Feine Violinen und dysfunktionale Superhelden: Gerard Ways „The Umbrella Academy“ zeichnet ein neues Bild des modernen Superheldenepos und überholt leichtfüßig DCs Titans

von Mer­cy Ferrars

Epis­che Ver­fil­mungen der Super­helden­comics der DC und Mar­vel Uni­versen fluten seit ger­aumer Zeit unsere Kinolein­wände und Com­put­er­bild­schirme. Das Konzept des ganz gewöhn­lichen Men­schen, der entwed­er durch einen Schick­salss­chlag an über­natür­liche Kräfte gelangt oder im Ret­ten der Welt seine Beru­fung ent­deckt; bedi­ent das men­schliche Bedürf­nis danach, inneres Poten­tial zu weck­en und über sich selb­st hin­aus zu wach­sen. Umso stärk­er ist dieses Bedürf­nis in der Leis­tungs­ge­sellschaft, die uns umgibt; inner­halb welch­er sowohl der Kap­i­tal­is­mus als auch der Staat davon prof­i­tieren, dass wir uns selb­st auf das Gewöhn­liche reduzieren. Auch wir sehnen uns nach ein­er klas­sis­chen ‘from zero to hero’ Lauf­bahn. Die Pointe unser­er Liebling­shelden ist oft die Ermu­ti­gung, sich der eige­nen, inneren Macht zu bedi­enen und Kraft darin zu find­en, zu sein, wer man wirk­lich ist; sich von äußeren Zwän­gen und Gedanken, die uns zurück­hal­ten, zu befreien. Die mod­erne Super­heldengeschichte gibt uns also eine ermuti­gende Kon­stante; ein­er der Gründe, weshalb wir so unglaublich hun­grig und willig zu ihrer Erzählstruk­tur zurück­kehren und Super­helden-Filme die höch­sten Kinoein­nah­men zu erzie­len scheinen. Die Feinar­beit in der Erzäh­lung von; beziehungsweise die Konzep­tion des Helden selb­st vari­iert von Geschichte zu Geschichte. Eigentlich scheint es uns auch gar nicht so wichtig, ob ein Super­held nun fliegen kann oder ein bogen­schießen­der Vig­i­lant ist. Es geht uns bloß darum, dass wir uns in ihm wiederfind­en. Serviert wird das Erfol­gsrezept natür­lich mit ein­er ordentlichen Prise leicht­füßigem Humor und bildge­waltiger sowie action­haltiger Beilage. Alles in allem ein Konzept, welch­es sämtliche Rezep­toren in uns anspricht und all unsere Bedürfnisse an Kino-Unter­hal­tung bedient.

Eine dysfunktionale Patchworkfamilie an Antihelden

Am 15. Feb­ru­ar 2019 prämierte auf Net­flix eine Super­heldenserie, die aus mehreren Grün­den aus der Rei­he fällt. So fan­tastisch, imposant und episch wie die massenkom­pat­i­blen Super­heldengeschicht­en der großen Comicgi­gan­ten auch sind, so leise und unbe­merkt entwick­elt sich The Umbrel­la Acad­e­my, basierend auf den Dark Horse Comics des ehe­ma­li­gen My Chem­i­cal Romance Sängers Ger­ard Way, in eine epis­che Geschichte, welche eher mit leisen und feineren Tönen über eine zer­rüt­tete Super- beziehungsweise Anti­helden­fam­i­lie erzählt.

An einem Okto­bertag im Jahr 1989 wer­den urplöt­zlich 43 Frauen auf der ganzen Welt schwanger – am Mor­gen jenes Tages waren sie es noch nicht. Inner­halb kürzester Zeit wer­den 43 Kinder geboren, die alle über­natür­liche Fähigkeit­en zu besitzen scheinen. Mil­liardär Sir Regi­nald Har­greeves ersucht die ver­störten und irri­tierten Müt­ter, und nutzt ihre Über­forderung aus, um ihnen ein zweifel­haftes Ange­bot zu machen: Er schlägt ihnen vor, gegen eine gute Summe ihre Kinder abzukaufen. Ganze sieben Mal hat er Erfolg. Ganze sieben beson­dere Kinder bringt er nach Hause – und trainiert sie und ihre speziellen Fähigkeit­en im Rah­men der von ihm ins Leben gerufene Umbrel­la Acad­e­my. Diese sieben Kinder machen sich fol­glich einen Namen in der Presse, indem sie alle möglichen Ver­brechen auflösen. Genauer gesagt sind es die ersten sechs – Num­mer sieben, gespielt von Ellen Page, hat offen­bar keine beson­deren Fähigkeit­en, erk­lärt Har­greeves der Welt. Da die Kinder keine Chance hat­ten, sich für dieses Leben zu entschei­den, schei­den sich die Wege als­bald, als sie erwach­sen wer­den. Der eine fliegt zum Mond, wo er 4 Jahre ver­brin­gen wird; der andere wird zum Junkie. Ein­er stirbt. Ein­er ver­schwindet in der Zeit und wird nie wieder gefun­den. Eine wird Vir­tu­osin. Eine Patch­work­fam­i­lie, welche schon von jeher durch inten­sive, eige­nar­tige Dynamiken bril­lierte – eige­nar­tig darf hier als „auf eine ganz eigene Art und Weise“ ver­standen wer­den. Der mys­tis­che Tod ihres Vaters führt die Fam­i­lie zurück – zueinan­der, als auch zu ihren unver­ar­beit­eten Prob­le­men. Zeit­gle­ich taucht der vor langer Zeit ver­loren gegan­gene „Num­mer 5“ zurück – aus ein­er apoka­lyp­tis­chen Zukun­ft, in welch­er nicht nur alle Fam­i­lien­mit­glieder, son­dern auch die Stadt, die Welt; in Trüm­mern liegt. Verzweifelt ver­sucht die Umbrel­la Acad­e­my anschließend also, her­auszufind­en, was die Apoka­lypse aus­lösen wird und deren Ursache zu ver­hin­dern. Dabei macht sie natür­lich eine aufwüh­lende Ent­deck­ung und es stellt sich her­aus, dass das Ende der Welt zu ver­hin­dern ganz vielle­icht mit unvorstell­baren Ver­lus­ten ver­bun­den sein mag.

