Selbstliebe durch Glitzerregen—‘RuPaul’s Drag Race’, eine Show zwischen Empowerment und scharfer Konkurrenz

von Gas­tau­torin Mona Schlacht­en­rodt

Cast­ing-Shows sind vor allem dafür bekan­nt, weniger tal­en­tierte Kan­di­datIn­nen bloßzustellen und tal­en­tierte Kan­di­datIn­nen auszunutzen, ohne dass diese selb­st aus ihrer Leis­tung in der jew­eili­gen Show nach­haltig Erfolg gewin­nen kön­nen. Ein ele­mentar­er Bestandteil scheint es auch zu sein, die Gefüh­le und das Pri­vatleben der Per­so­n­en im Ram­p­en­licht auszuschlacht­en. Das alles kommt natür­lich nicht ohne diskri­m­inierende Stereo­type, Sex­is­mus, Fat­sham­ing und Ähn­lichem aus. Ist es möglich, dass eine Cast­ing-Show diese vielfälti­gen Prob­leme über­windet und sog­ar einen echt­en Mehrw­ert für die Gesellschaft gener­iert? Die Cast­ing-Show RuPaul’s Drag Race, die seit 2009 im US-amerikanis­chen Fernse­hen läuft und nun seit eini­gen Jahren auch in Deutsch­land auf Net­flix zu sehen ist, hat es geschafft, Drag als Kun­st­form in den Main­stream zu rück­en und damit mehr Sicht­barkeit für die queere Com­mu­ni­ty zu gener­ieren. In der Show sucht Drag Queen und Mod­er­a­tor RuPaul jedes Jahr nach “Amer­i­c­as Next Drag Super­star”. Um diesen Titel zu erstre­it­en, stellen die Kan­di­datIn­nen ihr Tal­ent in ver­schiede­nen Chal­lenges, die unter­schiedliche Aspek­te der Trav­es­tie-Kun­st in den Fokus rück­en, unter Beweis. Aber auch RuPaul’s Drag Race kann nicht davon freige­sprochen wer­den, einige für Cast­ing-Shows übliche Prob­leme aufzuweisen. So wird hier beispiel­sweise die Tra­di­tion des Gefühlsvoy­eris­mus ungetrübt fortgeführt.

Atemberaubende Kunst und ermutigende Persönlichkeiten

Schon beim Namen ist jedem, der etwas über Drag, beziehungsweise die Kun­st der Trav­es­tie weiß, sofort klar, dass es sich um eine explo­sive Show mit viel Glitzer und einem großen Unter­hal­tungs­fak­tor han­delt. Sie bietet eine einzi­gar­tige Mis­chung aus atem­ber­auben­den Out­fits und albernem Humor weit unter der Gürtellinie. Das Styling, welch­es die Kan­di­datIn­nen bei jed­er Folge auf dem Lauf­steg präsen­tieren, ist als Teil der Auf­gabe stets selb­st zusam­mengestellt und nicht sel­ten sog­ar selb­st erdacht und zusammengenäht.

Neben dem kün­st­lerischen Aspekt fes­selt die Show noch auf ein­er anderen Ebene. Bei RuPaul’s Drag Race kom­men jedes mal Men­schen zusam­men, von denen einige auf­grund ihrer Sex­u­al­ität immer wieder Zurück­weisung auf zum Teil grausam­ste Art erfahren haben. Auch wenn man eigentlich weiß, dass Abwe­ichen von dem het­ero­nor­ma­tiv­en Bild immer noch häu­fig mit Ablehnung und Gewalt beant­wortet wird, ist es erschüt­ternd zu hören, was einige der Drag Queens durch­ste­hen mussten. Es gehört jedoch zweifel­los zu den ermuti­gend­sten und inspiri­erend­sten Din­gen in der Welt zu erfahren, wie diesel­ben Men­schen, die all dem aus­ge­set­zt waren und sind, aus ihrer Kreativ­ität und ihrer Per­for­mance als Drag Queens eine unglaubliche Stärke und ein benei­denswertes Selb­st­be­wusst­sein ziehen. Und das ist es, was Drag Race von allen anderen Cast­ing Shows abhebt: es geht dort in erster Lin­ie um Empow­er­ment und nicht um Erniedrigung.

