FEUILLETON, FILM

Von Männern, Omas und Einstürzenden Altbauten

Fünf Defa-Filmempfehlungen für den langen Winter auf dem Sofa

by CLARA BERLICH

Berlin, Kino “Inter­na­tion­al”, Hotel “Beroli­na”, Nacht Zen­tral­bild Mit­tlest­edt Qua-At. 20.3.1965 Berlin — Haupt­stadt der DDR Karl-Marx-Allee mit Kino Inter­na­tion­al und Hotel Beroli­na. / WikiCommons

26/12/2022

Win­ter is here, once again—ger­ade gab es noch Aper­ol im Park, auf ein­mal find­en wir uns irgend­wo zwis­chen steigen­den Preisen und sink­enden Tem­per­a­turen im Feier­abend­verkehr wieder und die Bahn kommt nicht. Im Regen ist es ziem­lich dunkel und wenn die Heizung weit­er aus­geschal­tet bleibt, dann schim­melt es bald im Bad. Und im Herzen … na, da schim­melt es vielle­icht auch schon ein wenig. Die Idee, sich mit anderen net­ten Men­schen zusam­men­zu­tun, auszuwan­dern und eine Kom­mune auf ein­er kanarischen Insel zu grün­den, liegt jet­zt nah. Für diejeni­gen, die keine Lust auf Kom­mune haben und/oder aus anderen Grün­den nicht auswan­dern, son­dern sich mit­ten in den mit­teleu­ropäis­chen Nasskalt-Win­ter hine­in­fall­en lassen wollen, gibt es im Inter­net aber viele hil­fre­iche Artikel, wie beispiel­sweise “Teelicht-Heizung sel­ber bauen in 5 Schrit­ten” oder “Stream­ing Tipps Dezem­ber 2022”. Dieser Artikel rei­ht sich in Kat­e­gorie Nr. 2 ein. Die Filme, die ich hier im Fol­gen­den mit den wärm­sten Gefühlen als Win­ter­so­fakon­sum empfehlen will, leben allerd­ings auch sehr vom DIY-Gefühl und bein­hal­ten (Dis­claimer!) Szenen, in denen mit Kohle geheizt wird. Im Übri­gen sind das alles Filme von vorgestern, die sich aber mehr als gut dazu anbi­eten, wieder aus­ge­graben und gründlich genossen zu werden.

Die fol­gen­den Titel entstam­men alle­samt dem Hause der Deutschen Film AG, kurz: DEFA, dem ehe­ma­li­gen staat­seige­nen Fil­munternehmen der DDR. Dass sich DEFA-Filme lohnen, weil hier gern mit leis­er und lauter­er Sys­temkri­tik in alle Rich­tun­gen gespielt wurde—eine bre­it angelegte Ret­ro­spek­tive des MOMA fasste die ost­deutschen Film­pro­duk­tio­nen 2005 unter dem Titel „Rebels With A Cause“ zusam­men – ist eine Sache. Eine andere Sache ist, dass die fol­gen­den fünf Titel alle­samt auf unter­halt­sam­ste Weise dazu ein­laden, Geschlechter­rollen eben­so zu reflek­tieren wie die ganz, ganz große Frage nach möglichen Lebensen­twür­fen abseits der Kon­ven­tion. Neben­bei wird von Frauen­fre­und­schaften, Haus­män­nern und allein­erziehen­den Müt­tern erzählt und das alles so her­rlich frei von den Klis­chees, die man an jenen Stellen nor­maler­weise zu erwarten hätte, dass man sich leise lächel­nd vor dem Bild­schirm vielle­icht früher oder später fragt, ob die DDR nicht ein beson­ders nettes Land gewe­sen ist. Das war sie nun natür­lich nicht und kein­er der fol­gen­den Filme wurde in Hohen­schön­hausen gedreht. Die Tat­sache, dass der beru­fliche All­t­ag von Filmemacher*innen und anderen Kun­stschaf­fend­en in der DDR im min­desten Fall von unan­genehmen Ambivalen­zen geprägt war, darf man sich als Zuschauer*in dann auch gerne ab und zu in Erin­nerung rufen. Nichts­destotrotz (oder eben: ger­ade darum…) nun, in chro­nol­o­gis­ch­er Rei­hen­folge, Vorhang auf für: 

