PRIDE, BERLIN
„als würde ich ein Bild malen, und das Bild bin dann ich“– Drag Künstlerin Chloe Waldorf im Interview
by CLARA BERLICH

05/06/2022
Die Berliner Drag-Künstlerin Chloe Waldorf wird seit über acht Jahren gefragt und gefeiert. Bei Ferrars & Fields spricht sie über Sinn und Bedeutung von Drag, über die Anfänge ihrer Karriere und über Ludwig XIV.
FFMAG: Was bedeutet Drag für dich?
Chloe Waldorf: Karl Lagerfeld hat mal gesagt: „Ich verkaufe keine Mode, ich verkaufe Träume.“ Genau das, genau so. Das stimmt nicht nur für Mode, das funktioniert auch für Drag. Es geht um einen Traum, um eine Illusion, die ist halt nicht real aber wird irgendwie trotzdem real …
FFMAG: Woher kommt der Name „Chloe Waldorf”?
CW: Ich wollte zu der Zeit einen Hund haben und den dann entweder ‘Chloe’ oder ‘Frederick’ nennen … und weil ich keinen Hund bekommen habe, habe ich den Namen dann für Drag benutzt. Ich hatte vor meinem ersten Auftritt tatsächlich genau drei Tage Zeit, um mir einen Namen zu überlegen. Gossip Girl habe ich zu der Zeit auch geschaut … und so war das dann.
FFMAG: Wie war dein erster Auftritt?
CW: Ich habe „all by myself” performed, à la Céline Dion. Ich stand mit einem Pizzakarton und mit Eiscreme und mit Schlagsahne auf der Bühne, in einem Pyjama. Das war sehr lustig.
FFMAG: Fühlst du dich in Drag wie in einer Art Verkleidung oder fühlst du dich wie eine andere Version deiner selbst?
CW: Nein, also eine Verkleidung ist das definitiv nicht. Es fühlt sich eher an, als würde ich ein Bild malen, und das Bild bin ich … macht das Sinn? Das sind Extensionen von Kunst, die Teil meiner selbst ist … ganz so, wie Performance eben grundsätzlich funktioniert.
FFMAG: Performst du lieber live oder sind dir die Shootings lieber?
CW: Ich bevorzuge die Shootings. Aber ich bin sehr gut live! Ich lebe aber nicht für den Applaus. Ich mach, was ich mache und ich mache das für mich selbst. Wenn das die Leute abholt, macht mich das natürlich glücklich. Aber es geht mir nicht hauptsächlich darum, von anderen gesehen zu werden.

FFMAG: Wie bereitest du dich auf ein Shooting vor?
CW: Ich bin immer vorbereitet. Ich habe alles immer durchgeplant und dann realisiere ich das halt. Ich habe so viele Referenzen in meinem Kopf, so viele Sachen, von denen ich irgendwann einmal inspiriert war und die ich umsetzen will und davon kommt dann halt punktuell immer etwas zum Vorschein.
FFMAG: Wo findest du Inspiration?
CW: Ich hasse diese Frage! Kunst, Film, Musik… Mode. Ich bin sehr visuell gesteuert. Mein neues Make-Up ist von russischen Puppenmaler*innen inspiriert. Die malen so halb realistische HD-Puppen, also ganz zweidimensional, und mein neues Drag-Make-up ist dann die dreidimensionale Version davon.
FFMAG: Wie wählst du aus, welche Aufträge du annimmst?
CW: Ich bin schon mega picky … ich habe ganz klare Vorstellungen davon, wo ich hinwill, ich habe hohe Ansprüche. An mich und dann eben auch an die Aufträge. Ich verfolge da eine ganz klare Linie. Das klappt dann manchmal sogar so, wie ich mir das vorstelle (lacht) …
FFMAG: Was hast du zuletzt gelesen?
CW: Kafka.
FFMAG: … und welche Musik hast du zuletzt gehört?
CW: Lykke Li … (schaut auf ihrem Handy nach) und Chopin. Die Etüden.
FFMAG: Würdest du irgendetwas anderes machen, wenn du wüsstest, dass dich niemand verurteilt?
CW: Nö, alles wäre wie jetzt. Ich meine, wozu bin ich denn in Berlin. Ich hatte vor Langem mal einen Auftritt in Unterwäsche. Mein Vater war da und hat das mit dem VHS-Rekorder gefilmt. Na und ab dem Zeitpunkt war ich dann so … naja, ok, it is what it is.
FFMAG: Apropos – seit wann wissen deine Eltern, dass du als Drag-Künstlerin auftrittst?
CW: Schon sehr lange. Die sind ganz cool damit. Meine Mutter ist mein größter Fan, die hat alle Magazine, in denen ich gefeatured bin, daheim im Schrank. Bei meiner Oma am Kühlschrank hängt ein Flyer von einer meiner Partys, mit mir vorne drauf. Richtig cute.
FFMAG: Hattest du als Jugendliche irgendwelche Vorbilder?
CW: Ich bin kein Fangirl. Ich hatte das nie, eine Person und dann den Plan, so will ich auch sein. Ich fand mich immer selbst ganz gut.

FFMAG: Zu welcher Zeit und an welchem Ort hättest du gerne gelebt?
CW: In Versailles, vor der Revolution, am Hof des Sonnenkönigs Ludwig XIV, da wäre ich inmitten der Pralinen und Lichter dann secretly gay mit noch ´nem anderen Kerl am Hof gewesen (grinst). Oder meinetwegen in den 70ern, also so, in den 60ern geboren sein, sodass man dann in den 70ern noch jung gewesen wäre. Oder auch jetzt, hier.
FFMAG: Wie sieht Drag in zehn Jahren aus?
CW: Puh, das ist schwer zu sagen. Grad ist die Landschaft ja am Explodieren und die Szene ziemlich übersättigt, es gibt extrem viele Künstler*innen und viel Interesse von außen. Es wandelt sich eh alles ständig, keine Ahnung wie das in Zukunft mal aussehen wird … da kann ich keine Prognose treffen.
FFMAG: Was würdest du jungen Menschen raten, die Drag machen wollen und sich nicht trauen?
CW: Wenn du’s drauf hast, mach’s halt einfach. Das gilt fürs ganze Leben, übrigens. Mach nicht, was andere Leute von dir erwarten, sondern tu was du willst. Genau das ist ja auch Drag, genau darum geht’s.