6 Siedlungen der Berliner Moderne | Teil 1 Falkenberg – Schillerpark — Britz

Von Mar­tin Bäckert

Seit 2008 gehören ins­ge­samt sechs Berlin­er Wohn­sied­lun­gen zur UNESCO Wel­terbestätte Sied­lun­gen der Berlin­er Mod­erne. Im ersten Teil des Artikelzweit­eil­ers blick­en wir auf die Garten­stadt Falken­berg, die Sied­lung Schiller­park sowie die Hufeisen­sied­lung. Im zweit­en Teil ste­hen dann die Wohn­stadt Carl Legien, die Weiße Stadt sowie die Siemensstadt im Zen­trum. Alle­samt in den 1920er-Jahren ent­standen, gel­ten die Sied­lun­gen heute als Muster­beispiele für die deutsche Wohnar­chitek­tur der klas­sis­chen Mod­erne. Mit klas­sis­ch­er Mod­erne ist eine Architek­ture­poche gemeint, welche sich unge­fähr von der Jahrhun­der­twende bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhun­derts zog. Mit ihr ein­her ging die Hoff­nung viel­er Architekt:innen, die großstädtis­chen Prob­leme des 19. Jahrhun­derts hin­ter sich zu lassen und neue, mod­erne Städte für neue, mod­erne Men­schen zu kreieren. Die Berlin­er Wohn­sied­lun­gen waren Teil dieser Hoff­nung. Doch wodurch zeich­neten sich diese Hoff­nun­gen aus? Gab es ein neues Bauen für neue Menschen?

Der Traum von neuen Städten

Am Anfang der Hoff­nung auf neue Städte ste­hen Krisendi­ag­nosen durch zeit­genös­sis­che Architekt:innen. Das 19. Jahrhun­dert brachte, von den Prozessen der Indus­tri­al­isierung geprägt, unzäh­lige Großstädte her­vor. Berlin, Paris oder auch Lon­don wuch­sen in kürzester Zeit von kleinen Städten zu riesi­gen Metropolen. Allein in Berlin wuchs die Ein­wohn­erzahl in einem Jahrhun­dert von ca. 172.000 (Jahr 1800) auf 3,7 Mil­lio­nen (Jahr 1910) an. Doch dieses Städtewach­s­tum lief keineswegs rei­bungs­los ab — vielmehr gin­gen mas­sive Prob­leme damit ein­her. Allen voran die Pro­le­tarisierung von Wohn­vierteln, in denen Wohn­raum zu prekären Umstän­den an Arbeiter:innen ver­mi­etet wur­den. In Berlin lässt sich dieses Phänomen in den soge­nan­nten Miet­skaser­nen verorten. In über­füll­ten, viel zu engen Woh­nun­gen lebten oft­mals mehrere Gen­er­a­tio­nen in einem Ort, der zudem in den meis­ten Fällen ohne aus­re­ichend Licht oder Frischluftzu­gang ver­fügte. Die Baupoli­tik des Deutschen Kaiser­re­ich­es erlaubte diese Entwick­lung — der Staat sah sich hier als pas­siv­er Akteur, der nur in äußer­sten Not­fällen ein­griff. Die umsich­greifende Speku­la­tion pri­vater Eigentümer:innen mit dem Wohn­raum der Miet­skaser­nen wurde dabei kaum angegangen. 

