"There's this feeling, once you leave where you grew up, that you don't totally belong there again. You can live whatever you want to live. Be whoever you want to be. You have time.”
PAINTING

TEXT Clara Berlich, LEKTORAT Lara Helena, TITELBILD Claude Monet’s Water Lilies (1915–1916), Saint Louis Art Museum.
Monets Garten auf dem Weg ins 21. Jahrhundert
Artist
Claude Monet
Year
1880–1890 / 2022
Country
Frankreich / Berlin
Format
Malerei,Multimedial unterstützte Lichtinstallation
Current Exhibition
Die Alte Münze Berlin, Monets Garten — ein immersives Ausstellungserlebnis
Material
Ölfarbe, Leinwand, 3D Mapping Projektionssystem
Dimensionen
variieren
Neulich war ich durch Zufall bei einer Ausstellungseröffnung. Es war kein reiner Zufall, ich gehe gern auf Ausstellungseröffnungen, weil es da kostenlos Essen und Trinken gibt. In wiederkehrenden Phasen akuter Geldnot verwandle ich mich regelmäßig und kurzfristig in eine Kennerin der Berliner Kunst- und Kulturlandschaft. Eine besonders profunde Kenntnis habe ich dabei auf dem Gebiet der Petits Fours und der zu erwartenden Qualität der gereichten Getränke entwickelt. Eine interessante Beobachtung am Rande: während bei einer öffentlich zugänglichen Vernissage in einer privaten Galerie auf gefühlten sechs Quadratmetern häufig halbwegs solider Champagner getrunken wird, gibt es bei exklusiven Presseveranstaltungen in staatlichen Häusern meistens Prosecco. Rotkäppchen-Sekt gibt es fast nie irgendwo. Das finde ich sehr schade, denn ich komme aus dem deutschen Osten und bin enorm lokalpatriotisch, wenn es um Rotkäppchen-Sekt geht. Aber das, wie gesagt, nur am Rande.
Zur Eröffnung von Monets Garten in der Alten Münze, der ich nicht ganz zufällig und einem Freund sei Dank beiwohne, gibt es Crémant. Die Ausstellung widmet sich mit Claude Monet (1840–1926) einem Künstler, der sich ebenfalls in wiederkehrenden Phasen akuter Geldnot befunden hat. Als Monet gerade zu ein bisschen Geld gekommen war — im Jahre 1890, um genau zu sein — kaufte er ein Haus in einem Dorf in der Normandie und legte dahinter einen Garten an, für den das Geld dann zu großen Teilen wieder draufging. Das hat sich allerdings gelohnt, denn der Garten in Giverny hat nicht nur Modell für einige der bekanntesten Werke des Künstlers gestanden, sondern ist überhaupt so schön und beeindruckend, dass er insbesondere unter Freund*innen der Zier- und Wassergärtnerei selbst als Kunstwerk gilt. Ich habe vom Gärtnern keine Ahnung, aber eine Oma, die sich nicht nur gut mit Zierpflanzen auskennt, sondern auch meine ganze Kindheit lang immer wieder von Giverny gesprochen hat, und von Monets Farben.
Monets Garten, ewiger Traum meiner Großmutter und Titel der Ausstellung in der Alten Münze, besteht streng genommen aus zwei Gärten: aus einem Ziergarten mitsamt exotischer Blütenpracht und aus dem jardin d’eau, dem die berühmten „Nymphéas“ (Seerosen) entstammen, die der Künstler in einer Serie von 250 Bildern verewigt hat, welche heute weltweit verteilt in großen Museen bewundert werden können. Den Seerosenteich selbst gibt es nebst Künstlergarten und ‑haus auch noch. Wer will, kann also in die Normandie fahren, und sich das Anwesen ansehen. Anstatt eine Reise in die Normandie oder zum Musée d’Orsay anzutreten, kann man momentan aber eben auch in die Alte Münze gehen. Hier wird zwar kein einziges Original des Künstlers gezeigt, aber dafür ein „immersives Ausstellungserlebnis“ versprochen: Eine auf drei Räume verteilte Lichtinstallation soll es den Besucher*innen erlauben, buchstäblich in Monets Werk einzutauchen. Eine Riege Bühnenbildner*innen, Grafikdesigner*innen, Drehbuchautor*innen und Kunsthistoriker*innen haben gemeinsam an dem Projekt gearbeitet. Der Internetauftritt der Alten Münze beschreibt das Resultat als „gelungene Symbiose aus den großen Werken des Künstlers und einer immersiven Erlebnisreise, die Monets Traum in ein neues Zeitalter tragen und unvergessen machen wird“.[1] Nach anderthalb Gläsern Crémant fühle ich mich in der Tat empfänglich für immersive Erlebnisse aller Art und finde, die Reise in ein neues Zeitalter kann losgehen. Zunächst bedankt sich aber der Produzent der Ausstellung bei allen möglichen lieben Menschen. Das Bild an der Wand hinter uns hat bereits begonnen, sich zu bewegen, meine Begleitung macht Selfies vor dem Projektor. Ein Großteil der Besucher*innen schließt sich diesem Beispiel an, manche hören allerdings auch dem Produzenten zu. Im Hintergrund ertönt subtil Debussy. Ein Klavier steht auch im Raum, es sitzt aber niemand daran. Die Musik kommt stattdessen aus gut versteckten Lautsprechern, das Instrument selbst bildet schlicht die passende Deko dazu. Der Produzent sagt, er freut sich, in so dunklen Zeiten eine Ausstellung voller Licht zu eröffnen. Ich kippe den Rest meines Getränks herunter, bekomme Schluckauf, und muss wieder sehr an meine Oma denken. Die hat das auch immer gesagt, mit dem Licht. Alle sagen das, wenn es um Monet geht, der sich beinahe nur für das Licht interessiert hat. Mehr für das Licht als für das Motiv selbst, könnte man vielleicht sagen, aber das stimmt so nicht ganz. Mit Monet kommt die Malerei des 19. Jahrhunderts endgültig heraus aus dem Atelier. Die Imperative des Künstlers sind: das Motiv immer direkt vor Augen haben, und jedes Bild möglichst sofort und an Ort und Stelle noch fertig malen. Licht, Atmosphäre und Motiv können im Falle Monets nicht getrennt gedacht werden. Ein einfahrender Zug unter der gläsernen Kuppel des Gare St. Lazare, Felsen am Meer, eine Seerose – Monets Bilder bannen das Licht mit einer Dringlichkeit auf die Leinwand, die Bewegung sichtbar und fühlbar macht und sie gleichzeitig einfriert. Im Resultat kann man den Zug anderthalb Jahrhunderte später immer noch fahren sehen.