Der Mann, der nach der Oma kam (1971)

… ist leichte Kost, und kann als eine Art Vorgänger des Hol­ly­wood-Baby­na­tors beschrieben wer­den. In einem Berlin­er Haushalt wid­men sich bei­de Eltern­teile ihrer kün­st­lerischen Kar­riere und haben daher wed­er Zeit für den Haushalt noch für die Kinder. Als dann auch noch die Oma ihren neuen Lieb­haber heiratet, muss ein Kin­der­mäd­chen her—und zwar in Gestalt eines ansehn­lichen jun­gen Mannes, dargestellt von Win­fried Glatzed­er, der laut Wikipedia gern und oft als „Bel­mon­do des deutschen Ostens“ betitelt wurde.

Die “Fam­i­lie an sich” wird hier unge­fähr so kurzweilig und unter­halt­sam dargestellt wie in ein­er besseren Net­flix-Pro­duk­tion. Zwis­chen­zeitlich regt der Film dann mehr zum Nach­denken an als erwartet. Das mehr oder weniger gute Ende ist zwar kein ganz so großer Schock wie das von „Fight Club“, hat mich per­sön­lich aber genau­so sehr geärgert. 

Die Leg­ende von Paul und Paula (1973)

Das Auf­führungsver­bot, dem dieser Film ursprünglich unter­lag, wurde ange­blich von Erich Honeck­er höch­st­per­sön­lich aufge­hoben. Außer­dem han­delt es sich hier um Angela Merkels Lieblings­film. Die Rede ist von dem Defa-Film schlechthin, dem ost­deutschen Liebesfilm, der in sein­er char­man­ten Tragik Herzen jed­wed­er parteipoli­tis­chen Gesin­nung höher schla­gen lässt. Regis­seur Hein­er Carow selb­st beschreibt die Film­premiere fol­gen­der­maßen: “In das Kino passten 1.200 Besuch­er. 800 von ihnen waren von der Partei aus­ge­suchte lin­ien­treue Repräsen­tan­ten. Die anderen 400 Karten wur­den frei verkauft. Am Ende des Films herrschte eisiges Schweigen. Dann ver­ließ der Berlin­er Stad­trat für Kul­tur den Saal und schmiss die Türen hin­ter sich zu. Kaum war er draußen, began­nen 400 Leute, wie wild zu klatschen, etwa 20 Minuten lang. Während die anderen 800 wie ver­stein­ert sitzen blieben und keine Miene ver­zo­gen.”

Das war damals. Heute heißt ein Abschnitt des Ufer­wegs am Rum­mels­burg­er See „Paul und Paula-Ufer“. Eine beson­ders roman­tis­che Szene im Film erk­lärt, warum. Bis 2012 gab es an besagtem Ufer auch noch eine “Paul-und-Paula-Bank”, aber dann wurde der Weg bre­it­flächig asphaltiert und die Bank musste weichen. Bre­it­flächig neu gebaut und alt abgeris­sen, wird eben gerne in Berlin und es ist aus­gerech­net ein Liebesfilm von 1973, der den Höhep­unkt der ein­stürzen­den Alt­baut­en wohl am aller anschaulich­sten doku­men­tiert. Im Vorder­grund ver­lieben sich Paul und Paula, im Hin­ter­grund wer­den Gebäude gesprengt. Dazu sin­gen die Puhdys. Der Sound­track, die Tragik von Brüchen aller Art und die Schön­heit der Liebe verbinden sich in 105 Minuten zu einem Film, der gle­ichzeit­ig so fröh­lich und so trau­rig ist, wie es eben nur die ganz großen Filme sein können. 