Doch genau gegen diese Art von Baupoli­tik regte sich nun um die Jahrhun­der­twende Wider­stand von­seit­en der Architek­tur. Statt pas­siv der Ver­größerung großstädtis­ch­er Prob­leme zuzuse­hen, set­zten sich Architekt:innen für eine proak­tive und vorauss­chauende Baupoli­tik ein. Eine Idee, die aus den Reform­be­we­gun­gen des 19. Jahrhun­derts entsprang. Bere­its Früh­sozial­is­ten wie Robert Owen oder Charles Fouri­er ent­war­fen architek­tonis­che Entwürfe mit einem klaren Fokus auf humane Wohnbe­din­gun­gen. Doch erst mit der Garten­stadt-Idee des Briten Ebenez­er Howard entwick­elte sich um 1900 eine bre­ite Auseinan­der­set­zung damit, wie Städte trotz fortschre­i­t­en­der Indus­tri­al­isierung human gestal­tet wer­den kön­nten. Es über­rascht daher wenig, dass in diese Zeit auch die Entste­hung der Stadt­pla­nung als eigene wis­senschaftliche Diszi­plin fällt. Mit neuen städteplaner­ischen Meth­o­d­en wollte man nun neue und vor allem mod­erne Städte als Gegenkonzept zur Miet­skaser­nen­stadt entwick­eln. Statt engen, speku­la­tiv­en Wohn­räu­men wollte man den Men­schen hygien­is­che und mod­erne Woh­nun­gen bere­it­stellen. Statt ein­er pas­siv­en Baupoli­tik des Staates soll­ten nun ein­heitliche und vorauss­chauende Stadt­pläne entwick­elt werden.

Das Garten­stadt-Konzept nach Howard: Im Umkreis ein­er zen­tral gele­ge­nen Großs­tadt soll­ten mehrere Kle­in­städte gegrün­det wer­den. © Eben­z­er Howard, Gar­den Cities of tomor­row, 1902.

Der Traum von neuen Menschen

Mit dem Wun­sch, neue Bauw­erke zu erschaf­fen, ver­band sich jedoch für viele Architekt:innen auch die Idee eines neuen Men­schen­bildes. Auch diese Verknüp­fung zwis­chen sozialen und architek­tonis­chen Forderun­gen lässt sich im Früh­sozial­is­mus find­en. Bere­its Rousseau unter­schied in seinem Roman Émile zwis­chen ein­er guten, gemein­schaftlichen und ein­er schlecht­en, gesellschaftlichen Erziehung. Entschei­dend dafür, welche Erziehung ein Men­sch genießen kann, war für Rousseau der Ort, an dem jene stat­tfind­et. An neuen, geschicht­slosen Orten soll­ten neue Men­schen fernab der großstädtis­chen Gesellschaft in natür­lichen Gemein­schaften erzo­gen wer­den. Für Ebenez­er Howard waren diese Orte seine Garten­städte. In der The­o­rie soll­ten hier natür­lich­er Sied­lungs­ge­mein­schaften fernab der beste­hen­den Städte entste­hen. Im deutschen Raum hat­te die Garten­stadt-Idee bere­its frühe Anhänger. Howards Buch Tomor­row. A Peace­ful Path to Real Reform erschien  1898. 1902 grün­dete sich dann die Deutsche Garten­stadt­ge­sellschaft. In ihr vere­inigten sich Architekt:innen, die eine neue Baupoli­tik zur Erziehung neuer Men­schen forderten. Im Kon­text des Sozial­staats­gedankens der Weimar­er Repub­lik- sprich der Staat als aktiv­er Akteur, der auf gesellschaftliche Prob­leme nicht nur reagiert, son­dern diese auch präven­tiv bekämpft — kon­nte sich jene Forderun­gen schließlich durch­set­zen. Der Staat ver­stand sich in der Baupoli­tik nun als aktiv­er Akteur, der auf gesellschaftliche Prob­leme nicht nur reagiert, son­dern diese auch präven­tiv bekämpft. Dabei wurde im deutschen Kon­text Howards Idee der Garten­stadt trans­formiert und vor allem auf den Bau von Sied­lun­gen pro­jiziert. In großen Sied­lun­gen am noch unbe­baut­en Stad­trand soll­ten in natür­lichen Gemein­schaften neue, mod­erne Men­schen erzo­gen wer­den. Auch die Berlin­er Sied­lun­gen der Mod­erne standen in der Tra­di­tion dieser Idee. Ihre Architek­ten sahen hier die Möglichkeit, durch mod­er­nen Wohn­raum ein neues, mod­ernes Leben zu ergrün­den. Inwiefern dies gelang, wird im zweit­en Teil dieser Artikel­rei­he geklärt. 


