Feminismus, Berlin
Motherfucking Good: Claude De Demo rechnet ab
by LISA DAMM
26/04/2024
Wie schön ist das Gefühl, was für ein Luxus, sich nicht ständig um einen anderen kümmern zu müssen. Wie schön, unabhängig zu sein, keine 24/7‑Beziehungsarbeit zu leisten und nur auf mich achten zu müssen. Wie viel schöner muss (und könnte) es sein, Beziehungen einzugehen und Kinder kriegen zu können, ohne sich ständig verantwortlich zu fühlen? Ohne sich bei jedem kleinen Scheitern selbst zu beschuldigen. Mit dem Muttersein kann ich nur indirekt relaten, weil ich, wie es so üblich ist, selbst von einer Mutter geboren und aufgezogen wurde. Und auch, weil ich eine lange Zeit mit der festen und zuversichtlichen Überzeugung gelebt habe, eines Tages Mutter zu werden—was sicher zu einem erheblichen Anteil der Beeinflussung einer gesellschaftlichen Erwartungshaltung zu verdanken ist. Diese betreffen nämlich alle Menschen mit Uterus, auch jene, die „kinderlos“ sind, die keine Kinder bekommen möchten oder aus diversen Gründen nicht können.
Titten vs. Gehirn?
Dunkelheit, Stille, ein Schwall an Applaus und Zurufen braust auf, vereinzelt stehen Zuschauer*innen auf und bald schaut fast das gesamte Publikum stehend zu der grandiosen Schauspielerin herunter. Claude De Demo ist zugleich Schauspielerin und eine der beiden Initiatorinnen der One-Woman-Show #Motherfuckinghood. Zusammen mit der Regisseurin Jorinde Dröse entwickelte sie das Stück, hinter dem eine Menge Recherche, Interviews und auf eigenen Erlebnissen beruhende Schreibarbeit steckt. Die Umsetzung kann sich wahrlich sehen lassen—ein so lebendiges Publikum habe ich im Theater noch nie erlebt. In einem Moment wird laut gelacht, im nächsten höre ich hier und dort ein leichtes Schniefen, sehe gezückte Taschentücher. Die vierte Wand zwischen Bühne und Publikum wird gleich zu Beginn heruntergerissen: „Sitzt hier eine Person mit medizinischer Ausbildung im Publikum?“, fragt De Demo. Ein, zwei Hände heben sich. „Stimmt es, dass sich das Gehirn einer Schwangeren verändert?“ Es stimmt, bestätigen die Personen aus dem Publikum. In schriller, doch durchaus angebrachter Tonlage regt sich die Schauspielerin über die Absurdität auf, dass Dehnungsstreifen, Hängebrüste oder die vaginale Ausweitung allseits beklagt werden, kaum jemand aber je über die Veränderungen im Gehirn spricht. Ist das Gehirn einer Frau etwa weniger Wert als Reproduktionsorgane und Schönheitsstandards, fragt De Demo zurecht und verweist damit auf das wieder und wieder reproduzierte Vorurteil über die männliche Ratio und die Naturverbundenheit des weiblichen Körpers.
„Ein frischgezapftes Bonbon aus Muttermilch“
In verschiedenen Rollen, doch immer in Bezug zu persönlichen Erfahrungen De Demos, zeigt sie die Komplexität des Themas auf, das unsere gesamte Gesellschaft betrifft. Als Karrieremutti muss sie Haushalt, Kinder und Job managen und das bitteschön in Stöckelschuhen und ohne sich den Stress anmerken zu lassen. Um bei ihrer Chefin zu punkten, die schwangere, lässig-erfolgreiche und gutaussehende Frauen besonders wertschätzt, wirft sie sich in die absurde Kombination aus einer Babybauch-Attrappe und einem kurzen Glitzerkleid und stülpt sich als Sahnehäubchen noch ein Toupet über den Kopf. So transformiert sich die Karrieremutti zur Show-Moderatorin und heißt uns in der Show dieses Abends willkommen: #Motherfuckinghood, beginnend mit einer Parodie der Quiz-Show Der Preis ist heiß. Zu diesem Zweck müssen Arthur und Marlene aus dem Publikum herhalten und einige Fragen beantworten. De Demo ahmt treffend ironisch einen überengagierten Show-Moderator nach und stellt dabei kritische Fragen mit humorvollen Antwortmöglichkeiten. Ein kleiner Vorgeschmack: „Was bedeutet der Begriff paternal underperformance?“ Antwortmöglichkeit B: „Mangelhafte hygienische Pflege älter werdender Männer.“ Um Arthur aus dem Publikum in Schwung zu bringen, offenbart die Showmasterin den heißbegehrten Preis: „Ein frischgezapftes Bonbon aus Muttermilch.“ Geschickt werden durch die Quiz-Show allerlei Fakten rund um das Thema Mutterschaft, ungleiche Verteilung von Care-Arbeit und Rollenklischees eingebaut. Schockierend und neu für mich war etwa die Information, dass eine Mutter im ersten Jahr des Kindes 1.800 Stunden stillt, mehr als die Stundenanzahl eines Vollzeitjobs pro Jahr.
