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“Eine Identität jenseits von Gut und Böse”—Queere Emanzipationsversuche in Kurdistan (Interview)

bY LARA SHAKER
FOTOGRAFIEN VOn Diako Yazdani

19/03/2023

In einer Gesellschaft, die Männlichkeitsideale mit Gewalt aufrechtzuerhalten versucht, ist jede Andersartigkeit ein Todesurteil. Queere Identitäten in Kurdistan stellen somit eine besondere Herausforderung im Kampf für Gleichberechtigung und Akzeptanz dar. Doch gerade diese Emanzipationsversuche definieren den Erfolg der LGBTQI+-Bewegung. Ein Interview mit Kojin Hama Saeed (they/them).

FF: 2014 hast du mit dem Filmemach­er Diako Yaz­dani den Doku­men­tarfilm „Toutes les vies de Kojin“ begonnen, in dem dein Leben als queere Per­son in Kurdistan—und auf der Flucht nach Deutschland—begleitet wird. Vor zwei Jahren feierte der Film auch in Deutsch­land Pre­miere und hat ein The­ma ins öffentliche Bewusst­sein gerückt, das lange ignori­ert wurde: Migrantis­che LGBTQI+ Per­so­n­en und ihre beson­deren Her­aus­forderun­gen.
Was hat dich dazu bewegt, an dem Film teilzunehmen?

Kojin: Die Filmidee hat­te Diako schon länger. Der Zeit­punkt hat dann gut gepasst, da ich zu der Zeit viele Prob­leme hat­te auf der Arbeit, mit mein­er Fam­i­lie … Es war eine schwere Sit­u­a­tion. Als queer­er Men­sch in Kur­dis­tan zu leben, war mit großem Schmerz ver­bun­den und ich wollte dieses Gefühl aus­drück­en, darüber sprechen und den Leuten zeigen, wom­it ich mich täglich auseinan­der­set­zen muss. Wir haben 2014 ange­fan­gen, als Diako nach Kur­dis­tan kam und haben uns danach jedes halbe Jahr für ein Update wiederge­se­hen. 2016 kam ich dann nach Frank­furt und wir haben das Ende gedreht. Seit­dem bin ich in Deutsch­land und lebe jet­zt ein ganz anderes Leben.

FF: Der Film zeigt deut­lich, was die Mehrheits­ge­sellschaft in Kur­dis­tan und im Irak über Queers denkt. In den zahlre­ichen Straßen­in­ter­views wer­den Männlichkeit­side­ale, religiöse Werte und Vorurteile deut­lich, die LGBTQI+s aufer­legt wer­den. Immer wieder fällt der Satz „Wenn ich so jeman­den in mein­er Fam­i­lie hätte…” Wie ist dein Ver­hält­nis zu dein­er Fam­i­lie aktuell? Ken­nen sie den Film?

Kojin: Das ist eine gute Frage. Meine Mut­ter weiß nichts davon und auch son­st nie­mand, ich habe keinen Kon­takt mehr zu ihnen, seit ich in Deutsch­land bin. Ein paar mein­er Cousi­nen, die hier leben, haben den Film gese­hen. Es ist zweier­lei: Einige find­en es gut, ver­ste­hen vielle­icht nicht alles, aber unter­stützen mich. Die andere Hälfte ist dage­gen und mei­det den Kon­takt. Ich würde es mein­er Mut­ter gerne irgend­wann sagen, weiß aber nicht wie. In Kur­dis­tan redet man nicht über diese Dinge und es gibt wenig Vok­ab­u­lar dafür. Wenn sie jeman­den ken­nen­ler­nen, der queer ist, haben sie oft Annah­men. Sie verurteilen schnell unter dem Deck­man­tel des Islam. Für mich ist das ein sehr per­sön­lich­es The­ma und ich würde gerne darüber aufk­lären, den Film zeigen, aber solange meine Mut­ter in Kur­dis­tan lebt, geht das nicht, es würde ihr nur Prob­leme mit der Fam­i­lie und Gesellschaft machen.

FF: In der Tat, die The­men Iden­tität und per­sön­liche Ent­fal­tung sind sehr intime Angele­gen­heit­en. Trotz­dem teilst du sehr pri­vate Ein­blicke öffentlich und machst dich damit auch ver­wund­bar. Was macht das mit dir?

Kojin: Die Rück­mel­dun­gen zu meinem Film waren oft: „Warum teilst du diese Dinge, das ist doch dein Pri­vatleben!“, aber die Leute ver­ste­hen nicht, dass genau dieses „Pri­vatleben“ mich jeden Tag umge­bracht und wieder aufer­ste­hen lassen hat … Es ist nicht pri­vat, wenn so viel meines Lebens daran hängt. Für die Hes­sen­schau habe ich 2019 eine kleine Doku gedreht, in der es um mein Leben als non­bi­na­ry Per­son ging. Ich habe so viel Zus­pruch bekom­men und gemerkt: In die Öffentlichkeit gehen hil­ft, diese The­men sind so kom­plex und gehen uns alle was an, da reichen die aktuellen Filme nicht, wir brauchen mehr. Ich wurde auch schon von vie­len bekan­nten kur­dis­chen Sendern ange­fragt, da bin ich aber vor­sichtig, ich möchte meine Fam­i­lie nicht in Schwierigkeit­en brin­gen. Ich bin zwar raus da und sich­er, aber ich weiß nicht, was für Auswirkun­gen das auf ihr Leben hätte.