Siedlungen der Berliner Moderne

Im Zeitraum von 1913 bis 1934 ent­standen in Berlin sechs Wohn­sied­lun­gen, die heute als Sied­lun­gen der Berlin­er Mod­erne als UNESCO Wel­terbestätte eingestuft sind. Maßge­blich­er Architekt war dabei Bruno Taut, der in den 1920er zu einem der ein­flussre­ich­sten Wohnar­chitek­ten wurde. Die sechs Sied­lun­gen sind heute noch erhal­ten und liegen über ganz Berlin verteilt: 

Berlin-Karte der ersten drei Sied­lun­gen. Bildquelle: © Mar­tin Bäck­ert (CC BY-NC-SA 2.0)

Gartenstadt Falkenberg (1913 – 1916)

Städte­bauliche Daten:

Gesamt­fläche: 4,4 ha

Architekt: Bruno Taut

Gebäude: 80 Ein­fam­i­lien­häuser + 48 Etagenwohnungen

Ort: Bezirk Trep­tow-Köpenick, Ort­steil Bohnsdorf 

Adresse: Akazien­hof 4, 12524 Berlin

Bildquelle: © Flickr, Getrud K (CC BY-NC-SA 2.0)

Mit ihrem Baube­ginn noch vor dem Ersten Weltkrieg ist die Garten­stadt Falken­berg die älteste der sechs Sied­lun­gen. Zu ihren zen­tralen Merk­malen zählt die expres­sive Far­bigkeit sämtlich­er Häuser­fas­saden. Die Farbe hat­te dabei sowohl ästhetis­che als auch städte­bauliche Zwecke. Die kon­trastre­iche Farb­wahl sollte die Sied­lung zu einem lebenswerten Umfeld machen und dabei gle­ichzeit­ig als sicht­bares städte­baulich­es Gegenüber zur ein­far­bigen Miet­skaserne fungieren. Ideenge­ber der Garten­stadt Falken­berg und ihrer Far­bgestal­tung war Bruno Taut. Dieser hat­te zusam­men mit dem Architek­ten Franz Hoff­mann bere­its 1909 in Berlin das berühmte Architek­ten­büro Taut & Hoff­mann gegrün­det. Die Garten­stadt Falken­berg zählt zu Tauts Früh­w­erken. Sie liegt im heuti­gen Berlin-Bohns­dorf und ist mit der S‑Bahnlinie 8 und 46 zu erre­ichen (Sta­tion Berlin-Grünau). 


Sied­lung Schiller­park (1924 – 1930)

Städte­bauliche Daten:

Gesamt­fläche: 4,6 ha

Architekt: Bruno Taut 

Gebäude: 303 Etagenwohnungen

Ort: Bezirk Mitte, Ort­steil Wedding 

Adresse: Oxforder-straße 8, 13349 Berlin 

Bildquelle: © Deta­man, Sied­lung Schiller­park (CC BY-SA 4.0)

Die im Wed­ding gele­gene Sied­lung Schiller­park ist eben­falls ein Baupro­jekt Bruno Tauts. Mit ihrem Baube­ginn 1924 läutet sie die Hoch­phase des Berlin­er Sied­lungs­baus ein. Die auss­chlaggeben­den Gründe für diese Hoch­phase waren sowohl das Ende der Infla­tion als auch die Ein­führung der Hauszinss­teuer, deren Ein­nah­men größ­ten­teils für den Sied­lungsneubau einge­set­zt wur­den. Namensge­ber der Sied­lung ist der nahe gele­gene Schiller­park. Anstelle ein­er far­bigen Fas­sade wie in Falken­berg konzen­tri­erte sich Taut hier auf eine far­bige Innengestal­tung. Hier­bei zeigt sich eine Kehrtwende weg von aufwendi­gen Außen­fas­saden hin zur Fokussierung auf das Woh­nungsin­nen­leben. Die Fas­saden der Sied­lungswoh­nun­gen wur­den dabei zunehmend vere­in­heitlicht und stan­dar­d­isiert — ein Trend des Sied­lungs­baus der 1920er Jahre, der neben ästhetis­chen auch wirtschaftliche Gründe hat­te. Durch einen ratio­nal­isierten Sied­lungs­bau, bei dem alle Teil­bere­iche stan­dar­d­isiert wer­den, erhoffte man sich eine starke Reduzierung der Baukosten. Die Sied­lung Schiller­park liegt im Wed­ding und ist per U‑Bahn-Lin­ie 6 (Sta­tion Rehberge oder Franz-Neu­mann-Platz) oder per Bus 120 (Bris­tol­str.) erreichbar. 