Horrorszenario einer Geburt
Es bleibt nicht nur ironisch und humorvoll. Mit der Inszenierung einer schwierigen Geburt, in der das Kind sich im Bauch verdreht hat, die Mutter an zerreißenden Schmerzen leidet und der Vater die nächsten Schritte mit den Ärzt*innen und Hebammen bespricht, wirkt das Horrorszenario einer Geburt performativ auf mich ein. Im Kreißsaal schert sich niemand um die Mutter, die sich erneut der Mühen anderer wegen schuldig fühlt und sich trotz ihrer anhaltenden Schmerzen für die Umstände, die ihr Körper bereitet, entschuldigt. Die Mutter, mit den Nerven endgültig am Ende und unter Folgeproblemen der PDA leidend, schreit die Verzweiflung, die schiere Wut schließlich aus sich heraus: „Fickt euch!!! Fickt!! … Euch!!!“ Die Inszenierung dieser Wut und Verzweiflung ist so ansteckend, dass ich am liebsten mitschreien würde. Nach einer kurzen Unterbrechung der Vorstellung, weil es im Publikum einer Person gesundheitlich schlecht geht, fährt De Demo mit „Fickt euch“ fort und stimmt ein Lied für all die Mütter an, die unter der gesellschaftlichen Erwartungshaltung, der systematischen Unterdrückung der Frau als Mutter zu leiden haben.
Mit der Geburt eines Kindes wird auch die potentielle Aufgabe, einen Sohn zu erziehen, angesprochen. Die Bemühung, diesen Sohn weich zu erziehen, ihn vor den Normen und Zwängen zu schützen, die die Gesellschaft dem Jungen antrainieren wird und vor der er sich selbst nicht schützen kann. „Who will cry for the little boy?“, fragt die Stimme der verstorbenen Literaturwissenschaftlerin und Autorin bell hooks aus dem Off, die De Demo mehrmals im Stück wiederholt, und später in Abwandlung: „Who will let the boy cry?“. Nicht allein das stereotype Rollenbild der Frau soll umgewälzt werden, auch das des Mannes müssen wir neu denken. Wenn der kleine Junge selbst weinen darf, müssen es nicht mehr die Mütter in ihrer Sorge tun, den Jungen an die verdrehten Forderungen der Gesellschaft zu verlieren. Feminismus dürfe nicht in Feindschaft ausarten, nur zusammen mit den Männern schaffen wir tatsächlich Veränderung—so die Botschaft.
Die große Kapitulation
Was wäre, fragt De Demo mit Megafon und Superheldinnenkostüm, wenn all die Care-Arbeit leistenden Frauen von heute auf morgen ihre Arbeit hinschmeißen würden; wenn die sorglosen Männer ihren kranken und quengelnden Kindern, den Eltern in der Altenpflege und dem zerrütteten Care-System Deutschlands ausgesetzt wären? Totaler Zusammenbruch, lautet die Antwort. Also entlohnt und entlastet Care-Arbeit Leistenden entsprechend!
Mit #Motherfuckinghood rücken Claude De Demo und Jorinde Dröse laut, deutlich und fordernd in den Vordergrund, was seit Jahrzehnten übersehen wird: Die systematische Ausbeutung derjenigen, die Care-Arbeit leisten, die dem Erhalt des patriarchalen Kapitalismus dient, und der Mutter-Mythos mit seinen fatalen Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl der Mutter. Eine Aufarbeitung, die, wie wir mit dem neuen Gesetz zur Kürzung der gemeinsamen Elternzeit auf einen Monat gerade sehen, noch lange kein Ende gefunden hat.
Mit der vielfältigen und zugänglichen Darstellungsweise wird das Stück für jung und alt, für Mann, Frau und alle anderen Geschlechter zugänglich und verständlich gemacht. Dass dieses Stück mit einer so erschlagenden, mitreißenden Lebendigkeit daherkommt, mag neben den geschickt eingesetzten Stilmitteln und Medien auch an der autobiographischen Verstrickung der beiden Initiatorinnen liegen. Da bleibt nur zu sagen: Chapeau!
Hier findest du Tickets für #Motherfuckinghood (Es lohnt sich!)
Lektoriert von Marija Bule, Jan Kabasci und Luke Shiller.