TOPICAL DIS/ORDER, POESIE

Zusammengelegte Kleidung

by HÉLOISE MARKERT 

Foto: Math­ias Reding

21/10/2022

1. Neuerd­ings nutze ich eine sen­fgelbe Tages­decke über meinem Bett.
Passend dazu, das gold­en schim­mernde Kissen auf dem Sofa drapiert.
Mit­tler­weile bedeckt meine Klei­dung nicht mehr den Fuß­bo­den.
Das ist wohl dieses Erwach­sen­wer­den, so war ich überzeugt.
Funk­tion­al­ität über Faulheit—es machte mich stolz. 

Stolz, bis ich mit mein­er Selb­sthil­fe­gruppe zusam­menkam.
Sie erzählten mir, dass sie began­nen, alles in ihrer Woh­nung zu ord­nen,
als der Rest ihrer Welt im Chaos ver­sank.
Und plöt­zlich waren die zusam­men­gelegten T‑Shirts in meinem Schrank
kein vernün­ftig sein mehr
son­dern ein Hilferuf…

2. Es waren Ärzt*innen, die meine Diag­nose mit Klarheit verkün­de­ten.
Und man tat so, als wäre damit alles Entschei­dende gesagt.
Für sie stelle ich kein Rät­sel dar und sie wis­sen, was zu tun ist.
Geord­net sind die Hand­lung­sop­tio­nen und geord­net ist, was die Gesellschaft dadurch in mir sieht.
Ein Unglücksvo­gel, eine Kämpferin, eine Inspiration.

Dabei scheint mir meine Iden­tität mehr ein Rät­sel zu sein als ihnen.
Kat­e­gorisierun­gen erwarten mich: Krank? Chro­nisch krank? Behin­dert?
Die hypo­thetis­che Frage, ob ich zu einem geschützten Davor zurück­kehren würde.
Ich weiß nicht, ob ich bere­it wäre, all das Gute aufzugeben, was gewor­den ist.
Ich weiß aber auch nicht, ob ich bere­it bin, mich dem zu stellen, was noch kommt. 

3. Die Uhren sind immer weit­er gelaufen.
Sie liefen und liefen und stoppten nicht für mich.
Da ist die medi­zinis­che Zeit: Behand­lungs­dauer, Sta­tis­tiken der Lebenser­wartung.
Regen­er­a­tion?
Die gesellschaftliche Zeit ver­läuft über Kind­heit, Schule, Aus­bil­dung oder Studi­um zur Arbeit. 
Da ist die kap­i­tal­is­tis­che Zeit. 8h Arbeit. 30 min Pause. Effizient.

Diese Zeit­en machen mir Angst.
Weil sie unerr­e­ich­bar scheinen. Weil meine Zeit­en in alle Rich­tun­gen zer­fließen.
Ich ver­suche mich wieder einzuord­nen ins Sys­tem. Ins Leben.
Die Ver­gan­gen­heit scheint mich wieder einge­holt zu haben. Bin ich ste­henge­blieben oder ist sie ger­an­nt?
Die Frage nach der Zukun­ft traue ich mich gar nicht erst zu stellen.


Mehr von Héloise:
Ist “Rev­o­lu­tionäre Realpoli­tik” die Lösung?
Seit einem Jahr habe ich plöt­zlich Com­ing Outs.

#YOUAREFFMAG