On Endurance, Nahaufnahme

Vom Anfang und Ende und der Reconquista dazwischen

by Ziza Ka

Bild: Ziza Ka

20/12/2023


Als du geboren wur­dest, entsch­ied ich prompt, dass ich alles aushal­ten werde. Die entrück­te und brachiale Kör­perkraft ver­lieh mir eine Rit­ter­rüs­tung, die ich als Kriegerin des Zumut­baren stolz auf den Schul­tern trug. Ich wün­schte nur, sie würde mich vor der eige­nen Waffe schützen, so wie Zuck­er­wat­te kleine Kum­mer ver­scheucht. Mit dir am Rockzipfel ver­stand ich, dass Herkun­ft nicht gle­ich Zuhause ist und Sprache nicht gle­ich Ver­ständ­nis. In einem Reflex der hek­tisch wiederge­fun­de­nen Iden­tität wählte ich meine Kind­heitssprache für dich. Irgend­wo aus dem Unter­be­wussten, den Unter­schränken mein­er Unter­schenkel kramte ich sie wohl her­vor.

Auf den flüstern­den Straßen, den biol­o­gisch abbaubaren Spielplätzen und in den schamer­füll­ten Fahrstühlen der Deutschen: Unsere gemein­same Sprache war der slaw­is­che Singsang mein­er Großel­tern, wenn sie Schoko­lade schenk­ten und blinzel­ten; ich solle es bloß nicht Mut­ter zeigen.
Unsere gemein­same Sprache war aber auch das allzu schnell gel­ernte Nicht-So-Sehr-Auf­fall­en, denn son­st: wür­den wir fall­en.

Es gibt da diese feine Lin­ie, so dezent, dass sie kaum ins Auge fällt, und doch scheint sie pen­e­trant fest und lan­glebig. Diese Lin­ie verbindet den geheimen osteu­ropäis­chen Schmerz mit der nörgel­nden Alltäglichkeit im Täter­land. Sie reißt nie ab, aber ver­knotet sich und dann haben wir näm­lich den Salat. An ein­er Stelle über­lap­pen sich dann Klis­chee und die eigene migrantis­che Verk­lärtheit. An der anderen Stelle kom­men bedürftiger Wun­sch nach Zuge­hörigkeit zusam­men mit dem Appell, jegliche Zuge­hörigkeit doch bitte ordentlich zu hin­ter­fra­gen. Ich halte die Lin­ie und halte sie aus. Schnei­de mich öfter an ihr, aber das sieht ja nie­mand. Und du warst seit deinem ersten Anfang auf dieser Welt so ver­führerisch frei, dass du auf dieser Lin­ie die schön­sten Pirou­et­ten tanzen kon­ntest. Du jongliertest ver­fein­dete Sprachen als wären es Feder­bälle direkt aus der Inklu­sion­s­galax­ie. Ich dachte dann: Das ist unsere ganz per­sön­liche Art der trans­gen­er­a­tionalen Weit­er­gabe kollek­tiv­er Traumata—Ich gebe dir schüchterne Leer­stellen und du verän­der­st sie und füllst sie mit sen­si­bler Leichtigkeit und deinem Volle-Bäckchen-Glück.

Und als deine Diag­nose kam, dachte ich dann doch erst­ma­lig: Nein, das halte ich nicht. Wie soll das denn gehen.

Der Arzt sagte etwas mit zit­tern­der Stimme, was ich nicht ver­stand, denn ich war damit beschäftigt, mich zu wun­dern, warum sich die nette lustige Kranken­schwest­er plöt­zlich hin­ter dem Arzt ver­steckt und Trä­nen in ihrem Taschen­tuch sam­melt.

Ich kann es nicht hal­ten, aber du tust es. Also muss ich es wohl auch.

Unsere Kind­heitssprache ver­s­tummte sofort und für immer im Schrei des Schocks und der Absur­dität der Vorstel­lung, dein Leben sei ab jet­zt kurz. Zwis­chen Maschi­nen, Men­schen und Mon­stern sucht­en wir Ori­en­tierung. Manch­mal fan­den wir dabei Muscheln, aber meis­tens uns selb­st am Rand. Dann fie­len wir runter vom Tag, in den Schlaf hinein um zu tanken und wussten, der näch­ste Tag wird neu einge­fan­gen, mit unserem gold­e­nen Las­so der let­zten Energie. Und wenn wir ihn einge­fan­gen haben, dann summte ich Lieder mein­er Groß­mut­ter und buk piero­gi mit Sauer­kraut, die du so gern mocht­est. Das Aushal­ten duftete dann leck­er, etwas schw­er und kon­se­quent, doch fand es einen scheuen Weg zu unser­er gewun­de­nen Sprache zurück. Eine Recon­quista am Küchen­tisch unser­er
fremd­sprach­lichen Herzen.

Novem­ber, 2023.

Edit­ed by Lara Helena.


Ziza Ka schreibt und liebt in Berlin. Als freie Autorin ist das Schreiben für sie der Ort, der bar­fuß im Dunkeln funk­tion­iert – nicht trotz, son­dern wegen der Scherben.

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