Deutsche Literatur versammelt oft nur wortgewandte Männer und vernachlässigt dabei weibliches Schreiben, findet unsere Autorin. Darum hat sie eine Liste weiblicher Schriftstellerinnen, Lyrikerinnen und Philosophinnen zusammengestellt.
TEXT Lara Shaker LEKTORAT Anja Degner FOTO Elizabeth Barrett Browning von Michele Gordigiani, 1858. Photo credit: National Portrait Gallery, London

Deutsche Literatur versammelt oft nur wortgewandte Männer und vernachlässigt dabei weibliches Schreiben, findet unsere Autorin. Darum hat sie eine Liste weiblicher Schriftstellerinnen, Lyrikerinnen und Philosophinnen zusammengestellt.
Als Studentin der Literaturwissenschaft wird man gerade an Weihnachten oft als wandelndes Feuilleton gesehen: jemand, den man ansprechen kann, wenn es um Literaturempfehlungen und besonders Buchgeschenke geht.
Und es stimmt, schließlich studiere ich Literatur und im Studium lerne ich Werke aus aller Welt umfassend kennen – deutsche Klassiker, französische Pflichtlektüre und spanische Lyrik. Ab dem zweiten Semester gebe ich mir besonders Mühe, dezidiert feministische Texte zu lesen – es ist 2021, ich studiere in Berlin und trotzdem muss ich im Vorlesungsverzeichnis explizit danach suchen: Weibliches Schreiben. Im literaturwissenschaftlichen Kanon oft vernachlässigt, stellt sich irgendwann der Eindruck ein, Frauen hätten einfach weniger geschrieben, waren nicht genauso intelligent, wortgewandt und sprachbegeistert wie Männer. Dass das nicht so ist – und gesellschaftliche Ideale, die Frauen den Zugang zu Bildung verwehrten, Mitschuld daran tragen – wissen mittlerweile viele; trotzdem sind Rilke, Brecht, Hesse, Mann (und Männer) noch immer das alleinige Aushängeschild der deutschen Literatur.
Das Land der Denker*innen und Dichter*innen
Damit soll nicht gesagt sein, es habe sich in den letzten Jahren nichts getan – im Gegenteil, der Trend zu weiblicher Literatur ist definitiv da, doch es fehlt noch immer an Sichtbarkeit für Frauen, die mindestens genauso gut geschrieben haben. Einen Schritt dahin ist Emilia von Senger1 2020 mit der Eröffnung von „she said books“ gegangen: Die Neuköllner Buchhandlung versammelt queere und feministische Literatur und bietet so die Möglichkeit, Literatur fernab des (weiß-)männlichen Kanons in ihrer Fülle zu zeigen und erfahrbar zu machen.
Einen weiteren Schritt soll folgende, bei weitem nicht vollständige Liste darstellen: Eine kleine Sammlung weiblicher Lyrikerinnen, Schriftstellerinnen, Philosophinnen und Herausgeberinnen. Damit irgendwann auch Frauen ihren verdienten Platz in der Literaturwissenschaft einnehmen können.

Gedichte & Lyrik
- Maren Kames “Luna Luna” (experimentelle Lyrik die geistreiche Verse mit schönen Wortspielen vereint; auf sehr besondere Weise wird von der psychischen Erkrankung sowie Wahnvorstellungen der Figur erzählt, die stets um den Mond kreist)
- Warsan Shire “Teaching my Mother How to Give Birth” (somalisch-britische Lyrikerin, dessen Werke sich besonders durch ihre tiefe Melancholie auszeichnen, Shire schreibt aus der Perspektive einer BIPoC-Frau was es bedeutet, in patriarchalen Gesellschaften aufzuwachsen, ihre Gedichte evozieren starke Bilder und sind sehr scharf in ihrem Klang)
- Ingeborg Bachmann (eine der bekanntesten deutschsprachigen Schriftstellerinnen des 20. Jahrhundert; klassische “troubled soul“ mit wunderschöner Lyrik, Beziehungen u.A. zu Max Frisch und Paul Celan ließen ihre Gedichte graduell trauriger und tiefgründiger werden, auch Prosa)
- Sylvia Plath “Daddy” (nur ein Gedicht von vielen Meisterwerken, sehr traurige und scharfsinnige Lyrik, in denen sie sich oft mit dem eigenen Leben auseinandersetzte, Werke drehen sich zumeist um Stellung der Frau in Gesellschaft, auch Prosa)
Prosa und Ähnliches
- Alles von Virginia Woolf (z.B: “To The Lighthouse”, britische Schriftstellerin, feministisch bekannt geworden durch den Essay „A Room of One’s Own”, beleuchtete Perspektiven ihrer weiblichen Progatonistinnen eindringlich und schonungslos)
- Katherine Mansfield “Bliss” (neuseeländische Schriftstellerin, die vorwiegend Kurzgeschichten schrieb, berührende Erzählungen von Alltagserfahrungen, deren Schreibstil bezeichnend für die avantgardistische Moderne war)
- Kate Chopin “The Story of an Hour” (amerikanische Schriftstellerin, die auch bekannt für ihre short stories war, ihr bekanntester Roman „The Awakening“ untersucht Frauen und das viktorianische Ideal im 19. Jahrhundert)
- Elif Shafak „Der Geruch des Paradieses/Ehre/Unerhörte Stimmen“ (türkisch-britische Autorin, deren Romane meist bewegende Schicksale von Frauen erzählen, Shafak konstruiert tolle Figuren und weiß, wie man eine Geschichte erzählt)
- Toni Morrison „Sula“ (Morrison, eine amerikanische Schriftstellerin, schreibt aus der Perspektive einer Schwarzen Frau in den Staaten, sie tut dies auf sehr philosphische Art und Weise, mit Passagen großartiger Reflexion des Erzählten und einem wunderbaren Schreibstil)
- Isabell Allende „Eva Luna“ (eine der größten Geschichtenerzählerinnen Lateinamerikas, auch Allende erschafft sehr besondere und glaubwürdige Charaktere und vereint Elemente des Mystischen und Surrealen in ihren Romanen)
Philosophie /Sachbücher
- Seyda Kurt „Radikale Zärtlichkeit“ (Eine junge Stimme Deutschlands, die in ihrem Romandebut unter anderem Beziehungskonzepte jenseits der Monogamie untersucht und beleuchtet)
- Ann-Kristin Tlusty „Süß. Eine feministische Kritik“ (Tlusty zieht eine Bilanz des aktuellen Feminismus, weist auf Baustellen und Schwachstellen hin und schreibt dabei nicht nur informativ, sondern auch gekonnt unterhaltsam)
- Silvia Federici „Caliban und die Hexe” (das Must-Have aller FeministInnen, ein großes Buch mit noch größerem Wert, dass den Zusammenhang zwischen Ausbeutung weiblicher Körper und des frühen Aufschwungs von Kapitalismus)
- Alles von Naomi Wolf („Promiscuities/The Beauty Myth/Vagina“, eine der wichtigsten Feministinnen des 20. Jahrhunderts, beeindruckende wissenschaftliche Erkenntnisse, die feministische Forderungen mit zahlreichen Theorien und Studien stützen)
- alles von bell hooks (z.B „all about love“: wortgewandt, clever, immer wichtig, immer aktuell, feministische Pflichtlektüre)
1Der erwähnte Buchladen sowie Emilia von Senger stehen aufgrund der Familiengeschichte der Inhaberin stark in der Kritik, „she said books“ soll hier dennoch als beispielhaft für das Sichtbarmachen feministischer Literatur angeführt werden.