Mehr als nur ein moderner Heldenepos: Wie The Umbrella Academy sich von den großen Comicgiganten abhebt

„The Umbrel­la Acad­e­my“ vere­int also einige the­ma­tis­che Bere­iche: Auf der einen Seite sind wir auch hier mit ein­er pop­ulären Heldengeschichte kon­fron­tiert; einem durch Men­schen­hand ent­stande­nen Übel, welch­es die Welt zer­stören wird, und aus ihren per­sön­lichen Abgrün­den aufer­ste­hen­den ehe­ma­li­gen Helden, die sich auf­machen, die Welt zu ret­ten. Gle­ichzeit­ig stellt die Umbrel­la Acad­e­my die Frage danach, was eigentlich das Konzept von ‘Fam­i­lie’ definiert. Die Geschwis­ter sind einan­der nicht blutsver­wandt und fühlen sich durch ihre gemein­same Auf­bringung doch einan­der zuge­hörig. Auch roman­tis­che Impulse find­en sich unter den Geschwis­tern – ele­gant man­i­festiert inner­halb ein­er Par­al­lelver­sion des Geschehens, welche sich nie als Möglichkeit man­i­festieren ver­mag.
Nichtzulet­zt beschäftigt sich die Serie mit den Prob­le­men eines jeden Einzel­nen: Jedes Mit­glied der Umbrel­la Acad­e­my erhält Screen­zeit, um ihre Dämo­nen aufzuzeigen und sich selb­st zu erk­lären und zu posi­tion­ieren. The Umbrel­la Acad­e­my enthält wenige, aber machtvolle Action­szenen und ist, im Gegen­zug zu Pro­duk­tio­nen der großen Comicgi­gan­ten, nicht voll­ge­laden von möglichst lauter, bunter und chao­tis­ch­er Action. Der Zuschauer erlebt hier also eher eine Super­heldengeschichte in einem feineren, leis­eren Ton; was der Geschichte nicht nur nichts nimmt, son­dern sie, im Gegen­zug, um einiges ein­drück­lich­er scheinen verlässt.

Rel­a­tiv zeit­gle­ich auf Net­flix erschien „Titans“, eine DC-Pro­duk­tion aus dem Okto­ber 2018. Auch in Titans fol­gen wir ein­er Gruppe Jugendlich­er, unter anderem Bat­mans Robin, wie sie ver­suchen ihre eige­nen Dämo­nen zum Erliegen zu brin­gen und sich gle­ichzeit­ig bün­deln, um das Böse zu bekämpfen. Im Ver­gle­ich zu The Umbrel­la Acad­e­my scheint Titans als Serie jedoch selt­sam leer von Tiefe und Sub­stanz, welche zugle­ich unter stark­er Bemühung ver­sucht wird zu erzeu­gen. Während ich DC-Serien­pro­duk­tio­nen an sich sehr mag und beispiel­sweise großer Fan vom Arrow­verse bin, hat Titans, im Ver­such an das pop­uläre Super­heldenkonzept anzuschließen und sich den­noch in ein­er insze­nierten Dunkel­heit zu präsen­tieren, im Gegen­zug zur Umbrel­la Acad­e­my lei­der nicht geglänzt.

The Umbrel­la Acad­e­my ist eine klare Serienempfehlung für alle, die rezep­tiv für Super­heldengeschicht­en sind, und diejeni­gen, die sich neben all der Action, den bun­ten knal­li­gen Far­ben und dem abge­grif­f­e­nen Humor nach leis­eren, sen­si­bleren Bildern, san­ften Vio­li­nen und Helden, die sich ungern als solche ver­ste­hen, sehnen.


The Umbrel­la Acad­e­my läuft seit 15. Feb­ru­ar 2019 auf Netflix.

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