Feminismus, Film
Poor Barbie
Über (Pop-)Feminismus im Film und das Privileg der leichten Unterhaltung
by CLARA BERLICH
06/04/2024
Zwei Filme, die in der jüngsten Vergangenheit heiß diskutiert wurden, das sind Greta Gerwigs Barbie und Poor Things von Giorgos Lanthimos. Poor Things ist gerade-so-noch in manchen Kinos zu sehen und seit wenigen Tagen bei diversen Streaming-Anbietern verfügbar. Barbie war das große Kino-Ding des vergangenen Sommers. Interessant ist, dass beide Filme gern in einem Atemzug genannt werden. Ich habe das beobachtet, in meinem Freundeskreis und im Feuilleton. „Ein bisschen wie ‚Barbie‘, aber mit ganz viel Sex“ übertitelt die NZZ ihre Poor Things-Rezension. Und „Lanthimos hat schlicht die bessere Barbie gedreht“ heißt es in der WELT.
Gut, beide Filme waren erfolgreich, ertragreich, und mehr oder minder vertreten bei der Oscar-Verleihung im vergangenen Monat. Aber was haben Barbie und Poor Things sonst eigentlich gemeinsam?
In Barbie unternimmt die gleichnamige Puppe, gespielt von Margot Robbie, einen Ausflug von der Barbie-Welt in die echte Welt, weil ihre künstliche Welt Risse bekommt (Barbie leidet unter Todesgedanken und hat flache Füße). In Poor Things verpflanzt ein Wissenschaftler das Gehirn eines noch lebendigen, ungeborenen Kindes in den Leichnam seiner Mutter. Das Resultat heißt Bella, hat also zu Beginn das Gehirn eines Kleinkindes, aber den Körper einer erwachsenen Frau. Auch die (zunächst) infantile Bella geht auf Reisen, wo sie die Welt, den Sozialismus und das weite Feld der sexuellen Beziehungen entdeckt. Beide Filme handeln also von künstlich erschaffenen Frauen, die auf Reisen gehen. Das erklärt aber noch nicht, warum es kaum eine Kritik von Poor Things gibt, die sich nicht auch auf Barbie bezieht. Toy Story und Casino sind auch im selben Jahr erschienen, und handeln jeweils vom Spielen. Vergleiche wurden da trotzdem nie gezogen.
Doch werden Barbie und Poor Things nicht nur als Filme gehandelt, in denen es irgendwie um Frauen geht, sondern als filmische Auseinandersetzungen mit dem Feminismus. Schließlich wird sich in Barbie über das Patriarchat lustig gemacht, und die Protagonistin in Poor Things hat viel freiwilligen Sex. Also fallen beide Filme in dieselbe Kategorie, weil sie eben feministische Filme sind. Dass Barbie ein familienfreundlicher Film voller Tanzeinlagen und Slapstick ist, während es in Poor Things dissonante Avantgarde-Harfenklänge, ein bisschen Blut und viele nackte Körperteile gibt, scheint für die Kritik Nebensache zu sein.
Laut der Süddeutschen steht Poor Things für eine „poppige Version von Feminismus“, der den „Zeitgeist trifft“, so wie der „ähnlich verfahrende Kinohit ‚Barbie‘“. Weder hier noch an anderer Stelle ist klar, ob das mit dem ‚Zeitgeist’ eigentlich ein Kompliment ist. Oder eher ein Vorwurf. Frei nach dem Motto: Der Film beschäftigt sich mit Frauen, und Frauen sind momentan so en vogue, kein Wunder, dass die Kinotickets gekauft werden. Der Anspruch der Kritiker*in ist es natürlich, objektiver zu sein als ein Kind der eigenen Zeit. Und Kunst darauf zu überprüfen, ob sie sonst noch irgendetwas leistet, außer dem Zeitgeist zu entsprechen. Das ist ein altes Lied (und ein weites Feld). Es regt sich nur der Verdacht, dass die Sache mit dem Zeitgeist ganz besonders kritisch beäugt wird, seitdem es sich um einen feministischen Zeitgeist handelt. Tatsache ist, dass Filme wie Barbie oder Poor Things auffallend streng bewertet werden. Dabei wird die enthaltene feministische Botschaft im deutschen Feuilleton ganz genau unter die Lupe genommen. „Recht überdeutlich“ ist der in Poor Things enthaltene Feminismus laut der Süddeutschen. Im rollingstone heißt es, dass die feministische Botschaft in Barbie „mit der Subtilität eines Vorschlaghammers in die Köpfe der Zuschauer:innen gedroschen wird.“ „Jede gewollte Tiefe bleibt flach“, schreibt die TAZ über Barbie. „‚Poor Things‘ lässt auch ungewolltes Unbehagen zurück, immer dann, wenn die feministische Botschaft allzu seicht verkauft wird“, so der Stern.
Feminismus ja, aber subtil muss er sein. Und anspruchsvoll, differenziert und vielschichtig. Aber offensichtlicher, flacher oder leicht verdaulicher Feminismus, das geht nicht. Warum eigentlich nicht?