Eine Geschichte, die mich beson­ders beein­druckt hat, ist die des Kan­di­dat­en Bri­an Michael Firkus . Er erzählt uns in der 7. Staffel davon, wie hart es für ihn war als klein­er Junge von seinem Stief­vater als “Trix­ie” belei­digt zu wer­den, wenn er sich in seinen Augen zu sen­si­bel oder zu fem­i­nin ver­hal­ten hat. Firkus hat die unglaubliche Leis­tung voll­bracht, so viel innere Stärke aufzubrin­gen, dass er sich diese fortwährende Belei­di­gung zu eigen machen und in die funkel­nde Per­sön­lichkeit seines Drag Alter Egos ver­wan­deln kon­nte, das nun aus diesem Grund den Namen Trix­ie Mat­tel trägt. Das ist aber nur eine von vie­len ver­schiede­nen per­sön­lichen Geschicht­en, welche die Zuschauer im Laufe der Staffeln von den Kan­di­datin­nen erfahren. Viele andere Geschicht­en sind weitaus tragis­ch­er als die von Trix­ie und nicht alle haben zum Zeit­punkt der Drehar­beit­en zu einem Hap­py End gefunden.

Nicht gefeit vorm Gefühlsvoyeurismus

An dieser Stelle wird die Show jedoch auch an manchen Stellen frag­würdig. Es ist zwar toll zu sehen wie sich die Kan­di­datIn­nen gegen­seit­ig unter­stützen, wenn sie einan­der von teil­weise grausamen Schick­salss­chlä­gen erzählen. Es wird dabei auch nicht sel­ten auf wunde Punk­te in der Gesellschaft hingewiesen, denen drin­gend mehr Aufmerk­samkeit geschenkt wer­den sollte. Aber wie bei allen Real­i­ty-Shows stellt sich trotz des empow­ern­den Moments die Frage, ob das öffentliche Aus­bre­it­en dieser inti­men Geschicht­en nicht zum Teil auf Kosten der Pri­vat­sphäre der Kan­di­datIn­nen geht. Man kön­nte zwar ein­wen­den, dass jede*r im Fernse­hen selb­st dafür ver­ant­wortlich ist, was man von sich gibt, aber tat­säch­lich beste­ht doch wenig Zweifel, dass Pro­duzentIn­nen von Real­i­ty Shows genau wis­sen, wie sie im Zweifels­fall den Teil­nehmerIn­nen selb­st intim­ste Gedanken ent­lock­en können.

Aber wie bei allen Real­i­ty-Shows stellt sich trotz des empow­ern­den Moments die Frage, ob das öffentliche Aus­bre­it­en dieser inti­men Geschicht­en nicht zum Teil auf Kosten der Pri­vat­sphäre der Kan­di­datIn­nen geht. Man kön­nte zwar ein­wen­den, dass jede*r im Fernse­hen selb­st dafür ver­ant­wortlich ist, was man von sich gibt, aber tat­säch­lich beste­ht doch wenig Zweifel, dass Pro­duzentIn­nen von Real­i­ty Shows genau wis­sen, wie sie im Zweifels­fall den Teil­nehmerIn­nen selb­st intim­ste Gedanken ent­lock­en können.

Genau­so ist auch RuPaul’s Drag Race nicht davor gefeit, die Skan­dale und den Zwies­palt unter den Kan­di­datIn­nen zu insze­nieren. In Einzelin­ter­views wer­den die Drag Queens beispiel­sweise nach ihren aktuellen Stre­it­igkeit­en untere­inan­der befragt und lassen sich dadurch nicht sel­ten zu eini­gen ver­let­zen­den Aus­sagen bezüglich ihrer RivalIn­nen hin­reißen. Außer­dem ist das unum­stößliche Prinzip von Cast­ing-Shows scharfe Konkur­renz. Auch RuPaul’s Drag Race set­zt die Kan­di­datIn­nen unter zer­mür­ben­den Druck, um sie anschließend unnötig harrsch­er Kri­tik auszuset­zen, wenn sie nicht den Anforderun­gen oder dem Geschmack der Jury entsprechen. Dieses Wet­tbe­werb­s­for­mat hat nichts Pro­gres­sives und es ist eine frag­würdi­ge Ide­olo­gie, dass man unter Druck und mit Hil­fe von Wet­tbe­werb­sstrate­gien die beste Leis­tung aus Men­schen raus­holen kann. Was wir in dieser höchst indi­vid­u­al­isierten und von Konkur­renz geprägten Zeit brauchen, sind Zeichen dafür, dass Men­schen auf­blühen und mehr erre­ichen kön­nen, wenn sie sich gegen­seit­ig unter­stützen. Umso begrüßenswert­er sind die Momente in RuPaul’s Drag Race, in denen genau das trotz des Wet­tbe­werbs passiert. Nicht sel­ten bekom­men die ZuschauerIn­nen einen Ein­blick in das famil­iäre Gemein­schafts­ge­fühl, das in der Drag Com­mu­ni­ty gepflegt wird. Den­noch ist Konkur­ren­zver­hal­ten und gegen­seit­iges Beurteilen das, was zwangsläu­fig als Resul­tat des Cast­ing-For­mats entsteht.