Hufeisensiedlung (1925 – 1930)

Städte­bauliche Daten:

Gesamt­fläche: 37,1 ha

Architekt: Bruno Taut und Mar­tin Wagner

Gebäude: 679 Ein­fam­i­lien­häuser
+ 1284 Etagen-wohnungen 

Ort: Bezirk Neukölln, Ort­steil Britz 

Adresse: Fritz-Reuter-Allee 46, 12359 Berlin 

Bildquelle: © Flickr, Getrud K (CC BY-NC-SA 2.0)

Die im südlichen Neuköll­ner Stadt­teil Britz gele­gene Hufeisen­sied­lung zählt zu den bekan­ntesten Sied­lun­gen Berlins. Ihren Namen erhielt die Sied­lung durch das markante Haupt­ge­bäude, welch­es in der Form eines Hufeisens das Zen­trum der Sied­lung definiert. Für die Entwürfe waren vor allem Mar­tin Wag­n­er und Bruno Taut ver­ant­wortlich, welche neben der Hufeisen­sied­lung noch weit­ere Baupro­jek­te gemein­sam real­isieren soll­ten. Die Britzer Sied­lung war seit ihrem Baube­ginn im Mai 1925 ein Pres­tige­pro­jekt des sozialen Woh­nungs­baus in Berlins. Allein die Größe und Umfang des Bau­vorhabens im Ver­gle­ich zu anderen kleineren Sied­lung­spro­jek­ten macht­en den Bau der Hufeisen­sied­lung zu etwas Beson­derem. Den Architek­ten war dies bewusst. Gezielt insze­nierten sie Pla­nung und Bau der Sied­lung als Auf­bruch hin zu ein­er neuen Berlin­er Baupoli­tik. Vom Berlin­er Stad­trand der Britzer Baustelle sollte so bald ein “frisch­er Wind” des neuen Städte­baus durch die ganze Stadt wehen, so die Hoff­nung Tauts. Die zeit­genös­sis­che Öffentlichkeit über­nahm das Nar­ra­tive des Auf­bruch­es. So nahm die für den Bau zuständi­ge Genossen­schaft GEHAG den markan­ten Hufeisen­bau der Sied­lung als ihr Logo. Die Berlin­er SPD, zu deren Mitglieder:innen auch Wag­n­er zählte, warb mit der Hufeisen­sied­lung auf Wahlkampf­plakat­en. Inwiefern das Nar­ra­tiv des Auf­bruch­es die Real­ität wider­spiegelt wird im zweit­en Teil der Rei­he gek­lärt. In ins­ge­samt sechs Bauab­schnit­ten wurde die größte der sechs Sied­lun­gen der Mod­erne bis 1930 gebaut. Die Sied­lung ist per U‑Bahn-Lin­ie 7 (Blaschkoallee oder Parchimer Allee) gut zu erreichen.


Die sechs Sied­lun­gen der Mod­erne ent­standen also in ein­er Zeit des Umbruch­es. Um die Jahrhun­der­twende entwick­elte sich unter Architekt:innen die Hoff­nung durch neue mod­erne Bauweisen die Miet­skaser­nen­stadt hin­ter sich zu lassen. Die Berlin­er Sied­lun­gen sind Aus­druck dieser Hoff­nung. Hier soll­ten am Stad­trand gele­gen, neue, mod­erne Wohn­räume entste­hen, welche neben architek­tonis­chen auch soziale Vorteile mit sich brin­gen soll­ten. In den Sied­lun­gen soll­ten Men­schen in neuen, mod­er­nen Gemein­schaften leben und die großstädtis­chen Prob­leme jen­er Zeit hin­ter sich lassen. Inwiefern dies gelang, wird im zweit­en Teil dieses Artikels näher betrachtet. 

 

Bildquelle Titel­bild: © Leverandør NTB, Leverandør DPA (CC BY-NC-SA 2.0)

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