Wie hat das Intimleben der großen Philosoph*innen ihre Ideen geprägt? Haben ihre engsten Beziehungen zu Familien, Ehepartner*innen, Lebensgefährt*innen und heimlichen Liebhaber*innen ihre Philosophien beeinflusst?
TEXT Hugh Breakey ÜBERSETZUNG Lara Helena KORREKTORAT Clemens Hübner FOTO Wikicommons

Wie hat das Intimleben der großen Philosoph*innen ihre Ideen geprägt? Haben ihre engsten Beziehungen zu Familien, Ehepartner*innen, Lebensgefährt*innen und heimlichen Liebhaber*innen ihre Philosophien beeinflusst?
Diesen Fragen geht Warren Ward in seinem neuen Buch Lovers of Philosophy: How the Intimate Lives of Seven Philosophers Shaped Modern Thought auf den Grund.
Als Psychiater und Psychotherapeut bringt Ward sowohl Fachwissen als auch ein leidenschaftliches Interesse mit. Sein Thema ist die kontinentale Philosophie von der Aufklärung bis zum späten 20. Jahrhundert. Er taucht ein in das Leben der bekanntesten Philosophen dieser Zeit: Kant, Hegel, Nietzsche, Heidegger, Sartre, Foucault und Derrida.
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Neben der Erforschung des Zusammenhangs zwischen Intimität und Philosophie hat dieses Buch noch ein weiteres Ziel. Ward erinnert sich, dass er von der überwältigenden Autorität der philosophischen Größen eingeschüchtert war. Seine Sichtweise änderte sich, als er Simone de Beauvoirs autobiografischen Roman She Came to Stay (1943) las. Die ungeschönte Darstellung ihres Geliebten Jean-Paul Sartre ließ den imposanten Philosoph zugänglicher erscheinen.
Lovers of Philosophy dient als Einstieg für all jene, die daran erinnert werden müssen, dass die großen Philosoph*innen ebenso fehlerhafte und komplexe menschliche Wesen sind wie wir alle.
Eine greifbare und spannende Geschichte
Ward wird seinen Ambitionen gerecht. Voller Erkenntnisse und weit mehr als nur ein paar Aufregungen und Intrigen ist Lovers of Philosophy angenehm leicht zu lesen.
Mit dramatischem Gespür erzählt Ward von der Aufregung der ersten Begegnungen zwischen den Philosoph*innen und ihren zukünftigen Liebhaber*innen. Er beschreibt die Vertiefung und das Fortschreiten ihrer Beziehungen sowie ihre Erfahrungen mit dem verheerenden Scheitern und der brennenden Ablehnung. Obwohl es unmöglich ist, ein solches Werk von allen Skandalen und Anzüglichkeiten zu befreien, behandelt Ward seine Subjekte mit Achtung und Sorgfalt.
Auch philosophische Ereignisse werden zum Leben erweckt. Ward baut eine spürbare Spannung auf, wenn er uns in die geschäftige Menge einführt, die auf Sartres berühmte öffentliche Vorlesung “Existentialismus ist ein Humanismus” wartet. Wir werden diskret in einen stillen Saal geführt, um Zeuge von Foucaults brillanter Verteidigung seiner Dissertation im Kreuzverhör zu werden.
Wards psychologische Erkenntnisse sind überlegt und nachvollziehbar. Wenn überhaupt, wäre ein wenig mehr psychologisches Theoretisieren willkommen gewesen. Schließlich haben viele der von ihm behandelten Philosoph*innen — insbesondere Nietzsche und Foucault — die Psychiatrie nachhaltig geprägt. Es ist reizvoll, über die mögliche Rückführung ihrer eigenen Erkenntnisse auf sie selbst zu reflektieren.
Die Intensität von Wards Psychoanalyse nimmt deutlich zu, je weiter wir in der Zeit fortschreiten. Die historischen Aufzeichnungen über das Leben von Sartre, de Beauvoir, Foucault und Derrida sind detaillierter als die früherer Denker, so dass Ward mit größerer Zuversicht und Nuancierung sprechen kann.
Der Schwerpunkt des Buches liegt, wie der philosophische Kanon selbst, auf Männern. Dennoch durchdringt die intellektuelle Kraft philosophischer Frauen das Buch. Am deutlichsten wird dies an den Beispielen von Hannah Arendt und Simone de Beauvoir. Das Leben und die Liebe dieser beiden Philosophinnen wird ausführlich erforscht, und zwar nicht nur im Hinblick auf ihre Beziehungen zu Heidegger bzw. Sartre.