FF: Ja, abso­lut, man muss unter­schei­den zwis­chen einem Pri­vatleben in einem freien Land und ein­er Gesellschaft, in der so etwas lebens­bedrohlich wer­den kann. Wie erge­ht es dir denn, seit du in Deutsch­land lebst?

Kojin: Als ich nach Deutsch­land kam, habe ich gedacht, ich wäre trans, wollte eine Frau wer­den und mich operieren lassen. Nach sechs Monat­en in der Ther­a­pie habe ich meine Iden­tität gefun­den: ich bin nicht-binär und ste­he jet­zt dazu. Im Kur­dis­chen gibt es so ein Wort nicht, ich weiß nicht, wie ich es über­set­zen würde. Es gibt keinen neu­tralen Begriff ohne schlechte Kon­no­ta­tion, das habe ich erst hier gefun­den. Eine Iden­tität jen­seits von Gut und Böse, die ich endlich ausleben kann.

FF: Sich­er bietet Deutsch­land dafür einen guten Rah­men. Hat dir das Ange­bot in Kur­dis­tan sehr gefehlt?

Kojin: Ja, es sind zwei total ver­schiedene Wel­ten. Dort waren die Leute schock­iert, wenn ich etwas andere Klei­dung trug, Autos hiel­ten für mich an, immer wenn ich raus­ging, hat­te ich Angst … Die Leute haben sehr viel kom­men­tiert, sie kan­nten es ein­fach nicht, dass jemand sich so zeigt. Ich habe aber das Gefühl, das ändert sich langsam. Die Men­schen, die nach 2000 geboren sind, haben es leichter; sie denken anders und informieren sich im Inter­net. Es ist so schw­er, sich selb­st ken­nen­zuler­nen und seine Sex­u­al­ität zu find­en, ohne so ein Ange­bot. In Kur­dis­tan war ich sehr auf mich allein gestellt, es gab keine Organ­i­sa­tio­nen, an die ich mich für Unter­stützung oder Beratung wen­den kon­nte. Das ist jet­zt ganz anders.

FF: Das klingt nach ein­er schö­nen Entwick­lung. Wenn du so auf die let­zten Jahre zurück schaust und dir dich mit 12 Jahren vorstellst: Gibt es etwas, dass du deinem jün­geren Ich gerne sagen würdest?

Kojin: Wow, gute Frage … Sowas hat mich bish­er noch nie­mand gefragt … Ich weiß es nicht! Ich glaube, wenn ich das jet­zige Wis­sen, den jet­zi­gen Kopf damals gehabt hätte, würde ich meinem jün­geren Ich nichts sagen. Ich würde mich küssen! Und fest umar­men, weil ich weiß, dass noch schwere Dinge auf mich warten. Ich würde sagen: „Die näch­sten Jahre wer­den sehr hart, aber glaub mir, die Zukun­ft wird gut für dich.“ Es ist ein schw­er­er Kampf und es kom­men viele innere Kon­flik­te, aber am Ende lohnt es sich.

FF: Das klingt nach sehr viel Pos­i­tiv­ität! Es ist span­nend zu sehen, wie lebens­be­ja­hend du bist, deine Nar­ben zeigst, von Messer­at­tack­en und Dro­hun­gen erzählst, nur um im näch­sten Moment stolz dein Make-Up zu präsen­tieren und Witze zu machen. Woher kommt diese Einstellung?

Kojin: Es ist eine Frage der inneren Hal­tung. Ich habe beispiel­sweise sehr lange Arbeit­stage, dann schminke ich mich eben danach! Wenn ein Men­sch sich erst­mal gefun­den hat, seine Iden­tität ken­nt und weiß, wofür er lebt, dann kann man immer pos­i­tiv sein. Dann wird man aktiv und tut was gegen die Trauer. Seit­dem ich mich gefun­den habe, geht es mir viel bess­er. So war das früher natür­lich nicht, da hat­te ich immer Kon­flik­te mit mir selb­st und Sor­gen, die mich aufge­fressen haben. In Kur­dis­tan habe ich oft darüber nachgedacht, mich umzubrin­gen; wenn ich jet­zt daran denke, kann ich es mir fast nicht mehr vorstellen. Das Leben ist so schön, wenn man die richti­gen Men­schen um sich herum hat und weiß, was man will. Natür­lich gibt es über­all homo­phobe Men­schen, auch in Deutsch­land, aber dafür gibt es auch tolle Men­schen, Men­schen, die einen unter­stützen. Seit ich hier bin und diese Men­schen ken­nen­gel­ernt habe, habe ich gel­ernt, an mich zu glauben. Die Frei­heit und das Gefühl, ganz offen ich selb­st sein zu kön­nen, macht mich so positiv.

FF: Das klingt nach ein­er großar­ti­gen Lebensweise. Danke für deine Zeit und das tolle Gespräch!

Kojin: Sehr, sehr gerne.

EDITED BY Jan Kabasci.


Der Doku­men­tarfilm „Toutes les vies de Kojin“ von Diako Yaz­dani prämierte 2021 auf dem Kur­dish Film Fes­ti­val in Berlin und ist aktuell unter VOD ein­se­hbar.

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