Was die Show zweifel­los geleis­tet hat, ist dass sie die bre­ite Öffentlichkeit mit der fan­tastis­chen Welt des Drag ver­traut gemacht hat und auch gle­ichzeit­ig damit mehr Aufmerk­samkeit auf die Prob­leme gelenkt hat, denen queere Men­schen tagtäglich gegenüber ste­hen. Da scheint es auf den ersten Blick eine super Nachricht, dass wir bald eine deutsche Ver­sion des For­mats mit dem Namen “Queen of Drags” bekom­men wer­den. Das kön­nte eine Chance sein, auch in Deutsch­land mehr Ver­ständ­nis für queere Men­schen und Begeis­terung von Trav­es­tie-Kun­st zu weck­en. Umso nieder­schmettern­der ist, dass ProSieben nun offiziell bekan­nt gegeben hat, Hei­di Klum als Haup­tjuror­in der Show unter Ver­trag genom­men zu haben. Hei­di Klum, die wed­er dafür bekan­nt ist, dass sie beson­ders viel mit der queeren Com­mu­ni­ty zu tun hat, Hei­di Klum, welche eine Cast­ing Show leit­et, die das absolute Gegen­teil von Akzep­tanz gegenüber Diver­sität verkör­pert und — vielle­icht am ver­heerend­sten — die ein­fach keine Drag Queen ist. Die Nachricht, dass Hei­di Klum die Gast­ge­berin des deutschen Ablegers von Drag Race wer­den soll, weckt die düstere Vorah­nung, dass diese Show alle schlecht­en Seit­en an RuPaul’s Ver­sion mit eini­gen weit­eren schlecht­en Ele­menten von Cast­ing Shows in sich vere­inen wird und dafür alle guten Seit­en der amerikanis­chen Show vol­lkom­men ver­liert. Ein klein­er Hoff­nungss­chim­mer bietet die Peti­tion, welche die Berlin­er Drag-Kün­st­lerIn­nen Ryan Steck­en und Mar­got Schlönzke ins Leben gerufen haben, um ProSieben aufzu­fordern, Hei­di Klum durch eine queere Per­son wie beispiel­sweise Con­chi­ta Wurst (die bere­its Teil der Jury sein soll) zu ersetzen.

Die Nachricht, dass Hei­di Klum die Gast­ge­berin des deutschen Ablegers von Drag Race wer­den soll, weckt die düstere Vorah­nung, dass diese Show alle schlecht­en Seit­en an RuPaul’s Ver­sion mit eini­gen weit­eren schlecht­en Ele­menten von Cast­ing Shows in sich vere­inen wird und dafür alle guten Seit­en der amerikanis­chen Show vol­lkom­men ver­liert. Ein klein­er Hoff­nungss­chim­mer bietet die Peti­tion, welche die Berlin­er Drag-Kün­st­lerIn­nen Ryan Steck­en und Mar­got Schlönzke ins Leben gerufen haben, um ProSieben aufzu­fordern, Hei­di Klum durch eine queere Per­son wie beispiel­sweise Con­chi­ta Wurst zu ersetzen.

Es bleibt also noch abzuwarten, wie viele Stim­men die Peti­tion sam­meln kann und wie ProSieben dann let­z­tendlich darauf reagieren wird, den Unmut von eini­gen tausend poten­tiellen Zuschauern zu spüren.

Bis dahin kön­nen wir uns aber erst­mal trotz aller Kri­tikpunk­te freuen, dass es nun die 11. Staffel von RuPaul’s Drag Race auf Net­flix gibt und kön­nen immer dann, wenn wir das Gefühl haben, dass die Welt um uns herum grau ist und wir nie gut genug zu sein scheinen, die einzige Show schauen, die mit den auf­muntern­den Worten endet:

If you don’t love yourself, how in the hell are you gonna love somebody else?


Hier geht’s zur Petition.

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