Dieses intellektuelle Gewicht zeigt sich auch in Wards Erörterung des Einflusses weniger bekannter Persönlichkeiten, die als Vertraute und Gesprächspartner fungierten, wie etwa die Essayistin und Künstlerin Gräfin Caroline von Keyserlingk (für Kant) und die in Russland geborene Psychotherapeutin Lou Salome (für Nietzsche).
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Wards Buch ist nicht zu sehr auf Philosophie ausgerichtet. Es konzentriert sich stark auf Familien, Liebhaber*innen und Lebenspartner*innen. Es erfasst auch die Turbulenzen von Krankheiten, Revolutionen und Kriegen, die Europa in dieser Zeit heimsuchten. Zwischen den von Ward untersuchten Persönlichkeiten liegt in der Regel etwa eine Generation, sodass jedes Kapitel biografisch und philosophisch dort anknüpfen kann, wo das letzte aufgehört hat.
Ward bietet jedoch zugängliche Übersichten über die wichtigsten theoretischen Ideen seiner Philosoph*innen, wobei er oft deren eigene Worte verwendet, um ihre Perspektiven zu erläutern. Dies bietet genügend philosophisches Material, um die Art und Weise zu erörtern, wie die Konflikte und Leidenschaften der Philosoph*innen ihre Ideen beeinflusst haben könnten, obwohl es einige Momente gibt, in denen Wards Diskussion ein wenig aus dem Rahmen fällt.
So wäre es zum Beispiel für Kant — und mehr noch für seine Vorgänger Thomas Hobbes und David Hume — eine Überraschung gewesen, zu erfahren, dass er die erste rein säkulare Moralphilosophie seit der hellenistischen Zeit entwerfen wollte.

Die Humanisierung des Kanons
Aus Wards aufschlussreicher Reise durch die Geschichte der Philosophie lässt sich viel lernen. Seine Untersuchung erinnert uns auf hilfreiche Weise daran, dass diese erhabenen Persönlichkeiten zwar zu Autoritäten wurden, deren Namen in respektvollem Tonfall zitiert werden, ihre Autorität aber hart erkämpft wurde.
Alle von ihm untersuchten Philosophen hatten revolutionäre Ideen. Sie versuchten, sich von Annahmen und Perspektiven zu lösen, die seit Jahrhunderten oder sogar Jahrtausenden galten. Um eine “große” Philosophin oder ein “großer” Philosoph zu sein, muss man zwangsläufig etwas wirklich Originelles einführen oder Ideen in Frage stellen, die bisher nicht in Frage gestellt wurden.
Der Weg philosophischer Revolutionär*innen ist hart und schwierig, aber Wards Biografien bieten eine unterhaltsame Reihe von Geschichten, die “vom Tellerwäscher zum Millionär” führen. Sie zeichnen den Weg jeder Philosoph*innen von der Ketzerei oder Irrelevanz bis zur philosophischen und oft auch gesellschaftlichen Beachtung nach (mit der nennenswerten Ausnahme von Nietzsche, der zu Lebzeiten wenig Anerkennung erhielt).
Das Bewusstsein für die oft schwierigen Lebensumstände der Philosoph*innen, für die Mühe und Aufopferung, die sie in ihre Philosophie gesteckt haben, und für die persönlichen Kämpfe, die ihr Denken geprägt haben, kann dazu beitragen, dass die Leser*innen mehr Verständnis für ihre Ideen aufbringen.
Viele von Wards Philosoph*innen haben schwere Zeiten durchlebt. In Kants und Hegels Familien erreichte fast die Hälfte der Kinder nicht die Volljährigkeit. Der frühe Tod geliebter Eltern ist ein ständiger Refrain.
Wenn man diese Herausforderungen und Verluste versteht, kann man besser nachvollziehen, wie kontraintuitive und sogar radikale Ideen für die Autoren in Anbetracht ihrer Lebenssituation und der persönlichen Geschichte, die sie dorthin geführt hat, Sinn gemacht haben können.
Die dunkle Seite der Träumer
Es ist nicht zu übersehen, dass diese geschätzten Philosoph*innen auch ihre Schattenseiten hatten. Wards Erkundung ihrer intimen Beziehungen deckt fragwürdige Aspekte ihrer Persönlichkeiten auf, mitunter bis zu dem Grad, an dem dies in Zweifel zieht, wie wir über ihre Werke denken sollten.