In diesem Sinne erscheint das Konzept der Ausstellung in der Alten Münze vielversprechend: dem Impressionisten Monet sind drei Räume gewidmet, in denen es um Licht und um Bewegung geht. Ein 3D-Mapping-Projektionssystem soll mindestens den Garten des Künstlers, wenn nicht gleich den ganzen Impressionismus ins 21. Jahrhundert holen. Mit einer der Projektionen können die Besucher*innen sogar in direkte Interaktion treten; die Farbkleckser an der Wand folgen meinen Schritten und verändern ihre Form passend zum Wedeln meiner Arme. Das erinnert mich ein bisschen ans Wii spielen — also daran, wie ich vor zehn Jahren bei einer Freundin in der Wohnung stand, die unbedingt wollte, dass ich mich vor einen Bildschirm stelle und so tue, als würde ich Skifahren. Um in der Alten Münze mit dem Impressionismus zu spielen, braucht man nicht einmal mehr einen Controller. Und das kann man ja durchaus als einen der Zukunft zugewandten Zugang zu Kunstgeschichte und Kunsterfahrung bezeichnen.


Den Seerosenteich selbst haben sie auch nachgebaut, in der Alten Münze. Ich stelle mich vor den Teich und bitte meine Begleitung ein Bild von mir zu machen, für meine Oma. Meine Begleitung kann aber gerade nicht, weil ihr von den vielen bewegten Lichtern an der Wand schlecht geworden ist. Vielleicht war es aber auch der Crémant.

Ein künstlicher Teich und pinke Laserstrahlen auf der Wasseroberfläche, ein Spieleparadies für Groß und Klein, irgendwie fühlt sich das alles so gar nicht nach Normandie an, erinnert aber dafür sehr an andere sogenannte Gärten, und zwar an die Außenanlagen diverser Berliner Clubs. Was allerdings in einem Berliner Club als liebevolle Karikatur des deutschen Spießbürgertums funktioniert, wird in der sterilen Atmosphäre des Ausstellungsraums schnell zu Kitsch. Ich habe nichts gegen Kitsch. Ich habe eine regelrechte Schwäche für Kitsch, vor allem wenn sich Kitsch mit Pathos und Sentimentalität vermischt. Milan Kundera schreibt an einer Stelle, Kitsch wäre „die absolute Verneinung der Scheiße,“ denn Kitsch „schließt alles aus seinem Blickwinkel aus, was an der menschlichen Existenz im wesentlichen unannehmbar ist.“[2] Existieren, ganz ohne zu schwitzen und aufs Klo zu müssen, das ist ein schöner Traum und eine traumhafte Perspektive, finde ich. Das ist ungefähr so, wie wenn Debussys Clair de Lune von ganz allein läuft, ohne, dass jemand in Handarbeit auf der Klaviertastatur herum hämmern muss. Und trotz des hochwertigen Soundsystems ein Klavier im Raum steht, der Vollständigkeit halber, und einfach, weil es gut aussieht.
Manche würden vielleicht auch Monets Seerosen selbst zu reinem Kitsch erklären. Meine Oma wäre entrüstet. Und das völlig zurecht. Und zwar nicht, weil Kunstwerke einer gewissen Größe und Bekanntheit sich automatisch der kitschigen Kategorie entziehen (man denke nur an Wagner). Sondern, weil sich der Impressionismus in all seiner Dringlichkeit, die künstlichen Bedingungen des Ateliers als geschützte und geschlossene Produktionsstätte durch den direkten Kontakt zur Natur und zum Moment zu ersetzen, trotzig gegen die Herrschaft des Kitsches stemmt. Monet hat seine Seerosen zu allen Tages- und Jahreszeiten gemalt, er hat seinen Teich noch gemalt, als er schon an grauem Star erkrankt war. Und wenn man genau hinsieht, dann kann man die beginnende Blindheit des Malers auf seinen Bildern erkennen, und die Intensität der Farben, die Monet trotz des fehlenden Sehvermögens geblieben ist. Diejenigen, die das sehen wollen, müssen in der Alten Münze wohl ziemlich gründlich für ihr Glück arbeiten. Ich habe nämlich den leisen Verdacht, dass Monets Seerosen auf ihrem Weg ins 21. Jahrhundert irgendetwas Wichtiges verloren gegangen ist, wie zum Beispiel ihr Charakter. Licht ins Dunkel bringt Monets Garten – für diejenigen, die sich den Eintrittspreis von zwanzig Euro leisten möchten – nichtsdestotrotz, und zwar noch bis zum 15.03.2022.
1 https://alte-muenze-berlin.de/event/monets-garten/
2 Kundera, Milan, Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins, Fischer, 1989, S. 238
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