Die Macht der Dystopien – Das Netzwerk der neuen Rechten

von Mar­tin Bäckert

Fik­tion vs. Real­ität: Leben wir in unseren Träumen?

Men­schen brauchen Fik­tio­nen und Träume. Jed­er von uns macht sich seine eigene Vorstel­lung davon, was zukün­ftig alles geschehen kann und wird. Dabei sind Zukun­ft und Gegen­wart, Fik­tion und Real­ität klar vor­einan­der trennbar – oder? In dieser dre­it­eili­gen Rei­he „Fik­tion vs. Real­ität“ schauen wir uns das Ver­hält­nis unser­er Vorstel­lungskraft zu der uns umgeben­den Real­ität etwas genauer an. 

Teil 2: Die Macht der Dystopi­en – Das Net­zw­erk der neuen Rechten

Im zweit­en Teil dieser Rei­he fällt der Blick auf den aktuellen Zus­tand unser­er Gesellschaft—genauer auf poli­tis­che Diskurse, die uns umgeben, unser Denken und unser Han­deln bee­in­flussen. Ein jüng­stes Beispiel dafür, wie recht­skon­ser­v­a­tive Welt- und Wertvorstel­lun­gen Anspruch auf Real­ität erheben, ist die medi­ale Reak­tion auf die Tat von Frank­furt am Main. Ein voraus­sichtlich psy­chisch kranker Mann schub­st am 29.07. eine Frau und ihr Kind vor einen ein­fahren­den ICE, let­zteres kommt dabei ums Leben. Soweit die erschüt­ternde Fak­ten­lage. Die medi­ale Reak­tion seit­ens recht­skon­ser­v­a­tiv­er Poli­tik­er ent­fer­nt sich jedoch von diesen Fak­ten. Vielmehr wird in öffentlichen Stel­lung­nah­men mit Real­ität­sanspruch ein fik­tionales und dystopis­ches Gesellschafts­bild geze­ich­net, in dem sich die BRD in ein­er ver­meintlich sicher­heit­spoli­tis­chen Not­lage zu befind­en scheint. Statt über den Umgang mit psy­chisch kranken Men­schen in unser­er Gesellschaft zu disku­tieren wer­den hier­bei durch Poli­tik­er wie Alice Wei­del Debat­ten über die deutsche „Willkom­men­skul­tur“ angestoßen.

Statt über den Umgang mit psy­chisch kranken Men­schen in unser­er Gesellschaft zu disku­tieren wer­den hier­bei durch Poli­tik­er wie Alice Wei­del Debat­ten über die deutsche „Willkom­men­skul­tur“ angestoßen.

Ein Twit­ter­post des AfD-Bun­destagsab­ge­ord­neten Stephan Protsch­ka vom ersten August stellt die Tat von Frank­furt am Main gar in direk­te Verbindung mit anderen Straftat­en und ruft mit Argu­ment wie „Heimatliebe“ und „Für unsere Kinder“ dazu auf, seine Partei zu wählen. Die direk­te Reak­tion ließ mit der durch Innen­min­is­ter See­hofer angestoße­nen Diskus­sion um mögliche Gren­zkon­trollen zur Schweiz­er Gren­ze nicht lange auf sich warten. An Hand solch­er Aus­sagen und Reak­tio­nen zeigt sich, wie sehr unsere gegen­wär­tige Poli­tik­land­schaft von emo­tionalen und oft dystopis­chen Nar­ra­tiv­en bee­in­flusst wird. Doch wo liegen die Ursprünge solch dystopis­ch­er Weltvorstel­lun­gen, die von AfD und Co. vehe­ment vertreten und ver­bre­it­et wer­den? Wer sind die Akteure hin­ter Kam­pag­nen wie „PEDIGA“ und was für Ziele haben sie? Und vor allem welche Rel­e­vanz sind diesen Dystopi­en in gegen­wär­ti­gen Diskursen um poli­tis­che Real­itäten beizumessen? Aus­führliche Antworten hier­auf find­et das im März diesen Jahres im rowohlt Ver­lag erschienene Werk Das Net­zw­erk der Neuen Recht­en der Autoren Chris­t­ian Fuchs und Paul Mid­del­hoff. Ein näher­er Blick auf deren Aus­sagen und The­sen lohnt sich also.

Ihr gemein­sames Werk wid­men die bei­den Autoren voll und ganz der Betra­ch­tung von gegen­wär­tig auftre­tenden Akteuren und Insti­tu­tio­nen im recht­skon­ser­v­a­tiv­en Spek­trum. Eine ihrer ersten und wohl zen­tral­sten Fest­stel­lun­gen ist hier­bei, dass jene nicht autonom han­deln, son­dern vielmehr in einem über­ge­ord­neten Net­zw­erk einge­spon­nen sind. Aus ein­er Mis­chung von einzel­nen ide­ol­o­gisch aufge­lade­nen Akteuren, Think­tanks, Stiftun­gen aber auch Ver­la­gen, Haus­pro­jek­ten usw. her­aus entste­hen so Weltvorstel­lun­gen, die sowohl gegen­wär­tig als zukün­ftig beanspruchen, Real­itäten abzu­bilden. Im Zen­trum dieser Entwick­lung ste­ht für Fuchs und Mid­del­hoff die AfD, die den insti­tu­tionellen und vor allem finanziellen Rah­men für mögliche poli­tis­che Ein­flussnahme recht­skon­ser­v­a­tiv­er Akteure liefert.