Viele ihrer persönlichen Entscheidungen waren schon zu Lebzeiten skandalös und wirken aus heutiger Sicht noch schockierender. Neben den zahlreichen Untreuefällen finden sich auch zahlreiche Liebschaften zwischen Lehrer*innen und Schüler*innen (Heidegger und Arendt, de Beauvoir und Olga Kosakiewicz, Foucault und Daniel Defert).
Selbst zwischen Therapeut*in und Patient*in kam es zu unangemessenen Verhältnissen. In späteren Jahren begann Sartre, eine neue Art von Psychotherapie durchzuführen, die auf seiner existenzialistischen Philosophie basierte. Schon bald nahm er eine seiner neuen Patient*innen, die 19-jährige Arlette Elkaim, zu seiner Geliebten. Bald darauf adoptiert er sie — in einer seltsamen Wendung — rechtlich als Tochter.
Der Leser wird mit Hegels erschütternder Weigerung konfrontiert, sein Versprechen, die Mutter seines unehelichen Sohnes zu heiraten, einzuhalten, wodurch er sie allein und mittellos zurückließ und seinen Sohn dem Elend eines Waisenhauses überließ. Beide starben schließlich unter tragischen Umständen.
Ein weiteres Beispiel ist Heideggers erschreckender Antisemitismus, ganz zu schweigen von seiner Mitgliedschaft in der Nazipartei. Derrida und Sartre konnten in ihrer Verfolgung sexueller Gelüste geradezu boshaft sein. In all dem gibt es wenig Anzeichen dafür, dass moralisierende Philosoph*innen ethisch besser sind als irgendjemand anderes.
Nietzsche und Kant heben sich von dieser Anklage etwas ab, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Kants Intimleben entspricht in etwa dem, was man von einem Autor des Kategorischen Imperativs erwarten würde. Abgesehen von einer merkwürdigen Phase der Lustlosigkeit in der Mitte seines Lebens, in der er Billardhallen und Spielhöhlen aufsuchte, verhielt sich Kant in seinen intimen Beziehungen mit Würde und Gewissenhaftigkeit. In der Tat scheinen seine Vorsicht und seine Zurückhaltung in Herzensangelegenheiten fast stereotyp zu sein.
Nietzsche ist wieder anders. Angesichts der expliziten Frauenfeindlichkeit in seinen veröffentlichten Werken ist an seinem privaten Umgang mit Frauen erstaunlicherweise wenig auszusetzen. Der selbsternannte “Immoralist” hat es in seinem Privatleben nicht geschafft, den hohen Ansprüchen seiner ethischen Philosophie gerecht zu werden, sondern lädt eher zum gegenteiligen Vorwurf ein.
Er hat es versäumt, in seiner Philosophie den Respekt zum Ausdruck zu bringen, den er in seinem Leben den beiden außergewöhnlichen, freigeistigen und äußerst intelligenten Frauen entgegen brachte, die zu verschiedenen Zeiten sein Herz eroberten: Cosima von Bülow (Richard Wagners Geliebte und spätere Ehefrau) und die bahnbrechende Psychologin Lou Salome.
Der Einfluss des Privatlebens auf philosophische Ideen
Wards Projekt, den Einfluss des Privatlebens auf das philosophische Denken nachzuzeichnen, birgt sowohl eine wissenschaftliche Gefahr als auch ein intellektuelles Versprechen in sich.
Die Gefahr ist vergleichbar mit den Herausforderungen, die sich ergeben, wenn man den Einfluss eines philosophischen Werks auf ein späteres Werk nachzeichnet. Wie der Philosoph Quentin Skinner hervorgehoben hat, ist es nur allzu leicht, Berührungspunkte zwischen einem philosophischen System und einem anderen zu finden.
Philosophische Systeme, die oft über ein ganzes Leben hinweg entwickelt und durch Veröffentlichungen, Reden und Diskussionen vermittelt werden, sind reichhaltige, dynamische, nuancierte und oft leicht widersprüchliche intellektuelle Schöpfungen. Das bedeutet, dass es immer Überschneidungen und Ähnlichkeiten zwischen den einzelnen Systemen geben wird. Wir müssen uns davor hüten, aus diesen Ähnlichkeiten zu viel zu machen.
Dasselbe gilt für die Erforschung der Überschneidungen zwischen dem menschlichen Leben und den philosophischen Theorien. Ein menschliches Leben ist von Anfang bis Ende genauso reich, dynamisch, nuanciert und widersprüchlich wie jedes philosophische System. Alle Menschen haben ihre komplexen Biographien und Lebenswege, ihre Familien und Beziehungen, ihre Geheimnisse und Intrigen, ihre einzigartigen Psychologien und Gedanken. Sie alle werden von den Ideen, der Sprache und den Praktiken der herrschenden Kultur beeinflusst.
