Von jungen Köpfen für junge Köpfe. Drei Studierende entwickeln ein politisches Kartenspiel für junge Menschen mit dem Ziel, sich gemeinsam frei zu denken. Wir haben mit den drei Gründer*innen über ihre persönlichen Utopien und ihren Antriebsmotor gesprochen.
„Das ist ja utopisch“. Im Alltagssprachgebrauch wird diese Formulierung meist abwertend für große Pläne und Träume verwendet. Doch was ist eigentlich eine Utopie?
In der Utopie ist der Traum Wirklichkeit.
Vielen wichtigen sozialen Errungenschaften gingen Revolutionen voraus – und Kern dieser waren immer utopische Visionen.
Utopisch zu denken bedeutet groß zu denken.
Mit diesen Gedanken haben sich Miriam Kinzl, Hannah Jäger und Julian Fischer auseinandergesetzt. In der ersten Edition ihres Kreativmedienprodukts Lieberté – lieber frei denken widmen sie sich dem Thema Utopien: Es ist unsere Zukunft. Was machen wir daraus?
Vom Grundeinkommen über eine Welt ohne Gefängnisse bis hin zu einer solidarischen Landwirtschaft – Lieberté verbindet philosophische Konzepte mit Fragestellungen, die jede*m zugänglich sind. Und bringt so Philosophie und Alltagsgespräch auf einen gemeinsamen Nenner. Analog trifft auf digital: Spielerisch stärken Kartenspiel und Podcast die Medienkompetenz.
FFMag: Wie funktioniert das Spiel denn konkret? Könnt ihr uns das erklären?
Hannah: Lieberté ist ein Kreativmedienprodukt, das aus analogen Spielkarten und QR-Code-integrierten Expert*innen-Podcasts besteht. Pro Utopie gibt es einen selbst produzierten Expert*innen-Podcast auf´s Ohr sowie Pro-Kontra-Karten als Diskussionshilfe in die Hand. Obendrauf gibt es zwei weitere Podcasts, die in das utopische Denken und in die Utopienforschung einführen, sowie Nachdenkfragen mit Diskussionspotenzial. Spielerisch ergreifen die Mitspieler*innen Meinungen, die im Gegensatz zu ihrer eigenen stehen können.
Julian: Mindstretching steht bei uns an oberster Stelle: Damit lassen sich bekannte Muster brechen und Gedanken in neue Weiten ausdehnen. Zwei bis acht Personen können sich gleichzeitig mit einer Utopie beschäftigen. So eignet sich das Konzept hervorragend für Gruppenarbeiten in Workshops und Schulen, aber auch als Diskussionsspiel im Freundeskreis oder in der Wohngemeinschaft.
Miriam: Genau, unser Spiel richtet sich an Jugendliche ab ca. 15 Jahren und kennt keine Altersgrenze.
FFMag: Ihr habt einen Papierflieger, der die Welt umrundet, als Logo. Woher kommt das Bild?
Julian: Wir wünschen uns, dass alle ihre eigenen gedanklichen Papierflieger auf verschiedene Reisen schicken. Gedanken lassen sich oft neu oder anders falten, kommen mal mit Schwung, mal etwas langsamer. Sie verlaufen sich in verschiedene Richtungen und können auch mal vom Weg abkommen. Auch die Schnelligkeit variiert. Aber nur, wer zu denken beginnt, wird in Zukunft etwas verändern können, das ist unsere Botschaft.
FFMag: Woher kennt ihr euch und wer seid ihr?
Miriam: Wir drei kommen aus den unterschiedlichsten Ecken Süddeutschlands und studieren alle in Passau. Hannah und ich sind beste Freund*innen und Denkpartner*innen seit dem ersten Passauer Unitag. Wir studieren beide Journalistik und strategische Kommunikation mit Psychologie bzw. in Hannahs Fall Politikwissenschaften im Nebenfach. Julian studiert European Studies in Passau. Hannah und Julian haben sich lustigerweise aber im Auslandssemester in Toulouse kennengelernt.
Julian: Wir sind alle drei vielseitig interessiert, begeisterungsfähig, Kreativköpfe und Weltverbesser*innen. Und sehr unterschiedlich und ähnlich zugleich.
FFMag: Woher kam eure Idee, etwas zu gründen?