Im Zen­trum dieser Entwick­lung ste­ht für Fuchs und Mid­del­hoff die AfD, die den insti­tu­tionellen und vor allem finanziellen Rah­men für mögliche poli­tis­che Ein­flussnahme recht­skon­ser­v­a­tiv­er Akteure liefert.

Ein Beispiel für diese tief­greifende Ver­net­zung zwis­chen AfD und recht­skon­ser­v­a­tiv­en Akteuren ist unter anderem die 2017 gegrün­dete Desiderius-Eras­mus-Stiftung. Im Rah­men der parteina­hen Stiftung, welche in ihrer offiziellen Beschrei­bung die soge­nan­nten „Alt­parteien“ als „poli­tisch kor­rekt ver­lo­gene Sprach­polizei“ betitelt, tre­f­fen recht­skon­ser­v­a­tive Ide­olo­gie und Akteuren aufeinan­der. Die Wahlergeb­nisse von Bun­destagswahl und Land­tagswahlen in den let­zten Jahren zeigen uns, dass die Weltvorstel­lun­gen der AfD von immer mehr Men­schen geteilt oder zumin­d­est unter­stützt wer­den. Dabei fällt bei genauer­er Betra­ch­tung auf, dass der selb­staufer­legte Real­ität­sanspruch in Abgren­zung zur soge­nan­nten „Lügen­presse“ in den meis­ten Fällen nicht aufrechter­hal­ten wer­den kann. Die His­to­rie und Band­bre­ite von Rel­a­tivierun­gen hin­sichtlich bewusst pro­vokan­ter und zwei­deutiger Aus­sagen ist so alt wie die Partei selb­st. Es zeigt sich, wie es auch Fuchs und Mid­del­hoff beschreiben, dass das eigentlich dahin­ter­liegende Ziel dieser Akteure eben nicht eine lösung­sori­en­tiere und real­ität­sna­he Poli­tik ist, son­dern vielmehr eine auf fik­tionalen Dystopi­en gestützte Aufmerk­samtkeits­gener­ierung. Ein zen­traler Bestandteil dessen ist dabei die medi­ale Insze­nierung des rel­a­tiv kleinen recht­skon­ser­v­a­tiv­en Spek­trums (ca. 150 aktive Akteure) als gesellschaftlich rel­e­vante Mehrheits­be­we­gung. Ein Beispiel dafür ist die Arbeit von Ein Prozent e.V., der sich selb­st als „patri­o­tis­ches Bürg­er­net­zw­erk“ ver­ste­ht und im Sinne dessen recht­skon­ser­v­a­tive Medi­enkam­pag­nen in die deutsche Öffentlichkeit ein­bringt. Die medi­alen Debat­ten und Diskurse der let­zten Jahre scheinen auf den ersten Blick einen Erfolg dieser Herange­hensweise darzule­gen. Wie also damit umge­hen, wenn poli­tis­che Akteure bewusst Gren­zen zwis­chen Real­ität und Fik­tion im Sinne ihrer eige­nen poli­tis­chen Agen­da ver­schwim­men lassen? 

Für Chris­t­ian Fuchs selb­st ist es das Wichtig­ste, die im Net­zw­erk aktiv­en Akteure, Insti­tu­tio­nen und Think­tanks sicht­bar sowie ihre Meth­o­d­en trans­par­ent zu machen. Ein Beispiel für eine solch­es Unter­fan­gen ist eine deutsch­landweite Karte auf der die Mehrheit dieser Beteiligten markiert sind. Im Hin­blick auf die Herange­hensweise recht­skon­ser­v­a­tiv­er Akteure muss uns bewusst wer­den, dass frem­den­feindliche und dystopis­che Aus­sagen zwar zu vehe­ment zu kri­tisieren sind, aber eben nicht zum Hauptbe­standteil poli­tis­ch­er Diskurse wer­den soll­ten. Denn bei den durch das rechte Net­zw­erk vertrete­nen Weltvorstel­lun­gen han­delt es sich nicht um eine Beschrei­bun­gen von Real­ität, son­dern um die poli­tis­che Agen­da ein­er gesellschaftlichen Min­der­heit. Nur wenn uns das bewusst wird, kann es uns gelin­gen, die auf Dystopi­en und Fik­tio­nen gestützte Aufmerk­samkeits­gener­ierung zu dekon­stru­ieren und lösung­sori­en­tierte und vor allem real­itäts­be­zo­gene Poli­tikde­bat­ten zu führen.


Bildquelle:


Martin_Kurz

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