FEUILLETON, FILM
Von Männern, Omas und Einstürzenden Altbauten
Fünf Defa-Filmempfehlungen für den langen Winter auf dem Sofa
by CLARA BERLICH

26/12/2022
Winter is here, once again—gerade gab es noch Aperol im Park, auf einmal finden wir uns irgendwo zwischen steigenden Preisen und sinkenden Temperaturen im Feierabendverkehr wieder und die Bahn kommt nicht. Im Regen ist es ziemlich dunkel und wenn die Heizung weiter ausgeschaltet bleibt, dann schimmelt es bald im Bad. Und im Herzen … na, da schimmelt es vielleicht auch schon ein wenig. Die Idee, sich mit anderen netten Menschen zusammenzutun, auszuwandern und eine Kommune auf einer kanarischen Insel zu gründen, liegt jetzt nah. Für diejenigen, die keine Lust auf Kommune haben und/oder aus anderen Gründen nicht auswandern, sondern sich mitten in den mitteleuropäischen Nasskalt-Winter hineinfallen lassen wollen, gibt es im Internet aber viele hilfreiche Artikel, wie beispielsweise “Teelicht-Heizung selber bauen in 5 Schritten” oder “Streaming Tipps Dezember 2022”. Dieser Artikel reiht sich in Kategorie Nr. 2 ein. Die Filme, die ich hier im Folgenden mit den wärmsten Gefühlen als Wintersofakonsum empfehlen will, leben allerdings auch sehr vom DIY-Gefühl und beinhalten (Disclaimer!) Szenen, in denen mit Kohle geheizt wird. Im Übrigen sind das alles Filme von vorgestern, die sich aber mehr als gut dazu anbieten, wieder ausgegraben und gründlich genossen zu werden.
Die folgenden Titel entstammen allesamt dem Hause der Deutschen Film AG, kurz: DEFA, dem ehemaligen staatseigenen Filmunternehmen der DDR. Dass sich DEFA-Filme lohnen, weil hier gern mit leiser und lauterer Systemkritik in alle Richtungen gespielt wurde—eine breit angelegte Retrospektive des MOMA fasste die ostdeutschen Filmproduktionen 2005 unter dem Titel „Rebels With A Cause“ zusammen – ist eine Sache. Eine andere Sache ist, dass die folgenden fünf Titel allesamt auf unterhaltsamste Weise dazu einladen, Geschlechterrollen ebenso zu reflektieren wie die ganz, ganz große Frage nach möglichen Lebensentwürfen abseits der Konvention. Nebenbei wird von Frauenfreundschaften, Hausmännern und alleinerziehenden Müttern erzählt und das alles so herrlich frei von den Klischees, die man an jenen Stellen normalerweise zu erwarten hätte, dass man sich leise lächelnd vor dem Bildschirm vielleicht früher oder später fragt, ob die DDR nicht ein besonders nettes Land gewesen ist. Das war sie nun natürlich nicht und keiner der folgenden Filme wurde in Hohenschönhausen gedreht. Die Tatsache, dass der berufliche Alltag von Filmemacher*innen und anderen Kunstschaffenden in der DDR im mindesten Fall von unangenehmen Ambivalenzen geprägt war, darf man sich als Zuschauer*in dann auch gerne ab und zu in Erinnerung rufen. Nichtsdestotrotz (oder eben: gerade darum…) nun, in chronologischer Reihenfolge, Vorhang auf für:
Der Mann, der nach der Oma kam (1971)
… ist leichte Kost, und kann als eine Art Vorgänger des Hollywood-Babynators beschrieben werden. In einem Berliner Haushalt widmen sich beide Elternteile ihrer künstlerischen Karriere und haben daher weder Zeit für den Haushalt noch für die Kinder. Als dann auch noch die Oma ihren neuen Liebhaber heiratet, muss ein Kindermädchen her—und zwar in Gestalt eines ansehnlichen jungen Mannes, dargestellt von Winfried Glatzeder, der laut Wikipedia gern und oft als „Belmondo des deutschen Ostens“ betitelt wurde.
Die “Familie an sich” wird hier ungefähr so kurzweilig und unterhaltsam dargestellt wie in einer besseren Netflix-Produktion. Zwischenzeitlich regt der Film dann mehr zum Nachdenken an als erwartet. Das mehr oder weniger gute Ende ist zwar kein ganz so großer Schock wie das von „Fight Club“, hat mich persönlich aber genauso sehr geärgert.
Die Legende von Paul und Paula (1973)
Das Aufführungsverbot, dem dieser Film ursprünglich unterlag, wurde angeblich von Erich Honecker höchstpersönlich aufgehoben. Außerdem handelt es sich hier um Angela Merkels Lieblingsfilm. Die Rede ist von dem Defa-Film schlechthin, dem ostdeutschen Liebesfilm, der in seiner charmanten Tragik Herzen jedweder parteipolitischen Gesinnung höher schlagen lässt. Regisseur Heiner Carow selbst beschreibt die Filmpremiere folgendermaßen: “In das Kino passten 1.200 Besucher. 800 von ihnen waren von der Partei ausgesuchte linientreue Repräsentanten. Die anderen 400 Karten wurden frei verkauft. Am Ende des Films herrschte eisiges Schweigen. Dann verließ der Berliner Stadtrat für Kultur den Saal und schmiss die Türen hinter sich zu. Kaum war er draußen, begannen 400 Leute, wie wild zu klatschen, etwa 20 Minuten lang. Während die anderen 800 wie versteinert sitzen blieben und keine Miene verzogen.”