Wenn wir ein menschliches Leben auf ein philosophisches System übertragen, werden wir unweigerlich verlockende Parallelen finden. Es kann gut sein, dass die Konflikte in Hegels persönlichem Leben dazu beitrug, seinen dialektischen Idealismus voranzutreiben.
Vielleicht trieb Nietzsche das ungute Gefühl, dass etwas Wichtiges in ihm starb, nachdem er von Lou Salome zurückgewiesen worden war, dazu, seine berühmte Erklärung “Gott ist tot” zu schreiben.
Vielleicht haben die wechselnden Vorstellungen von Identität (französisch, algerisch, amerikanisch, jüdisch), die Derridas frühes Leben beherrschten, seine späteren Einsichten über die Bedeutung, aber auch die Plastizität von Sprache und ihrer Konstruktion beeinflusst. Diese Überschneidungen könnten aber auch rein zufällig sein. Die Gefahr der Voreingenommenheit durch Bestätigung ist allgegenwärtig.

Der “Streetlight-Effekt”
Dennoch sollten wir Untersuchungen wie die von Ward nicht vorschnell beiseite schieben, denn hier lauert eine weitere kognitive Täuschung, die manchmal als “Streetlight-Effekt” bezeichnet wird.
Der Name leitet sich von einer kuriosen Parabel über einen betrunkenen Mann ab, der unter einer Straßenlaterne nach seinen Schlüsseln sucht. Ein Polizeibeamter kommt vorbei und hilft ihm, aber als sie die Schlüssel nicht finden, fragt der Beamte den Mann, ob er sicher sei, dass er sie hier verloren habe. Der Mann antwortet, er habe die Schlüssel im nahe gelegenen Park verloren. Auf die Frage des Polizisten, warum er sie hier suche, antwortet der Mann: Weil hier das Licht ist.
Wenn wir nach den Einflüssen suchen, die zur Entstehung bahnbrechender philosophischer Werke beigetragen haben, können wir versuchen, Spekulationen zu vermeiden, indem wir uns auf greifbare und nachprüfbare Fakten konzentrieren: dass ihre wissenschaftlichen Mentor*innen so und so hießen oder dass sie dafür bekannt waren, dies und jenes gelesen zu haben. Mit diesem Ansatz können wir uns auf harte Fakten berufen.
Die Befürchtung ist, dass wir hier arbeiten, weil hier das Licht ist. Weniger bekannt ist, was hinter verschlossenen Türen und im geheimen Geflüster geschieht. Die philosophischen Konsequenzen von Leidenschaften, Verrat und Liebschaften sind viel schwieriger zu erkennen.
Wards Untersuchungen verdeutlichen, dass es sehr wohl möglich ist, dass diese Erfahrungen die aufschlussreichsten psychologischen Abdrücke hinterlassen. Häufig sind es unsere Familien, unsere Lieben und unsere engsten Freund*innen, die den tiefsten Einfluss auf uns nehmen. Dennoch ist es ihm hoch anzurechnen, dass Ward uns an entscheidenden Stellen ausdrücklich zum “Wundern” und “Spekulieren” einlädt und uns zur Vorsicht mahnt, auch während er das ergiebige Terrain zwischen Psychologie und Philosophie erschließt.
Schwere Lebenskosten
Was lernen wir also aus dieser reichen und spannenden Geschichte der Philosophie und der gelebten Intimität?
Eine wiederholte Lektion ist, dass neue philosophische Systeme einsame Arbeit erfordern. Alle Philosophen von Ward teilten die Freuden der philosophischen Diskussion, aber ihr Schreiben erforderte auch enorme Zeitspannen, die sie allein verbrachten.
Während eines “stummen Jahrzehnts” intensiven Studiums von 1771 bis 1780, in dem er seine weltverändernden philosophischen Ideen formulierte, brach Kant fast alle gesellschaftlichen Verbindungen ab. Heidegger zog sich in “die Hütte” zurück: eine Hütte im dunklen deutschen Wald, fast abgeschnitten von der Außenwelt.
Alle Philosophen von Ward hatten auf ihre Weise Zeiten, in denen sie, wie Nietzsche es ausdrückte, “geborene geschworene eifersüchtige Freunde der Einsamkeit” wurden.