Miriam: Wir leben in einem Zeitalter, in dem die Zukunft unsicherer denn je erscheint. Auf uns alle prasseln täglich Nachrichten aus aller Welt ein. Junge Menschen wissen so viel wie nie – und gleichzeitig weniger als je zuvor. Uns ist es wichtig, die Medienkompetenz junger Erwachsener zu schulen. Deshalb verbinden wir analoge Spielkarten mit digitalen Podcasts. Unser Ziel ist es, junge Erwachsene dazu zu ermutigen, über ihre Zukunft nachzudenken, diese zu gestalten und Eigenverantwortung zu ergreifen. Da wir alle in der politischen Bildung engagiert sind, wollten wir gerne dort aktiv werden. Denn mit unserem Start-up werden wir nicht reich, aber wir wünschen uns, dass viele Menschen um unterschiedlichste inspirierende Gespräche reicher werden. Und erkennen, wie wichtig sie als Individuum in unserer Gesellschaft sind.
Hannah: Uns ist es wichtig, jungen Menschen zu vermitteln, dass es ihre Zukunft ist. Und dass es sich lohnt, heute schon über unser Morgen nachzudenken.
FFMag: Wie fing alles an mit Lieberté?
Hannah: Bereits seit über einem Jahr dachten Miri und ich über ein Kreativmedienprodukt nach. Als ich Julian im Auslandssemester in Toulouse kennenlernte, war der Machergeist vollends geweckt. Den Gründungswettbewerb, den 5‑Euro-Business-Wettbewerb der Universität Passau haben wir uns dann zum Anlass genommen, unsere Ideen zu bündeln und in die Macherphase zu gehen. Man kann also schon sagen, dass die Kreativarbeit teilweise am Passauer See und im Süden Frankreichs entstand. Ans Machen ging es dann in der Corona-Hochzeit in Passau.
FFMag: Und wie lief der Lieberté-Arbeitsprozess ab? Wie arbeitet ihr zusammen?
Miriam: Innerhalb von zweieinhalb Monaten haben wir das Unternehmen Lieberté gegründet, unsere Themen recherchiert, Podcasts mit Ansprechpartner*innen aus ganz Deutschland geführt, diese alle selbst geschnitten und produziert. Ich habe unser komplettes Design selbst entworfen, Julian kümmert sich um unsere Webseite und Hannah ist die Presseverantwortliche für Lieberté.
FFMag: Was ist die größte Herausforderung beim Gründen eines Start-ups?
Hannah: Das Schwierigste für uns war definitiv der Anfangsprozess. So viele Ideen aus drei unterschiedlichen Köpfen zu vereinen, das war nicht ohne. An vielen Ideen haben wir lange gearbeitet und sie dann doch wieder verworfen. Aber ich glaube, das für mich persönlich Schwierigste an dem Lieberté-Prozess war der Mut. Es braucht viel Mut, einfach zu machen und an uns zu glauben. Ich selbst bin mir oft die härteste Kritikerin und Teilzeit-Perfektionistin. Wenn man ein Kartenspiel entwickelt, muss man an manchen Punkten aber auch einfach entscheiden und dann loslassen. Ich bin sehr stolz auf uns, dass wir durchgehalten haben und uns von keiner (Technik-)Krise aus der Bahn haben werfen lassen.
FFMag: Lieberté ist ein Kartenspiel über Utopien. Um welche Utopien geht es und habt ihr eine Lieblings-Utopie?
Miriam: Die Schule von morgen, eine solidarische Landwirtschaft, kulturelle Vielfalt als Chance, eine Gesundheitsutopie, das Grundeinkommen, eine Welt ohne Gefängnisse – das sind unsere Themen.
Hannah: Mein Favorit ist unsere Gesundheitsutopie, die durch Corona brandaktuell ist. Wir konnten Anne Jung von der Hilfsorganisation medico für den Podcast gewinnen und sie fragen, wieso ein globales Gesundheitssystem eine Utopie ist und bleibt trotz WHO-Ziel.
Julian: Ein gerechteres Sozial- und Wirtschaftssystem, dafür brenne ich. Deswegen mag ich unsere Utopie über das Grundeinkommen sehr.
Miriam: Interessanterweise gefällt unseren Testhörer*innen die Welt ohne Gefängnisse richtig gut. Dabei ist das unsere Utopie, die am gesellschaftskritischsten und auch kontroversesten ist. Aber da haben wir Schüler*innen von heute wohl unterschätzt. Schon 14-Jährige diskutierten die Utopie mit viel Interesse!
FFMag: Was wollt ihr mit Lieberté erreichen? Habt ihr da eine utopische Vision?
Hannah: Unser Traum wäre es auch, einen Utopie-Tag in Schulen selbst gestalten zu dürfen, unser Spiel mit Schüler*innen vor Ort zu spielen. Und am Anfang steht ja bekanntlich die Utopie … wer weiß!
Vielen Dank für das Gespräch!
Lieberté findet ihr auf Instagram unter @lieberte_kartenspiel sowie unter www.lieberte-kartenspiel.de. Vorbestellen kann man das Spiel per Mail an lieberte.kartenspiel@gmail.com. Die erste Edition gibt es für Studierende und für Schüler*innen 6€.
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