Das war damals. Heute heißt ein Abschnitt des Uferwegs am Rummelsburger See „Paul und Paula-Ufer“. Eine besonders romantische Szene im Film erklärt, warum. Bis 2012 gab es an besagtem Ufer auch noch eine “Paul-und-Paula-Bank”, aber dann wurde der Weg breitflächig asphaltiert und die Bank musste weichen. Breitflächig neu gebaut und alt abgerissen, wird eben gerne in Berlin und es ist ausgerechnet ein Liebesfilm von 1973, der den Höhepunkt der einstürzenden Altbauten wohl am aller anschaulichsten dokumentiert. Im Vordergrund verlieben sich Paul und Paula, im Hintergrund werden Gebäude gesprengt. Dazu singen die Puhdys. Der Soundtrack, die Tragik von Brüchen aller Art und die Schönheit der Liebe verbinden sich in 105 Minuten zu einem Film, der gleichzeitig so fröhlich und so traurig ist, wie es eben nur die ganz großen Filme sein können.
(Übrigens zurzeit frei verfügbar auf Amazon Prime)
Ein irrer Duft von frischem Heu (1977)
… ist ursprünglich ein Theaterstück, das über einen längeren Zeitraum enorm präsent auf den Bühnen der Deutsch Demokratischen Republik war. Die filmische Bearbeitung spielt mit diesen Bezügen und gibt am Ende des Filmes eine kleine Liebeserklärung ans Theater als solches ab. Ansonsten finden sich mitten in der Provinz eine Parteisekretärin, ein Abgesandter des Vatikans, eine Dorfgemeinschaft und ein Wundertäter mit der (scheinbaren?) Unvereinbarkeit von Wissenschaft, Glaube und Aberglaube konfrontiert. Es bleibt dann zwar unklar, ob der liebe Gott wirklich Kommunist ist, doch ist ganz klar: für ´nen Appel und ´n Ei kommt man in der ostdeutschen Provinz noch überallhin und mindestens in den Himmel.
(Verfügbar auf Amazon Prime)
Solo Sunny (1979)
Vor Frances Ha, vor Lena Dunhams „Girls“ und vor „Oh Boy“ gab es „Sunny”. Sunny heißt eigentlich Ingrid. Ingrid macht morgens kein Frühstück, verliebt sich in die Falschen und träumt vom großen Durchbruch. Währenddessen tourt sie abwechselnd als Schlagersängerin über die Dörfer und durch herrlich unaufgeräumte Altbauwohnungen im Prenzlauer Berg. Sehr unaufgeregt wird das erzählt und ganz leise und vorsichtig entspinnt sich eine Geschichte, die vor allem von dem Versuch handelt, nicht klein beizugeben. Nicht dem betrunkenen Kerl auf dem Hotelzimmer, nicht dem hartnäckigen Verehrer, nicht dem System, und auch nicht den Beschwerden der Nachbarn. Als Sunny am Ende neben ihrer Freundin zusammenbricht, gibt es dann folgenden unschlagbaren Dialog:
„Worüber weinstn du, Ingrid?“
„Über alles“
(…)
„Warum heulstn du, Christine?“
„Ach. Ich heul so mit.“
… und es geht dann alles noch halbwegs gut aus, für Ingrid alias Sunny. Irgendwie.
(Verfügbar auf Amazon Prime und in der Arte-Mediathek)
Alle meine Mädchen (1980)
… ist ganz anders, beziehungsweise ganz genau wie der Titel vermuten lässt, vor allem ein Film über Frauen. Und es ist ein Film von einer Frau: Regie geführt hat Iris Gusner, der wir übrigens auch eine sehr schöne Grimm-Märchen-Verfilmung des “Blauen Lichts” (1976) zu verdanken haben. Mit “Alle meine Mädchen” verarbeitet Gusner vielleicht auch eigene Erfahrungen aus ihrer Zeit bei der DEFA: die Geschichte zeigt sich verpackt als Film im Film. Ein Regiestudent und seine Kamera begleiten eine Frauenbrigade des Berliner Glühlampenwerks. Man kann hier sehr schön und anschaulich lernen, wie Glühlampen in der DDR hergestellt wurden … und vor allem, was eine ‚Brigade‘ eigentlich war. Auf den ersten Blick ein Arbeitskollektiv, das wie geschmiert läuft und auf den zweiten Blick … reflektiert, definiert und spielt der Film mit dem Begriff der ‘Kollegialität’ in all seinen Facetten. Vorsichtig und humorvoll werden die Beziehungen der Frauen zueinander und zur Meisterin beleuchtet. Die Situation eskaliert, als in der Brigade Geld abhanden kommt. Beschuldigt wird Kerstin, die nicht nur vorbestraft ist, sondern zu allem Überfluss auch noch—und das ist dem Misstrauen der Kolleginnen ganz besonders zuträglich—Abitur gemacht hat.