als zu verlieren.
Benedict Carpenter van Barthold, Hauptdozent, Fakultät für Kunst und Design, Nottingham Trent University
Dieser Artikel wurde von The Conversation unter einer Creative-Commons-Lizenz neu veröffentlicht. Lesen Sie den Originalartikel. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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