Seit zwei Wochen schulde ich meiner Redaktion einen Text. Seit zwei Wochen kämpfe ich mit meiner Depression. Und sie mit mir.
TEXT Sandra Reichert LEKTORAT Mercy Ferrars FOTO Kyle Cleveland

Seit zwei Wochen schulde ich meiner Redaktion einen Text. Seit zwei Wochen kämpfe ich mit meiner Depression. Und sie mit mir.
Vergangene Woche zog ich um und kam mir dabei so langsam vor wie noch nie. Dabei war die Strecke so kurz und die neue Wohnung lag so nah wie nur denkbar: Ich musste lediglich und wortwörtlich über den Hausflur. Meine Vorbereitung lag also vor allem im koordinierten Möbelschieben meiner vier wohnlichen Besitztümer über besagten Flur.
Nicht einen Karton, dafür die Handwerker der neuen alten Nachbarwohnung zum Helfen organisiert, landeten selbst Kühlschrank und Waschmaschine nebenan, ohne dass ich auch nur eine*n Freund*in mobilisiert hatte; die meisten meiner Bücher, der Hauptanteil meines Besitztums, trug ich in Bündeln und zwei Reisetaschen hinüber.
Am Ende war der Umzug innerhalb von drei Tagen vollzogen. Erfahrungsgemäß erledige ich solche Dinge innerhalb eines Tages, auch bundesweit. Den versprochenen Text habe ich in den vergangenen 14 Tagen auf ungefähr vier Anfänge und maximal drei Zeilen gebracht. Bis heute. Warum? Nicht wegen eines Umzugs und was er mit sich bringt, oder der Weihnachtszeit, oder den beiden Aspekten gemeinsam. Nein. Weil sich in einer der letzten Nächte in meiner alten Wohnung völlig uneingeladen wenn auch vorhergesehen meine Depression dazugesellte. Sie schaute mit ihrem defizitären Blick auf meine Situation, mich und mein Leben, um mir dann allerhand fiese miese Gemeinheiten über mich zu erzählen. Und ich ließ sie reden. Am Anfang hörte ich ihr sogar zu. Das tat sehr weh. Denn sie ist keine Freundin. Auch wenn wir uns nun über mein halbes Leben kennen und sie mir anhängt, als würde sie mich mögen: Diese Depression ist keine Freundin von mir. Folglich darf sie jede*r aus meinem Haus schmeißen, wer kann. Ich hab es oft versucht. Meist ohne Erfolg. Auf meine Kosten. Denn am Ende verlässt sie mein Haus oft erst dann, wenn ich wimmernd und niedergerungen auf dem Küchenboden liege. Oder auf dem Weg dahin, wie dieses Mal: Während sich ein Teil von mir zusammengerollt und weinend zwischen die Kartons legen wollte, war ein weiterer Teil bei „ZackZack“ und engagiert dabei, voller Angst und Härte für den müden ersten Part – beobachtet von einer dritten Instanz, die beide Seiten gern versöhnen möchte, doch schmerzlich selten Gehör findet.
Nachdem ich ihr also eine Weile zugehört hatte und sie mir einmal mehr die Kehle zuschnürte, mich keinen Atemzug ohne Schmerzen im Hals nehmen ließ, bis mir schließlich die Tränen übers Gesicht liefen, verbat ich ihr endlich den Mund. Während sie mir weiter ihre Verachtung ins Ohr flüsterte und ihren Hohn über mir ausgoss, befahl ich ihr zu schweigen. Das war für uns beide neu und wirkte, vermutlich auch aus dem Überraschungsmoment heraus. Ich blieb dabei. Wann immer diese unfreundliche, lieblose Stimme neu ansetzte, trat ich für mich und ein Versprechen ein, dass ich mir vor langer Zeit gegeben habe: meine Freundin zu sein. Als solche würde ich nicht erlauben, dass jemand so mit mir spricht, wie meine Depression es zuweilen tut. Ich verbat mir also ihren Ton. Und es half; es hilft. Es kostet noch immer Kraft. Doch wache ich täglich lieber mit mir auf, schaue ich optimistischer in den Tag; schaffe ich es immerhin nach zwei Wochen anstelle von drei Monaten, einen Text zu schreiben. Ist die Freude daran größer als die Selbstzweifel, die mir Nichts und nur das zugestehen wollen. Die Hölle ist kein Ort, sondern ein Zustand.
Ich spreche also neuerdings freundlicher, geduldsamer mit mir. Ich bin verständnisvoller, liebevoller. Ich schaue auf das, wofür ich dankbar bin und auf meine Erfolge: nicht, um mein Ego zu füttern, sondern um mir Mut zu machen. Ich bin die Freundin, die ich mir wünsche und vornehme für die Menschen zu sein, die mir wichtig sind, die ich schätze. Und ich denke, dass mensch nur geben kann, was mensch selbst annehmen kann. Es ist ein Missverständnis zu meinen, man müsse sich selbst lieben, um andere lieben zu können. Es ist wichtig, sich selbst zu lieben, um überhaupt die Liebe von anderen annehmen zu können. Erst darauf folgt das Geben. Wir können nur geben, was wir meinen selbst verdient zu haben. So gesehen ist Selbstliebe also Bedingung und ein Akt der Nächstenliebe, vorausgesetzt, mensch ist sich dabei wirklich selbst begegnet und hat sich nicht nur ehrlich ausgehalten.
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