Dark Academia vereint das Streben nach Wissen mit Deko- und Modetipps. Eine moderne Erscheinung der überkonsumierenden Gesellschaft oder Protestbewegung gegen mangelnde universitäre Lehre?
TEXT Lara Shaker LEKTORAT Daniela Mertens BILD Zach Plank

Tweedblazer, Cordhosen, karierte Röcke und alte Gebäude, die vor Weisheit nur so strotzen: Eine Szene, die an Universitätsalltag des vergangenen Jahrhunderts in englischen Kleinstädten erinnert, ist bezeichnend für Dark Academia, ein Subgenre in Literatur und Film.
Der Name leitet sich vom akademischen Kontext, in dem Leistungen eine große Rolle spielen, sowie von Elementen gruseliger Fiktion wie Mord, mysteriöses Verschwinden und dekorative Totenköpfe ab. Charakterisierend für die Narrative von Dark Academia sind das unerschöpfliche Bedürfnis nach Wissen und die idealisierende Überhöhung des Lernens, kombiniert mit einem Mode- und Einrichtungsstil, der die Ästhetik des frühen 20. Jahrhunderts imitiert. Schauplatz des Genres sind meist alte akademische Institutionen, die von Efeu überrankt sind. Zumeist handelt es sich um Internate oder Universitäten in England, die sinnbildlich für antike Weisheit und das edle Streben nach Wissen stehen. Pluspunkte gibt es, wenn Ivy League Colleges, also etwa die Cambridge University oder das Oxford College involviert sind. Insgesamt wird das Bild eines Umfeldes gezeichnet, in dem Wissensdurst und Interesse an den Geisteswissenschaften, insbesondere an klassischer Literatur, dominieren.
Das Aufblühen der alten Kulturen
Buch- und Filmklassiker wie Dead Poets Society begeistern schon lange die Community, die vor allem auf der Blogging-Plattform tumblr Raum für Austausch findet. Doch spätestens mit Donna Tartts The Secret History fand Dark Academia den Weg in die Populärkultur und hebt sich nun aus seiner Nischenliteratur heraus in die Bücherclubs dieser Welt. Was 2015 mit vereinzelten Blogposts begann, fand besonders in den letzten Jahren mit Beginn der Pandemie weltweit Anklang und erlebt aktuell ein Aufblühen auf TikTok. Der Trend expandiert aber nicht nur sein Publikum, sondern auch seine romantisierten Epochen: Von der Renaissance über den Barock bis zur Romantik des 19. Jahrhunderts finden Kunst- und Literaturinteressierte genügend Material zum Eintauchen in vermeintlich vernachlässigte Inhalte. Sie begeistern sich für Latein sowie Altgriechisch, Dichtung und klassische Mythologie. Dass sich dieser Trend gerade in der Pandemie ausweitet, ist kein Zufall.
Auf der Suche nach verlorenen Zeiten

Mit dem Schließen der Schulen und Universitäten weltweit fallen nicht nur die Lehre und das Weiterbilden weg, für die meisten Jugendlichen und jungen Erwachsenen nehmen sie auch das gewohnte soziale Umfeld, inklusive Freundschaften und einer gewissen Abwechslung im Alltag.
Der Ausweg in eine idealisierte Universitätserfahrung scheint also nicht fern, das Träumen an die Elite-Unis dieser Welt verspricht zumindest fiktiv Abenteuer, die aktuell nicht gelebt werden können. So ist es nur logisch, dass Geschichten, die sich oft um eine enge Freundesgruppe inmitten von akademischer Konkurrenz, deadlines und sozialen Konflikten bewegen, boomen. Wenn nun auch noch dunkle Elemente wie das Verschwinden eines Freundes oder ein ungelöster Mordfall auf dem Campus dazukommen, wird die Aufregung nur gesteigert und das fehlende Universitätsleben maximal überhöht.
Diese Nostalgie erstreckt sich auch über die unmittelbaren Ereignisse und umfasst darüber hinaus das Romantisieren einer (akademischen) Welt ohne die Vorzüge des technischen Fortschritts. Einige Mitglieder träumen sich an die Privatschulen und Universitäten des frühen 20. Jahrhunderts und imaginieren das ehrfürchtige Lernen ohne moderne Technologie und Ablenkungen vom Leben auf dem Campus.
Das Wirken übertrumpft das Sein
Dark Academia hört sich nach einem Trend an, der erstmal nicht per se schlecht ist. Das Streben nach Lernen, die Begeisterung für Literatur und Kunst, all das ist nobles Unterfangen. Mit einer fast schon an Obsession grenzenden Idealisierung des Lernens geht aber auch eine gewisse Oberflächlichkeit einher. Der eigentliche Prozess der Wissensaneignung wird durch fehlende Tiefe ausgebremst, jedes Lernen wird performativ. So geben tumblr user Tipps, die beispielsweise dabei helfen sollen, sich „book smart“ zu fühlen. Ein Buch überallhin mitzunehmen ist dabei sicherlich nicht verkehrt, allerdings sollte man ab und zu auch mal hineinschauen.