Eventuell nehmen Kritiker*innen die feministische Frage einfach besonders ernst, darum wird umso gründlicher reflektiert. Reflektion ist gut. Skepsis und Kritik auch. Es wäre allerdings nicht gut, wenn wir aus lauter Skepsis dem Zeitgeist gegenüber versehentlich die Doppelmoral bestärken, die wir eigentlich abschaffen wollen. Wenn Filme, die aus einer feministischen Perspektive heraus erzählt werden, automatisch strenger bewertet werden als andere Filme, dann ist das ähnlich wie in der echten Welt, in der Frauen doppelt so hart arbeiten müssen, um Karriere zu machen. Das mag eine übertriebene und eventuell paranoide Analogie sein. Aber, wenn im rollingstone bedauert wird, dass der männliche Protagonist in Barbie überflüssig wirkt („außer, dass er ein Klotz am Bein ist und Gosling den komödiantischen Part gibt, braucht es die Nebenfigur nicht wirklich“), dann bleibt abzuwarten, ob dieselben Kritiker*innen Filme in Zukunft auch auf die Relevanz ihrer weiblichen Protagonistinnen überprüfen. (Was nebenbei bemerkt ein spannendes Projekt für die Filmkritik im Allgemeinen wäre, man könnte auch retrospektiv über Frauenrollen in einigen der ‚besten Filme aller Zeiten’ nachdenken. Auf IMDb gelistet werden u.A. GoodFellas, Gladiator, The Dark Knight, Braveheart…)
Es ist vielleicht auch ein Privileg, einfach ‚nur‘ unterhalten zu dürfen. Barbie war, unabhängig von der streitbaren Frage um die enthaltene Kapitalismuskritik, vor allem ein Feel Good Movie, eine Komödie mit vielen Witzen und gutem Ende. Ja, da wurde auch eine Rede darüber gehalten, wie schwer es Frauen haben. Und ja, da wurde sich über Männer lustig gemacht. Und das vielleicht nicht mit großem Tiefgang. Aber schließen sich die feministische Botschaft und die leichte Unterhaltung tatsächlich aus? In einer Zeit, in der wir beides so bitter nötig haben: den Feminismus und ein wenig Leichtigkeit?
Was Poor Things und Barbie außer dem Feminismus noch miteinander gemeinsam haben, ist, dass sie beide als ‚Pop‘ bezeichnet werden. Oder eben als ‚popfeministisch’. Dafür, zur Popkultur und nicht zur Kultur-Kultur zu gehören, wurde Barbie direkt bestraft, indem Regisseurin, Hauptdarstellerin und der halbe Rest des Films bei den diesjährigen Oscars beinahe komplett übergangen wurden.
Ich weiß nicht ganz genau, was Pop eigentlich ist. Ich weiß aber, dass die sogenannte Popkultur traditionell ein männliches Metier ist, voller Produzenten und Autoren auf der einen, und Schauspielerinnen und Sängerinnen auf der anderen Seite. So wie ein Mann bei Poor Things übrigens auch Regie geführt hat und das Produktionsteam dahinter, bis auf Emma Stone auch ausschließlich aus Männern besteht. Außerdem basiert der Film auf einem von einem Mann geschriebenen Buch… Auch daran wurde sich seitens der Kritik gerieben. So wird vom BR in diesem Zusammenhang bemängelt, dass Poor Things sich darauf konzentriert, zu zeigen, „was eine Frau, die sich an keine Konventionen hält, eigentlich für Männer bedeutet.” Weiter heißt es: „Ja, auch Männer sollten unbedingt begreifen, dass Frauen ihnen nicht gehören. Aber ich hätte lieber gesehen, wie Bella Baxter die Gesellschaft umkrempelt”. Klar würde die feministische Botschaft des Films viel erhabener daherkommen, wenn Bella politische Karriere gemacht hätte, anstatt so viel Sex zu haben. Das wäre dann aber ein ganz anderer Film gewesen. Das Wort ‚Sozialismus’ wird in Poor Things zwar ein paar Mal erwähnt, Bella liest Bücher und es gibt eine Szene, in der sie an der Ungerechtigkeit der Welt verzweifelt. Den Rest des Films über aber geht es vor allem um Sex, um sexuelle Beziehungen, und um die Frage, wem Bella Baxter gehört: Dem Wissenschaftler, der sie erschaffen hat? Dem Mann, der sie entjungfert? Dem Verlobten, dem sie anvertraut wird? Am Ende gehört Bella sich selbst: Bella f**** sich buchstäblich frei, weil sie gleichzeitig zu naiv und zu klug ist, um zu verstehen, dass Sex und Besitzansprüche etwas miteinander zu tun haben. Es geht also um Emanzipation. Kann Emanzipation dargestellt werden, ohne auch — oder vor allem — davon zu erzählen, was eine Frau für Männer bedeutet?
Barbie verliert vor der Kritik, weil die männlichen Rollen nicht wichtig genug sind. Poor Things wird dafür kritisiert, dass es zu sehr um Männer geht. (Auch hier ergibt sich eine Analogie zum echten Leben, in dem Frauen sich dafür rechtfertigen müssen, single zu sein, aber andererseits irgendwie emanzipiert sein sollen…) Das stellt einige Fragen an den Feminismus per se: Geht es da auch um Männer? Sollte es um Männer gehen? Wessen Perspektive auf was kann eine feministische sein? Was ist mit den anderen Geschlechtern?
Die Frage, ob und inwiefern Barbie und Poor Things überhaupt feministische Filme sind, hängt an der Frage, was wir als Feminismus gelten lassen. Wenn wir der Kritik folgen, dann sind beide Filme immerhin popfeministisch. Und dieser Popfeminismus scheint mir doch eine ganz unterhaltsame und momentan sehr lebendige Sache zu sein. („I can buy myself flowers.”) Klar ist das alles total ambivalent. Mindestens so ambivalent wie mein eigenes Verhältnis zu meinen Barbiepuppen früher war. Im Fall von Barbie (dem Film) und Poor Things scheint die Verbindung von Feminismus und Pop allenfalls großes Unbehagen auszulösen. Und wenn etwas Unbehagen auslöst, in der Gesellschaft, dann funktioniert es meistens ziemlich gut.
Lektoriert von Lisa Damm.