(Übri­gens zurzeit frei ver­füg­bar auf Ama­zon Prime)

Ein irrer Duft von frischem Heu (1977)

… ist ursprünglich ein The­ater­stück, das über einen län­geren Zeitraum enorm präsent auf den Büh­nen der Deutsch Demokratis­chen Repub­lik war. Die filmis­che Bear­beitung spielt mit diesen Bezü­gen und gibt am Ende des Filmes eine kleine Liebe­serk­lärung ans The­ater als solch­es ab. Anson­sten find­en sich mit­ten in der Prov­inz eine Parteisekretärin, ein Abge­sandter des Vatikans, eine Dor­fge­mein­schaft und ein Wun­dertäter mit der (schein­baren?) Unvere­in­barkeit von Wis­senschaft, Glaube und Aber­glaube kon­fron­tiert. Es bleibt dann zwar unklar, ob der liebe Gott wirk­lich Kom­mu­nist ist, doch ist ganz klar: für ´nen Appel und ´n Ei kommt man in der ost­deutschen Prov­inz noch über­all­hin und min­destens in den Himmel. 

(Ver­füg­bar auf Ama­zon Prime)

Solo Sun­ny (1979)

Vor Frances Ha, vor Lena Dun­hams „Girls“ und vor „Oh Boy“ gab es  „Sun­ny”. Sun­ny heißt eigentlich Ingrid. Ingrid macht mor­gens kein Früh­stück, ver­liebt sich in die Falschen und träumt vom großen Durch­bruch. Während­dessen tourt sie abwech­sel­nd als Schlager­sän­gerin über die Dör­fer und durch her­rlich unaufgeräumte Alt­bau­woh­nun­gen im Pren­zlauer Berg. Sehr unaufgeregt wird das erzählt und ganz leise und vor­sichtig entspin­nt sich eine Geschichte, die vor allem von dem Ver­such han­delt, nicht klein beizugeben. Nicht dem betrunk­e­nen Kerl auf dem Hotelz­im­mer, nicht dem hart­näck­i­gen Verehrer, nicht dem Sys­tem, und auch nicht den Beschw­er­den der Nach­barn. Als Sun­ny am Ende neben ihrer Fre­undin zusam­men­bricht, gibt es dann fol­gen­den unschlag­baren Dialog:

„Worüber wein­stn du, Ingrid?“

„Über alles“

(…)

„Warum heul­stn du, Christine?“

„Ach. Ich heul so mit.“

… und es geht dann alles noch halb­wegs gut aus, für Ingrid alias Sun­ny. Irgendwie. 

(Ver­füg­bar auf Ama­zon Prime und in der Arte-Mediathek)

Alle meine Mäd­chen (1980)

… ist ganz anders, beziehungsweise ganz genau wie der Titel ver­muten lässt, vor allem ein Film über Frauen. Und es ist ein Film von ein­er Frau: Regie geführt hat Iris Gus­ner, der wir übri­gens auch eine sehr schöne Grimm-Märchen-Ver­fil­mung des “Blauen Lichts” (1976) zu ver­danken haben. Mit “Alle meine Mäd­chen” ver­ar­beit­et Gus­ner vielle­icht auch eigene Erfahrun­gen aus ihrer Zeit bei der DEFA: die Geschichte zeigt sich ver­packt als Film im Film. Ein Regi­es­tu­dent und seine Kam­era begleit­en eine Frauen­bri­gade des Berlin­er Glüh­lam­p­en­werks. Man kann hier sehr schön und anschaulich ler­nen, wie Glüh­lam­p­en in der DDR hergestellt wur­den … und vor allem, was eine ‚Brigade‘ eigentlich war. Auf den ersten Blick ein Arbeit­skollek­tiv, das wie geschmiert läuft und auf den zweit­en Blick … reflek­tiert, definiert und spielt der Film mit dem Begriff der ‘Kol­le­gial­ität’ in all seinen Facetten. Vor­sichtig und humor­voll wer­den die Beziehun­gen der Frauen zueinan­der und zur Meis­terin beleuchtet. Die Sit­u­a­tion eskaliert, als in der Brigade Geld abhan­den kommt. Beschuldigt wird Ker­stin, die nicht nur vorbe­straft ist, son­dern zu allem Über­fluss auch noch—und das ist dem Mis­strauen der Kol­legin­nen ganz beson­ders zuträglich—Abitur gemacht hat.

LEKTORIERT VON CLEMENS HÜBNER.


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