Es fehlt an Ernsthaftigkeit. Wer alte englische Gedichtbände nur besitzt, um sie neben Totenköpfen, vergilbten Postkarten und weißen Kerzen auf Instagram-Bildern zur Schau zu stellen, der hat mit der Ehrfurcht vergangener Studierender wenig am Hut. Natürlich sollte Lernen Spaß machen und gegen eine gewisse Ästhetisierung des Prozesses hat niemand etwas; trotzdem hält sich der Eindruck, Dark Academia bewege sich in einem Paradoxon zwischen Lernbegeisterung und Performanz. Nicht umsonst finden sich auf tumblr etliche Tipps, wie man sein Zimmer cozy und very DA einrichten kann, aber nur vereinzelt Lernmethoden, die akademischen Erfolg garantieren würden. Stattdessen wird das stupide Lernen bis in die Morgenstunden romantisiert, schließlich haben die Helden des vergangenen Jahrhunderts ja so offensichtlich glücklich inmitten ungesunder Gewohnheiten gelebt.
Die Subkultur des Eurozentrismus
Natürlich beinhaltet Dark Academia trotz alledem ein gewisses Moment der Motivation. Allein der Austausch auf verschiedenen Plattformen über Gelesenes und zu Lesendes hilft, dranzubleiben und sich stetig weiterzubilden. Die ständige Auseinandersetzung mit akademischen Inhalten, ob nun rein performativ oder interessengeleitet, ist zudem nicht die schlechteste Möglichkeit, Zeit (im Internet) zu verbringen. Der Trend geht aber auch über seine reine Internetpräsenz hinaus: um Dark Academia wirklich zu leben, wird der ganze Lifestyle angepasst: Ausflüge in Museen, Parks und Cafés, Bibliotheken und ins Theater stehen ganz oben auf der Liste – es gibt schlimmere Wege, seine Freizeit zu verbringen.
Was dabei allerdings oft unreflektiert hingenommen und vorausgesetzt wird, ist die Auswahl akademischer Inhalte, die konsumiert werden. Besonders deutlich wird das in der Literatur, die fast ausschließlich eurozentrische Werke umfasst. Bestimmte Texte klassischer, englischer Literatur werden glorifiziert, womit langsam eine Art Kanonisierung entsteht, und alternative Narrative an die Seite gedrängt werden.1 Es wird ein Bild vom akademischen Betrieb gezeichnet, das zu großen Teilen nur aus klassischer Literatur und westlichen Idealen besteht, aus reichen, weißen Männern, die intellektuell anmuten.
Insgesamt kann Dark Academia trotzdem als Einstieg in die Welt der Literatur und Kunst dienen, sie kann helfen, sich gegenseitig zu motivieren und das zeitweise monotone Lernen zu romantisieren. Das Ganze kann mitunter auch nicht nur als zeitweiliger Trend gesehen werden, vielmehr steckt ein durchdachter Lifestyle und eine ganz bestimmte Ästhetik hinter Dark Academia, die gerade in Zeiten der Pandemie eine willkommene Abwechslung zu grauen Kacheln im Online-Seminar bietet. Auch ich liebe weiße Kerzen und sammele alte Ausgaben von Büchern, die ich dann doch nicht lese. Vielleicht bedeutet Dark Academia auch einfach, Spaß an Kunst, Literatur und eben Ästhetik zu haben – und wenn dadurch der ein oder andere den Zugang zu neuen Büchern und Inhalten findet, ist damit schon viel erreicht. Jede*r Studierende kann die Sehnsucht nach Seminaren auf einem großen Campus, in einem schönen Gebäude und mit inspirierenden Lehrpersonen nachvollziehen, die Frage bleibt aber: Muss gerade dieser Wunsch nach pre-online- Zeiten gerade online ausgelebt werden?
1 Durch die Popularisierung des Trends emanzipieren sich allerdings auch langsam alternative Sichtweisen, und Bücher mit LGBTQI*-Charakteren werden in Dark Academia Buchclubs aufgenommen, so beispielsweise If We Were Villains von M. L. Rio oder Kill Your Darlings von Terence Blacker.
Quellen:
Bateman, Kristen. Academia Lives – on TikTok. NY Times. Web. 30.06.2020. [Letzter Aufruf: 22.02.2022]. https://www.nytimes.com/2020/06/30/style/dark-academia-tiktok.html.
dark-academia-tips. A guide to dark academia. tumblr blog. Web. [Letzter Aufruf: 22.02.2022]. https://dark-academia-tips.tumblr.com/.
Delgado, Paulette. Dark Academia, a Troublesome Trend. Observatory of Educational Innovation. Web. 28.09.2021. [Letzter Aufruf: 22.02.2022]. https://observatory.tec.mx/edu-news/dark-academia-a-troublesome-trend.
Jaigirdar, Adiba. What is Dark Academia And Why is it so Popular bookriot. Web. 09.09.2021. [Letzter Aufruf: 22.02.2022]. https://bookriot.com/what-is-dark-academia/.