Manchmal wurde diese Einsamkeit auf gesunde Weise durch menschliche Kontakte aufgelockert. Sartres und de Beauvoirs Diskussionen während der Mittagspause wurden durch ihre einsamen Schreibphasen am Morgen und am Nachmittag ergänzt. Doch allzu oft war sie mit hohen Kosten verbunden. Partner und Ehefrauen wurden allein gelassen und vernachlässigt, während philosophische Vorhaben verfolgt wurden.
Das philosophische Leben konnte in der Tat psychologische Kosten mit sich bringen. Ward spricht zu Recht davon, dass Philosophen von ihrer Arbeit verschlungen werden. Oft ist das auch gut so: Sie werden von einer tieferen Berufung angetrieben, die ihrem Leben einen Sinn gibt.
Aber die Anstrengungen des philosophischen Schaffens verlangten Einsatz, Isolation, Opferbereitschaft und sogar das Risiko der Armut. Hypochondrie war alles andere als ungewöhnlich. Die Erkrankungen und Ohnmachtsanfälle von Lou Salome, die von ihrer zwanghaften Lernbegierde ausgelöst wurden, erinnern an David Humes Leiden an der “Krankheit der Gelehrten.”
Doch die Philosophie war auch bereichernd und erfüllend, und manchmal trieb sie ihre Denker dazu, in ihrer Lebenswelt menschliche Nähe zu suchen. Fast alle fanden eine Vertrauensperson, mit der sie reden konnten und die ihr Denken bereicherte und herausforderte. Selbst während seines “stummen Jahrzehnts” traf sich Kant regelmäßig mit seinen beiden geschätzten Freunden, Joseph Green und der Gräfin von Keyserlingk, zum philosophischen Gespräch.
Purer Sex-Appeal
Ein letzter Punkt muss hervorgehoben werden, so seltsam es für diejenigen klingen mag, die Philosophie trocken und abstrakt finden: die schiere Sexualität der philosophischen Begegnung.
In vielen von Wards Vignetten erweist sich das Eintauchen in eine tiefgründige philosophische Diskussion mit angesehenen Gesprächspartner*innen als ebenso erotisch aufgeladen wie intellektuell aufregend, vor allem wenn es sich dabei um potenzielle Liebespartner*innen handelt.
Hier sind viele potenzielle Faktoren am Werk, die zwei Köpfe in eine intime Verbundenheit führen. Es gibt das spielerische Kräftemessen, die Anerkennung, für seine tiefsten Gedanken gesehen und für seine Intelligenz und Gelehrsamkeit geehrt zu werden, den hypnotischen Fluss des echten Zuhörens und das Bewusstsein, wirklich gehört zu werden, das Zusammenkommen der Gedanken und die gemeinsame intellektuelle Schöpfung, die die philosophische Diskussion ist, den Rausch, das Unhinterfragbare in Frage zu stellen, und das Staunen, zu sehen, wie die eigenen Ideen in der tiefsten Psyche des anderen Wurzeln schlagen.
Leider ist der erotische Aspekt im Leben dieser Philosoph*innen nicht harmlos. Auch wenn sie manchmal zwischen Gleichgestellten auftrat — zwischen Nietzsche und Salome, Sartre und de Beauvoir -, so geschah sie doch sehr oft zwischen ungleichen Partner*innen und auf eine Weise, die bestehende intime Beziehungen zerrüttete.
Dies ist das Bild, mit dem uns Ward auf den letzten Seiten seines Buches zurücklässt, wenn er seinen Besuch an der École normale supérieure in Paris beendet, wo sich die Wege von de Beauvoir und Sartre zum ersten Mal kreuzten. Dort beobachtet er zwei Student*innen, einen jungen Mann und eine junge Frau, die noch kein Liebespaar sind, aber intensiv in einer Unterhaltung versunken immer tiefer in den Tanz ihrer Ideen hineingezogen werden.
Dies ist wohl der wesentliche Beitrag von Wards Buch. Es befreit uns von dem, was Derrida als die vorsichtig konstruierte Darstellung der Philosoph*innen als asexuell und für immer abseits stehend beklagt hat.
In Lovers of Philosophy kommen die Philosoph*innen in ihrem vollen Reichtum zu uns. Sie sind lebenslange Ehepartner*innen, herzliche Freund*innen und heimliche Liebhaber*innen, ebenso wie sie sorgfältige Gelehrt*innen, blendende Denker*innen und imposante Autoritäten sind.
Hugh Breakey, Deputy Director, Institute for Ethics, Governance & Law. President, Australian Association for Professional & Applied Ethics., Griffith University
This article is republished from The Conversation under a Creative Commons license. Read the original article.
